75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Freitag, 22. November 2024, Nr. 273
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 25.03.2006, Seite 16 / Aktion

Gegenddarstellung. Wachsende Aufmerksamkeit

Die gute Nachricht: junge Welt erhält größeren Zuspruch, gewinnt Abonnenten und steigert den Verkauf. Die schlechte Nachricht: Prozesse und offene Briefe mit verschiedensten Drängeleien häufen sich
Von Verlag und Redaktion
g
Liebe Leserinnen und Leser, die wachsende Aufmerksamkeit, die junge Welt entgegengebracht wird, bemerken wir am verstärkten Zuspruch bei Messen, an Infoständen, aber auch an steigenden Verkaufszahlen an den Kiosken. Besonders erfreulich ist, daß wir gerade dabei sind, erstmals seit 1989 den Bestand an bezahlten Abonnements (sowohl der Druck- als auch der Internetausgabe) deutlich zu steigern. Vor allem über das Internet entdecken uns immer mehr Leserinnen und Leser.

Dieses wachsende Interesse an unseren Veröffentlichungen bemerken wir aber auch an der steten Zunahme von Gerichtsprozessen, die gegen uns geführt werden. Auffallend ist die größer werdende Zahl von offenen Briefen, die uns als Leserbriefe erreichen und die direkt oder indirekt mit einer ultimativen Forderung nach Veröffentlichung versehen sind. Eigentlich dürfte dabei allen Beteiligten klar sein, daß die Redaktion, im speziellen die jeweils verantwortlichen Redakteure bzw. die Chefredaktion die Freiheit haben zu entscheiden, was veröffentlicht wird und was nicht.

Offene Briefe

In den vergangenen Wochen erreichten uns offene Briefe zu folgenden Themen: Ein so deklarierter Protestbrief kritisiert unsere Berichterstattung zu den Böhsen Onkelz. Diese stammt aus dem Jahr 2000. Ein jW-Autor stellt in einem offenen Brief Mutmaßungen veschiedenster Art an, nachdem die Redaktion einen Beitrag von ihm abgelehnt hat. Die Autoren eines weiteren offenen Briefes beschweren sich darüber, daß wir nach ihrer Meinung mit bestimmten Personen in der Führung der Linkspartei.PDS zu hart umgehen. Und ein Autor, dessen Kommentar zum Iran nicht veröffentlicht wurde, nahm das ebenfalls als Grundlage, einen offenen Brief zu verfassen. Dieser Autor ist auch einer der Unterzeichner eines weiteren offenen Briefes, in dem die jW-Blattlinie scharf kritisiert wird.

In allen Fällen hat die Chefredaktion aus unterschiedlichen Gründen entschieden, die Texte nicht zu veröffentlichen. Nun sind wir nicht der Meinung, daß wir redaktionelle Entscheidungen in der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen.Vielmehr sind wir sogar der Ansicht, daß beispielsweise die Chefredaktion im Tagesgeschäft Entscheidungen treffen muß, und dabei sogar das Recht hat, falsche Entscheidungen zu treffen. Den zuletzt genannten Fall möchten wir Ihnen dennoch wegen seines exemplarischen Charakters ausführlicher beschreiben. Sämtliche ihm zugrundeliegenden Originaltexte sind auf unserer Internetseite nachzulesen.

Anfang März erreichte Verlag und Redaktion ein als »Stellungnahme« und »Intervention« gekennzeichneter »Offener Brief an die junge Welt und ihre Leserschaft«, der von mehreren freien Autoren der jungen Welt unterzeichnet war. In ihm wird dieser Zeitung eine Blattlinie unterstellt, die an vielen Punkten »einer antiimperialistischen Hauptfeind USA-und-Israel-Linie« folge. Das wird mit dem Vorwurf belegt, Kommentatoren der jungen Welt würden sich in einer »unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran« ergehen. Diese Behauptung wiederum versuchen die Unterzeichner anhand eines Halbsatzes und einer Unterstellung aus einem Kommentar und einer Unterstellung zu einem weiteren Kommentar desselben Autors vom Oktober und Dezember vergangenen Jahres zu belegen. Wörtlich heißt es: »So kommt Werner Pirker zu Ahmadi-Nejads Holocaust-Leugnereien auf den Einfall, daß dieser möglicherweise ›wenig Ahnung von europäischer Geschichte zu haben‹ scheine (jW vom 16.12.2005).« Zu einem Kommentar vom 29. Oktober 2005 wird Pirker unterstellt, er finde, daß Ahmadinedschads »Anti-Israel-Tiraden eine Spielart von legitimem Antizionismus sei«. Die Autoren des offenen Briefes halten diese »Überlegungen« denen von Nazis ähnlich und für eine »Relativierung der deutschen Massenmordgeschichte und Ignoranz gegenüber Antisemitismus«. Mit dieser inhaltlichen Ausrichtung sei man nicht einverstanden. Der Brief endet mit einer Gleichstellung: »Ebenso entschieden wie wir den Kriegsplänen gegen den Iran entgegentreten, lehnen wir ein Kleinschreiben eines virulenten und aggressiven Antisemitismus ab.«

