Vorwand Daseinsvorsorge
Von Jessica Reisner und Elmar Wigand
Der Unternehmerverband Gesamtmetall will das kümmerliche deutsche Streikrecht weiter beschneiden. Vorbild England. Zentraler Kampfbegriff ist die Daseinsvorsoge. Der Lobbyverband hatte bei hochrangigen Experten der Kapitalseite bestellt: Der Volkswirtschaftler Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat daraufhin ein Gutachten erstellt, auf dessen Grundlage die Rechtsgelehrten Clemens Höpfner (Uni Köln) und Richard Giesen (Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht, München) einen Gesetzentwurf formulierten. Diesen stellte der Kapitalverband am 26. März in der Bundespressekonferenz vor.
Die Pläne haben es in sich: Gesamtmetall will Streiks durch vorgeschaltete, verpflichtende Schlichtungen weiter erschweren. Praktisch hieße das: Die Kapitalseite könnte einseitig eine Schlichtung einberufen und damit den Beginn eines Streiks hinauszögern. Und falls es doch zum »Schlimmsten« kommt, soll durch eine Verpflichtung zur Ankündigung 96 Stunden vor dem Ausstand genug Zeit bleiben, um Streikbrecher zu aktivieren. Dieser Vorstoß wird vorerst wohl durch die SPD in der großen Koalition blockiert.
Gesamtmetall argumentiert, als ginge es um das Gemeinwohl und darum, mögliche Schäden für Dritte abzuwenden – zum Beispiel durch Streiks an Flughäfen und Krankenhäusern. Diese Sorge ist vorgeschoben: Gerade in der Daseinsvorsorge sind durch Privatisierung, Auslagerung und Kaputtsparen teils katastrophale Zustände eingekehrt. Oft kämpfen die Beschäftigten hier nicht mehr für Lohnerhöhungen, sondern für eine bessere Personalausstattung, also weniger Stress und halbwegs erträgliche Arbeitsbedingungen.
Die Daseinsvorsorge wird in dem Plan von IW Köln und Gesamtmetall so weit gefasst, dass sie schätzungsweise bis zu acht Millionen Arbeitende betreffen könnte. Der Gesetzentwurf schreibt eine angemessen zu gewährleistende Grundversorgung vor, die über die klassische Notdienstarbeit hinausgeht. Höpfner bezieht sich schamlos auf die »Minimum Service Levels«, die 2023 in Großbritannien gegen enormen Widerstand von Gewerkschaften beschlossen wurden. Die jüngsten Urteile der Berliner Arbeitsgerichte gegen Verdi-Streiks an der Charité und an städtischen Kitas wirken, als würden die Vorschläge hier bereits Realität werden.
Womöglich gehören Supermärkte ja auch zur Daseinsvorsorge? Wir müssen schließlich alle essen ... Edeka machte 2024 einen Rekordumsatz von 75,3 Milliarden Euro. Und das trotz – oder vielmehr wegen – galoppierender Inflation und sogenannter Übergewinne, früher auch Wucher genannt. 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Zahlen, von denen die deutsche Industrie ansonsten nur träumen kann.
Aktuell brennt die Hütte im Edeka-Logistikzentrum in Lauenau (Kreis Schaumburg) mit 1.000 Beschäftigten, einer Verdi-Streikhochburg. Deren Betriebsrat stellte laut Verdi eine Anzeige wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit nach Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Geschäftsleitung enthalte dem Gremium Informationen vor und werfe Dienstpläne kurzfristig eigenmächtig um. Betriebsratsmitglieder müssten Schulungen erst aufwendig einklagen, außerdem erkenne die Geschäftsleitung Teile der Betriebsratsarbeit nicht als Arbeitszeit an. Das klingt vergleichsweise harmlos – Repressalien gegen einzelne Betriebsratsmitglieder werden nicht berichtet – ist aber nur die Spitze des Eisbergs.
Die Edeka-Gruppe verfügt mit mehr als 400.000 Beschäftigten über eine der größten Belegschaften Deutschlands. Durch Aufspaltung nach dem Franchisesystem (Vorbild McDonald's) und gezielte Betriebsratsvermeidung ist das Unternehmen für Gewerkschaften bislang allerdings schwer zu erschließen.
Unsere Autoren gehören zur »Aktion gegen Arbeitsunrecht« und moderieren den Podcast Arbeitsunrecht FM.
Der Union Busting Monitor informiert an dieser Stelle von nun an jeden letzten Donnerstag im Monat über aktuelle Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaften.
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