Mal wieder ein Durchbruch
Von Marc Püschel
Die Vereinten Nationen haben 2025 zum »Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und Quantentechnologie« (IYQ) erklärt. Anlass ist die Formulierung der Quantenmechanik durch Werner Heisenberg vor 100 Jahren. Pünktlich zum Jubiläumsjahr haben Konzerne wie Microsoft und Google auch neueste Forschungsergebnisse veröffentlicht, denen zufolge entscheidende Hürden, die bisher den praktischen Einsatz von Quantencomputern verhindern, mittlerweile überwunden werden können. Doch manche Wissenschaftler bleiben skeptisch.
Quantencomputer funktionieren grundlegend anders als klassische Rechner, die auf dem Bit (Binary Digit, binäre Ziffer) als Informationsträger beruhen, der lediglich den Zustand 0 oder 1 annehmen kann. Beim Quantencomputer dient dagegen das Qubit (Quantenbit) als Informationseinheit. Dieses kann seiner Physik entsprechend eine Superposition einnehmen, das heißt, gleichzeitig in den Zuständen 0 und 1 sein sowie alle möglichen Zustände zwischen 0 und 1 einnehmen. Während die Leistung eines herkömmlichen Computers linear mit der Zahl der in ihm verbauten Schaltkreise wächst und diese nicht beliebig klein werden können, steigert sich die Leistung eines Quantencomputers mit der Anzahl seiner Qubits exponentiell. So lassen sich mit nur 300 verbundenen Qubits theoretisch 2³⁰⁰ Operationen gleichzeitig ausführen.
Die Relevanz wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass auch die Schwierigkeit relativ simpler Rechenprobleme exponentiell anwächst. Bekannt ist etwa das »Problem des Handlungsreisenden«, bei dem ein Vertreter fünfzehn Städte besuchen und die kürzestmögliche Route zwischen ihnen wählen will. Die Zahl der Städte klingt gering, doch gibt es schon hier über 43 Milliarden mögliche Routen. Herkömmliche Rechner müssten die Routen nacheinander ausrechnen und miteinander vergleichen. Doch wenn man Qubits miteinander verknüpft und ihnen Energieladungen zuordnet, deren Relationen bestimmten Streckenverhältnissen entsprechen, dann sind alle möglichen Routen bereits als Zustand in dem Quantensystem vorhanden, bzw. ihre Werte werden gleichzeitig ausgerechnet (Quantenparallelismus).
Das größte Problem, vor dem die Quantencomputertechnologie steht, liegt darin, dass die äußerst instabilen Qubits daran gehindert werden müssen, mit ihrer Umwelt in Austausch zu treten. Bereits minimalste Einflüsse von außen – etwa Wärmeschwankungen oder magnetische Felder – führen dazu, dass der Zustand der Superposition zerstört wird. Die Qubits müssen daher so nahe wie möglich an die tiefstmögliche Temperatur von minus 273,15 Grad Celsius (absoluter Nullpunkt) gebracht werden. Die bisherige Technologie ist noch kaum praxistauglich, da die Fehlerrate, die sich durch instabile Qubits ergibt, zu hoch, das Arbeiten mit Quantencomputern also schlicht nicht verlässlich ist.
Das Problem kann grundsätzlich auf zwei verschiedene Art gelöst werden. Erstens können mehrere physikalische Qubits zu einem »logischen Qubit« zusammengeschlossen werden. Durch ihre Kopplung können Fehler einzelner Qubits korrigiert werden. Anfang Dezember 2024 hat Google verkündet, mit seinem Quantenprozessor »Willow« auf eben diese Weise erstmals die Fehlerrate unter einen kritischen Schwellenwert gesenkt zu haben. Bei einer Verdopplung der Zahl an Qubits habe sich die Fehlerrate halbiert, das heißt die zusätzliche Fehleranfälligkeit durch mehr physikalische Qubits wird überkompensiert. Das würde bedeuten, dass die Leistung von Quantencomputern in Zukunft immer weiter gesteigert werden kann.
Laut Google löste »Willow« eine Testaufgabe in weniger als fünf Minuten, für die ein klassischer Supercomputer 10²⁵ Jahre benötigen würde. Doch Skepsis ist angebracht: Der Technische Physiker Stefan Filipp von der TU München hebt zwar hervor, wie bemerkenswert »schnell die Technologie in Richtung fehlertolerante Quantencomputer voranschreitet«, doch wies zugleich darauf hin, dass selbst die Google-Forscher eingestehen, dass der Praxiseinsatz noch nicht unmittelbar bevorsteht. Vor allem die Anzahl physikalischer Qubits müsse noch deutlich erhöht werden.
Eine zweite Lösung des Problems besteht darin, die Qubits schlicht physikalisch weniger fehleranfällig zu machen. Diesen Weg beschreitet etwa Microsoft, das Mitte Februar 2025 einen Quantenchip namens »Majorana 1« präsentierte, der auf sogenannten »topologischen Quantenbits« beruht. Diese sollen robust genug sein, um gegen Störungen von außen immun zu sein. Ein ähnlicher Ansatz wird im Forschungszentrum Jülich (FZJ) verfolgt, wo im Rahmen des Großprojekts »QSolid« versucht wird, Qubits durch Aluminiumnanostrukturen stabiler zu machen.
Sind dort die Ergebnisse noch offen, gibt es zumindest bei der Erfolgsmeldung von Microsoft deutliche Zweifel: Laut dem Festkörperphysiker Klaus Ensslin von der ETH Zürich könne bei den Ergebnissen von Microsoft noch nicht von einem topologischen Quantenbit gesprochen werden. Es fehlt noch an veröffentlichten Daten, anhand derer Microsofts Ergebnisse geprüft werden können – zumal der Konzern die frühere Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Delft eingestellt hat und nur noch intern forscht.
Von der TU Delft wiederum kam im März 2025 die spannendste Nachricht des bisherigen »Quantenjahrs« 2025. Die dortigen Forscher haben erstmals ein Betriebssystem für Quantencomputer – das »QNodeOS« – entwickelt. Damit wird eine Trennung der Anwendungsebene von der Steuerung der technischen Prozesse möglich. Dies dürfte der wahrscheinlich wichtigste Schritt auf dem Weg zum praxistauglichen Einsatz der Zukunftstechnologie sein.
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