Der vollständige Satz, den Werner Pirker in seinem Kommentar vom 16. Dezember schrieb, lautet: »Das iranische Staatsoberhaupt scheint wenig Ahnung von europäischer Geschichte zu haben und schon gar keine von der Leidensgeschichte der Juden in Europa, deren grausamstes Kapitel in deutschen Vernichtungslagern geschrieben wurde. Die Shoa ist keine zionistische Erfindung. Sie hat als der kaltblütigste Völkermord in der Geschichte unbestreitbar stattgefunden. Sie zu leugnen entwürdigt jede Diskussion.« An anderer Stelle seines Kommentars heißt es: »Aber gerade weil der Holocaust eine nicht zu bestreitende Tatsache ist, hat die Nation die Last der Sühne auf sich zu nehmen, die ihn unbestreitbar verübt hat – und da vor allem die Kraft, die sie zum Vernichtungswerk getrieben hat: das deutsche Großkapital (...) So fließt die Verurteilung des größten vom Imperialismus je begangenen Verbrechens in die Legitimationsideologie des neuen imperialistischen Krieges ein. Das sollten sich wirkliche Antifaschisten nicht bieten lassen.«

Das ist nach Ansicht der Autoren des Offenen Briefes »unerträgliche Verniedlichung des offenen Antisemitismus«, »Relativierung der deutschen Massenmordgeschichte«, »Ignoranz gegenüber Antisemitismus«, das sind nach ihrer Ansicht Überlegungen, die denen von Nazis ähneln, Ansichten, die »an vielen Punkten« die jW-Blattlinie darstellen.

Bleibt noch festzustellen, daß es um den Beleg für die Behauptung, Werner Pirker spreche von »legitimem Antizionismus« in bezug auf Ahmadinedschad ebenso bestellt ist. Er behauptet an keiner Stelle im Kommentar vom 29. Oktober 2005 (und legt es auch nicht indirekt nahe), daß die Anti-Israel-Tiraden des iranischen Präsidenten in irgendeiner Form eine Spielart von legitimem Antizionismus seien.

jW-Blattlinie

Daß dieser offene Brief von Autoren kommt, die auch in junge Welt schreiben, macht die Sache nicht besser. Niemand muß Werner Pirkers Positionen, Formulierungen oder Gewichtungen in seinen Kommentaren und Beiträgen teilen. Eine Diskussion sollte aber zu neuen Erkenntnissen und Überlegungen führen, sollte sich zumindest mit dem tatsächlich Veröffentlichten und tatsächlich in jW vertretenen Positionen befassen. Das ist in diesem offenen Brief nicht der Fall.

