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Aus: Ausgabe vom 13.03.2025, Seite 5 / Inland
Autoindustrie

Ford soll beerdigt werden

US-Automobilhersteller will mit Tricks Arbeitsplatzsicherung umgehen. Aufruhr bei Betriebsversammlung in Köln
Von Susanne Knütter
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Schon Dienstag abend protestierten die Kölner Ford-Beschäftigten gegen die Managementtricks

Die Tagesordnung der Betriebsversammlung war klar. Erst spricht der Arbeitsdirektor der Ford-Werke, dann der Betriebsrat, die Gewerkschaft und die Beschäftigten. Aber Marcus Wassenberg kam nicht zu Wort. Erst begrüßte eine Delegation Maskierter den Arbeitsdirektor mit einem Sarg. Dann machte die Belegschaft an die zehn Minuten ihrem Unmut Luft. Erst als der Betriebsratsvorsitzende dem Managementvertreter mit den Worten Gehör verschaffte, der Betriebsrat wolle nicht immer allein die schlechten Nachrichten verbreiten, kamen die Kollegen zur Ruhe. Zeitweilig. Immer wieder wurde Wassenberg unterbrochen. Er solle nicht lügen, sich verziehen, beschrieb IG-Metall-Vertrauensmann David Lüdtke am Mittwoch die Szenen aus Köln. Die erste greifbare Aussage habe der Vorgesetzte dann aber gemacht, so Lüdtke gegenüber jW. Nämlich: Durch die neue Situation sei eine Insolvenz möglich.

Was war passiert? Seit Ende November ist bekannt, dass Ford 2.900 Stellen in Köln streichen will. Aber es gibt ein Hindernis: Bis Ende 2032 kommt die Geschäftsführung aus dem vereinbarten Kündigungsschutz nicht heraus. Betriebsrat und IG Metall haben bisher klargemacht, dass sie ohne ein Zukunftskonzept für die Kölner Werke nicht über weiteren Personalabbau reden wollen. Am Montag dann der »dreckige Griff in die Trickkiste«, wie die Gewerkschaft es in einer Pressemitteilung formulierte. Die Unternehmensführung stellt die Finanzierung um und kündigt parallel die Patronatserklärung für die deutsche GmbH auf. Wenn die wirtschaftliche Lage sich nicht bessert und der Mutterkonzern die Verluste nicht mehr ausgleicht, wie es die seit 2006 bestehende Patronatserklärung vorsieht, wäre eine Insolvenz der Ford Werke in den nächsten Jahren möglich.

Zwar schießt Ford noch einmal 4,4 Milliarden Euro zu Ford Deutschland zu. Allerdings hatte die GmbH zuletzt fast sechs Milliarden Euro Schulden. Gewerkschafter Lüdtke, der selbst bei Ford Köln arbeitet, nennt es Zahlenschieberei. Die jahrelangen Verluste hätten auch mit Managemententscheidungen in den USA und mit deren Verlustverteilung zu tun. Mit der Aufkündigung der Patronatserklärung soll nun der Druck auf den Betriebsrat und die Belegschaft aufgebaut werden, der geplanten Betriebsänderung zuzustimmen.

Für die Umsetzung eines von Ernst & Young ausgearbeiteten Businessplans will Ford sogar noch einen dreistelligen Millionenbetrag investieren. Allerdings sieht der Plan nicht einmal die Produktion neuer Fahrzeuge für Köln vor. Selbst jemand, der nicht BWL studiert hat, sehe, dass der Plan nicht funktionieren kann, so Lüdtke. Er sei voll falscher Annahmen. Zu allererst die: Vollauslastung durch weniger Personal.

Für die Belegschaft ist klar, die Ford-Werke sollen beerdigt werden. Seit Monaten sind sie auf Kurzarbeit gesetzt. Die Angst ist groß, dass als nächstes eine Schicht gestrichen wird. Jetzt deutet sich ein Arbeitskampf an. Der Betriebsrat strebt weiterhin an, einen Gesamtplan für ein Sicherheitsnetz zu verhandeln. Das heißt: gute Konditionen für die, die gehen wollen und Sicherheit für die, die bleiben wollen. Parallel wird die IG Metall das Unternehmen zu Sozialtarifverhandlungen aufrufen. Das erste Mal überhaupt in der Geschichte von Ford in Deutschland. Damit sind Streiks wahrscheinlich. Die Belegschaft hat somit ein zusätzliches Druckmittel, ist Lüdtke sicher. Und es sei wichtig, jetzt zu kämpfen. Jetzt, da die Belegschaft noch über »relative Stärke« verfüge. Nämlich 12.000 Lohnabhängige.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (13. März 2025 um 10:39 Uhr)
    »Ford soll beerdigt werden« lautet die Überschrift, und das ist wohl auch das Ziel der Bosse. Passend dazu »begrüßte eine Delegation Maskierter den Arbeitsdirektor mit einem Sarg«. Symbolisiert dieses nicht totzukriegende Ritual schon die Kapitulation?
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (13. März 2025 um 05:18 Uhr)
    Mein Cousin arbeitete früher bei Ford in Köln und genoss die Vorteile des Lebens in der BRD, ohne scheinbar die Nachteile zu spüren. Ihm wäre es niemals eingefallen, in die DDR überzusiedeln. Er war zufrieden. Doch alles hatte und hat seinen Preis. Die DDR-Bürger wollten 1989 nicht mehr 15 Jahre auf ein Auto warten, sondern eine reiche Auswahl aller Konsumartikel und Reisefreiheit in der ganzen Welt. Offene Grenzen gab es dann allerdings auch für das Kapital und die schonungslose Konkurrenz, die kein Erbarmen kennt. Aber ihren sicheren Arbeitsplatz, bezahlbare Mieten, kostenlose Bildungs- und Sportmöglichkeiten, öffentlichen Nahverkehr und subventionierte, billige Nahrungsmittel sowie Geschäfte in jedem (!) Dorf (obwohl sich das alles eben nicht »rentierte«), das wollten die Ossis auch, so wie jetzt eben die Belegschaft in Köln ihren Arbeitsplatz behalten will. Die demonstriert für die gleiche »eierlegende Wollmilchsau« wie einige in der DDR 1989 demonstrierten und denken wohl, dass es so etwas gibt. Auch in Köln genossen alle, die bei Ford in Arbeit standen, reiche Konsummöglichkeiten, Reisefreiheit, größere Auswahl bei Wahlen, als es in der DDR der Fall war. Letzteren Vorteil nutzten sie allerdings mehrheitlich, um transatlantische Parteien zu wählen. Jetzt kann noch nicht einmal die IG Metall mehr ihre Forderungen auf deutsch formulieren. »Fuck you – wir bleiben«. Ford hat sich wirtschaftlich und kulturell dem US-Niveau vollkommen angepasst. Im Kapitalismus zu erwarten, dass der Arbeitsplatz erhalten bleibt – das ist ein unlösbarer Widerspruch. Wenn nicht genug Autos verkauft werden können, macht der Laden eben zu. Das ist eiskalte Konkurrenz, jetzt mit China. Wie viele der Arbeitnehmer von Ford wählten eine Partei, die die Systemfrage stellt, z. B. die DKP? Wie viele der Entlassenen wählten die Weiter-so-Parteien und zeigten damit ihr Einverständnis mit dem kapitalistischen System? Wie bestellt, so geliefert.

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