»Die greifbaren Erfolge zeigen: Es hilft«
Interview: Max Ongsiek
Im Bundestagswahlkampf forderte die CDU/CSU-Fraktion die Aufhebung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Was genau ist das Lieferkettengesetz?
Dabei handelt es sich um eine seit 2023 geltende gesetzliche Regelung, die zum ersten Mal in deutschem Recht verankert, dass Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern in ihrer weltweiten Zuliefererkette für die Einhaltung der Menschenrechte sorgen müssen: Sie müssen also analysieren, wo in ihren Lieferketten Risiken von Kinderarbeit, Gewerkschaftsbekämpfung, Unterbezahlung oder Arbeitsschutzmängeln bestehen, und Präventionsmaßnahmen dagegen treffen. Darüber hinaus wurde 2024 die »Europäische Lieferkettenrichtlinie« verabschiedet. Da EU-Richtlinien für Mitgliedstaaten rechtsverbindlich sind, müssen sie innerhalb einer festgelegten Frist in nationalstaatliches Recht überführt werden. Aber wir haben bereits jetzt gesehen, dass das deutsche Gesetz schon in der kurzen Zeit seit seinem Inkrafttreten für deutliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in den Zuliefererketten gesorgt hat.
Laut dem nun vorliegenden Koalitionsvertrag wollen Union und SPD das Gesetz abschaffen.
Beim genauen Hinsehen wird klar, dass das Lieferkettengesetz nur umbenannt und abgeschwächt werden soll. Ziel des neuen Gesetzes soll dann – so die Formulierung im Koalitionsvertrag – die »bürokratiearme und vollzugsfreundliche« Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie sein. Aber auch die EU-Richtlinie will die Bundesregierung schwächen. Zudem sollen Sanktionen – außer bei sehr schweren Fällen – und Berichtspflichten entfallen. Das ist ein fatales Signal und legt nahe, dass der neuen Regierung die Profite der deutschen Wirtschaft wichtiger sind als der Schutz der Menschenrechte.
Welche Verbesserungen hat das Lieferkettengesetz für die Beschäftigten gebracht?
In Ecuador haben wir zum Beispiel gesehen, dass sich in einem Betrieb, der mehrere Bananenplantagen umfasst, die Löhne der prekär Beschäftigten mehr als verdoppelt haben. Die Arbeiterinnen in der Verpackungshalle mussten vorher mehr als Vollzeit arbeiten und wurden aber nur für eine halbe Stelle bezahlt. Infolge unserer Beschwerde wurde diese Praxis von der Firma dann gestoppt. Jetzt werden die Beschäftigten für alle Stunden, die sie arbeiten, auch bezahlt. Außerdem gibt es jetzt eine anerkannte Gewerkschaftsgruppe im Betrieb. Diese klaren, greifbaren Erfolge zeigen, dass das Lieferkettengesetz keine hohle Bürokratie ist, sondern den abhängig Beschäftigten in den Lieferketten deutscher Unternehmen hilft.
Wie läuft so ein Beschwerdeverfahren typischerweise ab?
Eine betroffene Person, die gegebenenfalls durch eine Gewerkschaft oder NGO unterstützt wird, meldet sich entweder bei dem Unternehmen direkt oder beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Wenn sich der Verdacht erhärtet, nimmt die Behörde Ermittlungen gegen das Unternehmen auf. Anschließend trifft sie eine Entscheidung darüber, ob die Maßnahmen, die das Unternehmen getroffen hat, angemessen sind oder nicht. Sind diese nicht angemessen, kann die Behörde Bußgelder verhängen oder Maßnahmen anordnen, weil die Person tatsächlich in ihren Rechten verletzt wurde. Nach dem Willen der Koalition sollen diese Strafgelder aber nur noch in Fällen von massiven Menschenrechtsverletzungen verhängt werden – was genau damit gemeint ist, ist aber noch unklar.
Was plant Oxfam in Reaktion auf die von der Regierung angekündigte Abschwächung des Gesetzes?
Gegen eine Verwässerung des Lieferkettengesetzes werden wir als Organisation mit möglichst viel Öffentlichkeit dagegenhalten. Denn wir haben das Gesetz damals – zusammen in einem Bündnis von über 100 Umweltverbänden, Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, kirchlichen Verbänden – hart erkämpft. In den nächsten Monaten werden wir klarmachen, dass hier an die größte Errungenschaft der letzten Jahrzehnte im Bereich Menschenrechte die Axt angelegt werden soll. Und da werden wir Stimmen aus dem globalen Norden und dem globalen Süden vereinen und versuchen, das zu verhindern.
Steffen Vogel arbeitet bei Oxfam Deutschland e. V. zu globalen Lieferketten und Menschenrechten von Landarbeitern
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