Hinzu kommt ein zentraler Aspekt. Wenn es eine jW-Blattlinie in dieser Frage gibt, so besteht sie darin, daß die junge Welt Kriegspropaganda aus Washington oder Berlin vom ersten Moment auch als solche entlarvt hat. Dabei stand sie in den letzten Jahren gegen die nahezu gleichgeschalteten Medien ziemlich allein. Als Jugoslawien 1999 bombardiert wurde, war es die junge Welt (und hier vor allem Werner Pirker), die von Anfang an darauf hingewiesen hat, daß hier Völkerrecht gebrochen wird – angeblich, um ein zweites Auschwitz zu verhindern. In den ersten Tagen des Krieges waren damals Leserinnen und Leser, aber auch Autorinnen und Autoren irritiert. Nicht wenige fragten: Wie könnt ihr euch auf die Seite des »Schlächters vom Balkan« stellen? Auch unsere Haltung zu den Aggressionen gegen Afghanistan 2001 und gegen den Irak 2003 brachte junge Welt vielfach den Vorwurf ein, die Zeitung betreibe die Geschäfte der Taliban oder Saddam Husseins. Nun wird ein Krieg gegen den Iran vorbereitet. Das ist ein Tatbestand, der nach dem Grundgesetz ausdrücklich unter Strafandrohung steht. Wir sehen eine Aufgabe von jW darin, gegen die Schaffung der benötigten Kriegsstimmung zu arbeiten und die Strategie der Kriegsvorbereitung zu analysieren. Der Chefredakteur dieser Zeitung hat deshalb den Unterzeichnern des offenen Briefes die Entscheidung, ihren »Offenen Brief« nicht abzudrucken, unter anderem folgendermaßen begründet: »Was die Blattlinie angeht, ist es viel schlimmer, als Ihr offenbar annehmt. Sie richtet sich u.a. – ich hoffe, kontinuierlich und nicht nur punktuell – gegen Kriege, speziell übrigens deutsche bzw. Kriege mit deutscher Beteiligung, die ich einem herkömmlichen, nicht einmal nur marxistischen Sprachgebrauch zufolge tatsächlich als imperialistisch bezeichne. Die Erfahrungen, die ich aus Anlaß solcher Kriege 1999, 2001 und 2003 sammelte, besagen darüber hinaus, daß sich schon bei der Kriegsvorbereitung die Linke neu sortiert, anstatt alles für seine Verhinderung zu tun, erst recht, wenn der Krieg erst einmal begonnen hat.«

Dokumentiert

Offener Brief an die »Junge Welt« und ihre Leserschaft

Wir sind AutorInnen der »Junge Welt«. Wir kommen aus unterschiedlichen Spektren der Linken und vertreten in manchen Fragen divergierende Standpunkte. Dennoch haben wir uns entschlossen, diese kurze gemeinsame Intervention zu verfassen.

Die Blattlinie der »Junge Welt« folgt an vielen Punkten einer antiimperialistischen Hauptfeind-USA-und-Israel-Linie.

In letzter Zeit ergehen sich Kommentatoren der »Junge Welt« in einer unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran, was nicht selten wie eine Legitimation seiner Politik wirkt. So kommt Werner Pirker zu Ahmadi-Nejads Holocaust-Leugnereien auf den Einfall, dass dieser möglicherweise "wenig Ahnung von europäischer Geschichte zu haben" scheine (»Junge Welt« vom 16.12.05[1]), und findet, dass dessen Anti-Israel-Tiraden in irgendeiner Form eine Spielart von legitimem Antizionismus seien (»Junge Welt« vom 29.10.05[2]). Wir fragen uns, wie man in Zukunft ähnlichen "Überlegungen" von Neonazis argumentativ entgegen treten will. Diese Relativierung der deutschen Massenmordgeschichte und Ignoranz gegenüber Antisemitismus verbieten sich für eine linke Zeitung von selbst, ganz abgesehen davon, dass dieses Regime jede fortschrittliche linke Opposition mörderisch unterdrückt.

Wir sind mit dieser inhaltlichen Ausrichtung, die sich in einer derart vereinfachenden Position ausdrückt, wonach der Feind meines Feindes irgendwie auch mein Freund sei, nicht einverstanden. Ebenso entschieden, wie wir den Kriegsplänen gegen den Iran entgegentreten, lehnen wir ein Kleinschreiben eines virulenten und aggressiven Antisemitismus ab.

Gerhard Hanloser alias Walter Hanser (Freiburg)
Markus Mohr (Hamburg)
Matthias Reichelt (Berlin)
Franz Schandl (Wien)
Ralf Streck (Donostia)
Maike Dimar und Michael Liebler (Nürnberg)

Antwort von Arnold Schölzel

Liebe Kollegin, liebe Kollegen,

ich bin dagegen, Euren „Offenen Brief an die junge Welt und ihre Leserschaft" in „junge Welt" abzudrucken.

Als Beleg für Eure aus meiner Sicht absurden Behauptungen über das, was Ihr als „Blattlinie ...an vielen Punkten" bezeichnet, führt ihr zwei Texte vom Oktober und Dezember vergangenen Jahres an. Ob sie das hergeben, was Ihr aus ihnen lest, will ich offenlassen. Eine schnellere Reaktion wäre ja vorstellbar, wenn es denn solch ein Beschwernis für alle Unterzeichner war. Ich hätte eine Bemerkung zu Werner Pirkers Schwarzem Kanal vom 25. Februar in diesem Zusammenhang gut gefunden. Daß Knut Mellenthin, der fast täglich zum Konflikt mit dem Iran in jW schreibt, nicht erwähnt wird, spricht für sich.

