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Aus: Ausgabe vom 26.04.2025, Seite 2 / Ausland
Krieg in Äthiopien

»Sie leisten Widerstand gegen gezielte Massaker«

Äthiopien: Gefangene berichten von Verbrechen der Regierung im Krieg gegen die Region Amhara. Ein Gespräch mit Dana S.
Interview: Ina Sembdner
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Äthiopische Familien der italienischen Amhara-Diaspora protestieren gegen den Krieg in dem Land (Rom, 31.8.2023)

Im Juli 2021 griff der Krieg der äthiopischen Zentralregierung in Tigray auf die benachbarten Regionen Amhara und Afar über. In Amhara dauert er bis heute an. Am 7. April haben politische Gefangene einen dringenden Appell veröffentlicht. Was steckt dahinter?

Nach dem stillschweigend vereinbarten Waffenstillstand 2022 – ohne Transparenz und ohne Beteiligung der Amhara oder Afar – zog die Regierung ihre Truppen aus Tigray ab und verlegte sie in diese beiden Regionen, unternahm aber nichts zu deren Schutz. Im Gegenteil, die regionalen Verteidigungskräfte wurden absichtlich geschwächt, die Milizen entwaffnet und die staatlichen Kräfte verhaftet oder liquidiert. Die TPLF, kurz für Tigray People’s Liberation Front, die aufgrund ihrer jahrzehntelangen Kontrolle über die Streitkräfte militärisch extrem gut ausgerüstet ist, griff die Amhara zusammen mit der Oromo-Befreiungsfront, OLF, mit voller Wucht an. Ganze Städte wurden verwüstet. Seit 2019 finden täglich Massaker und Massenvertreibungen statt. Es ist ein Krieg der Regierung gegen ihre eigenen Bürger, das Volk der Amhara.

Die Rede ist von »Konzentrationslagern« auf dem Militärstützpunkt Awash Arba in der Afar-Region. Ist dieser schwere Vorwurf gerechtfertigt?

Ja, dieser Begriff ist erschreckend – aber zutreffend. Die Berichte kommen von politischen Gefangenen, Überlebenden, Angehörigen. Sie sprechen von systematischer Folter, Isolation, psychologischem Terror, Zwangsarbeit und erzwungenem Verschwinden. Die Menschen werden ohne medizinische Versorgung oder rechtlichen Beistand festgehalten. Sie wissen nicht einmal, warum sie inhaftiert wurden.

Diese Unterdrückung ist ein Ausdruck des ethnisch rassifizierten Föderalismus, den Äthiopien seit den 1990er Jahren praktiziert. TPLF und OLF haben bewusst das Narrativ aufgebaut, dass die Amhara »dominant« und eine »Bedrohung der Befreiungsvölkergruppen« seien. Diese politische Ideologie hat sogar in den Schullehrplan Eingang gefunden, es wurden Bücher und Manifeste geschrieben. Dies hat zu systematischer Verfolgung geführt – und auch zu Konzentrationslagern.

Ein bekanntes Beispiel ist die amharische Studentin Birtukan Temesgen, die von der Dembi-Dolo-Universität in der Region Oromia entführt, 14 Monate lang gefoltert und vergewaltigt wurde. Es gelang ihr, mit ihrem kleinen Kind zu entkommen. Im staatlichen Fernsehen bat sie um Hilfe – ohne ihre Peiniger zu nennen. Sie wurde erneut verhaftet; sie und ihr Kind sind schwer erkrankt. Es gibt Tausende solcher Fälle.

Handelt es sich um einen ethnischen Konflikt?

Die Regierung versucht, den Konflikt mit ethnischen oder religiösen Begriffen zu umschreiben, um die Schuldfrage zu verschleiern. In Wirklichkeit bekämpft der Staat bewusst eine ethnische Gruppe, die er als Bedrohung für seine politische Vorherrschaft ansieht. Die Fano-Selbstverteidigungsgruppen, die oft verzerrt dargestellt werden, sind keine ethnischen Milizen. Sie leisten Widerstand gegen den Faschismus, gegen gezielte Massaker, gegen Terror und gegen einen Staat, der Gewalt nicht nur duldet, sondern sie organisiert. Diese Bewegung ist eine Reaktion auf Unterdrückung, nicht deren Ursache.

Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed wird in der Region zunehmend als Kriegstreiber wahrgenommen. Was versucht er zu erreichen?

Die Diskrepanz zwischen Auszeichnung und Politik ist unglaublich. Unter Abiy Ahmed verfolgt die Regierung keine Friedensstrategie – sie betreibt Machtpolitik mit allen nötigen Mitteln. Innenpolitisch setzt sie auf Einschüchterung, Spaltung, Gewalt. Kritische Stimmen, vor allem aus der Amhara-Region, werden unterdrückt, die Medien kontrolliert, Bürgerrechte außer Kraft gesetzt. Das Ziel ist die Zentralisierung der demographischen und politischen Macht unter der Ideologie eines sogenannten Oromia-Staates.

Wie bewerten Sie das Schweigen zu diesem Krieg?

Es ist eine moralische Offenbarung. Seit Jahren dokumentieren wir die täglichen Massaker, ethnischen Säuberungen, systematischen Vertreibungen und Folterungen. Seit 2021 sprechen wir von Völkermord – und niemand reagiert darauf. Viele verlieren den Glauben an die Diplomatie und setzen ihre Hoffnung auf den Widerstand. Auf Gruppen wie Fano, die sich gegen das organisierte Schweigen aussprechen. Wir müssen weitergeben, aufklären, dokumentieren. Denn wenn wir schweigen, sind wir mitschuldig.

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