Die fehlende sachliche Fundierung und der große zeitliche Abstand zu den angeführten Texten läßt darauf schließen, daß es Euch um andere Dinge als um Kritik an einer von Euch konstruierten „Blattlinie" geht. Dafür spricht auch, daß der Brief, der „an die Redaktionsleitung" adressiert ist, bereits in der jW-Leserinitiative München Gegenstand einer Diskussion war.

Was die Blattlinie angeht, ist es viel schlimmer, als Ihr offenbar annehmt. Sie richtet sich u. a. - ich hoffe, kontinuierlich und nicht nur punktuell - gegen Kriege, speziell übrigens deutsche bzw. Kriege mit deutscher Beteiligung, die ich einem herkömmlichen, nicht einmal nur marxistischen Sprachgebrauch zufolge tatsächlich als imperialistisch bezeichne. Die Erfahrungen, die ich aus Anlaß solcher Kriege 1999, 2001 und 2003 sammelte, besagen darüberhinaus, daß sich schon bei der Kriegsvorbereitung die Linke neu sortiert, anstatt alles für seine Verhinderung zu tun, erst recht, wenn der Krieg erst einmal begonnen hat.

jW mit Antisemitismus in Verbindung zu bringen ist die Geschäftsidee einer Hamburger Zeitschrift und ihr verbundener Autorinnen und Autoren. Diese Sicht der Dinge kann gern dort bleiben.

Entscheidend aber ist: jW sollte zumachen, wenn sie irgendeinem Wächterrat folgen würde. Tatsächliche Probleme können jederzeit im Gespräch mit mir erörtert werden.

Schöne Grüße

Arnold Schölzel

16.12.2005 / Ansichten / Seite 8

Der Sündenbock

US-Kriegsdrohungen gegen Iran
Von Werner Pirker

George W. Bush fühlt sich in seinem politischen Geographieverständnis bestätigt. Der Iran, sagte er auf die israelfeindlichen Äußerungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bezug nehmend, sei ein Staat auf der »Achse des Bösen«. Eines dieser Länder, den Irak, haben die USA bereits um seine Existenz als souveräner Staat gebracht. Bleiben noch Nordkorea und der Iran.

Ahmadinedschad hat in einer Rede den faschistischen Massenmord an den europäischen Juden in Zweifel gezogen. Er bezeichnete ihn als »Mythos«, der zur Rechtfertigung der staatlichen jüdischen Existenz in Nahost herangezogen werde. Das iranische Staatsoberhaupt scheint wenig Ahnung von europäischer Geschichte zu haben und schon gar keine von der Leidensgeschichte der Juden in Europa, deren grausamstes Kapitel in deutschen Vernichtungslagern geschrieben wurde. Die Shoa ist keine zionistische Erfindung. Sie hat als der kaltblütigste Völkermord in der Geschichte unbestreitbar stattgefunden. Sie zu leugnen entwürdigt jede Diskussion.

Ahmadinedschad bediente sich aber auch einer anderen Argumentationsebene. Sollte die Judenvernichtung tatsächlich stattgefunden haben, meinte er, dann sollten jene Länder dafür haftbar gemacht werden, die sie zu verantworten haben. Dann stünden Deutschland und Österreich in der Pflicht, den Juden einen Teil ihres Territoriums abzutreten. Der Konjunktiv, den der iranische Präsident bemühte, ist unakzeptabel. Aber gerade weil der Holocaust eine nicht zu bestreitende Tatsache ist, hat die Nation die Last der Sühne auf sich zu nehmen, die ihn unbestreitbar verübt hat – und da vor allem die Kraft, die sie zum Vernichtungswerk getrieben hat: das deutsche Großkapital.

Nachdem die Palästinenser zum Sühneopfer für deutsche Schuld gemacht wurden, ist es für die deutschen Eliten (und deren antideutsche Claqueure) ein leichtes, Solidarität mit dem jüdischen Kolonialstaat in Palästina zu üben. Die Kernfrage, die der Iraner zu Recht aufwarf, lautet: Warum muß das arabische Volk von Palästina für deutsche Verbrechen büßen?

Die Leugnung des Holocausts ist nach deutschem Recht ein Straftatbestand. Diese Rechtsauffassung hat sich offenbar auch die imperialistische Gewaltdiplomatie zu eigen gemacht. Die Höchststrafe lautet: Krieg! Die USA, verlautet es aus dem State Department, hätten die Mittel, einen zweiten Holocaust zu verhindern. Wer den ersten in Abrede stelle, so die Kriegsbotschaft, bereite den zweiten vor. So fließt die Verurteilung des größten vom Imperialismus je begangenen Verbrechens in die Legitimationsideologie des neuen imperialistischen Krieges ein. Das sollten sich wirkliche Antifaschisten nicht bieten lassen.

29.10.2005 / Ansichten / Seite 8

Geplante Provokation?

Irans Präsident mobilisiert die Straße
Von Werner Pirker

Auf den Straßen Teherans forderten am Freitag Zehntausende Demonstranten wie jedes Jahr am Ende des Ramadans die Befreiung Jerusalems. Doch diesmal hatte Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der in einer Rede für die Auslöschung des Staates Israel eintrat, die Stimmung zusätzlich angeheizt.

Es ist seit eh und je die Position des islamischen Regimes in Teheran gewesen, dem zionistischen Staat seine Existenzberechtigung abzusprechen. Wie das generell die Position islamistischer Bewegungen und des arabischen Nationalismus – des rechten wie des linken – ist. Das ist auch die Haltung, wie sie von einem, wenn auch marginalisiertes Spektrum in der israelischen Gesellschaft, sowohl von radikalen Linken als auch von Teilen des ultrareligiösen Lagers, eingenommen wird. In seiner Grundtendenz zielt der Antizionismus nicht auf die Vernichtung der jüdischen Existenz in Nahost, sondern auf die Zerstörung eines Projekts, das auf der Herrschaft von Siedlerkolonialisten über das palästinensische Volk begründet ist.

Ahmadinedschads verbaler Großangriff auf die US-amerikanisch-israelische Allianz kam dennoch überraschend. Denn er steht in einem deutlichen Kontrast zur gegenwärtigen iranischen Außenpolitik der leisen Avancen an die Westmächte. Washington bedurfte des iranischen Einflusses auf den Irak, um den schiitischen Widerstand zu neutralisieren. Das Säbelgerassel rund um die iranische Atomkraft dürfte eher den Zweck verfolgen, Teheran noch stärker auf eine Politik der Anpassung zu verpflichten, bzw. es davon abzuhalten, verstärkt eigene Interessen im Zweistromland mit dem Ziel der Schaffung eines schiitischen Machtblocks zu verfolgen.

Es deutet einiges auf einen Alleingang des iranischen Präsidenten hin. Ahmadinedschad wurde gewählt, weil er Erinnerungen an die sozialen Gerechtigkeitsideale und den Antiimperialismus der islamischen Revolution zu wecken vermochte. Doch die Pragmatiker im Machtapparat der Mullahs haben ihm nicht viel Spielraum gelassen. Nun hat er die Macht der Straße mobilisiert.
Der Präsident, der von der Straße kam, mag auch von der Einsicht geleitet worden sein, daß der Zeitpunkt, das amerikanisch-israelische Machtkartell herauszufordern, so günstig wie noch nie sei. Die US-Krieger stecken tief im irakischen Schlamassel. Das mag sie dazu verleiten, die Flucht nach vorne anzutreten und eine generelle Neuordnung in Nahost anzustreben. Doch dürfte die Bush-Administration, die auch innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand steht, zu einem solchen Kraftakt kaum noch in der Lage sein. Vor allem dann nicht, wenn sich der Iran und Syrien zur gemeinsamen Abwehr der Aggression verbünden würden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Leserbriefe zu diesem Artikel:

  • Martin Runow: Vorwürfe absurd 1. Bin ich sehr froh, daß es die "Junge Welt" gibt, weil sie tatsächlich die einzige Tageszeitung ist, die mutig und unerschrocken einen konsequenten antiimperialistischen Kurs hält und den öffentlich...
  • Mathias Bartelt: Wahrheiten und mehr Ganz unabhängig von jedweder Ideologie lehne ich ebenso entschieden wie die junge Welt die besagten Kriege und die Vorbereitungen dazu ab. Ich begrüße die möglichst unabhängige Berichterstattung der j...
  • Volker Jakobi: junge-Welt-Linie Keiner wird gezwungen, das einfach zu schlucken, was geschrieben wird. Das gilt für die jW im gleichen Maß wie für alle anderen Medien auch. Wer nicht in der Lage ist, gründlich zu prüfen und kritisch...