Vorhang auf!
Von Michael MerzAlles neu macht 2020: Für die Tageszeitung junge Welt findet dieses Jahr eine Premiere statt. Zwar veranstalten wir bereits seit 1991 einen Wettbewerb der Hobbyfotografinnen und -fotografen. Zum ersten Mal aber richten wir ihn nun in Eigenregie ohne Kooperationspartner aus. Das bringt uns vor allem Unabhängigkeit in der Themensetzung. Auch künftig werden wir besonders soziale und politische Aspekte hierfür heranziehen – damit, wie mit dieser Beilage geschehen, eine visuelle junge Welt aus dem Blickwinkel ihrer Leserinnen und Leser entstehen kann.
Die Neuausrichtung des Fotowettbewerbs geschah unter schwierigen Rahmenbedingungen: Die Coronakrise hatte über Frühjahr und Sommer das Land und seine Menschen im Griff. Das spiegelt sich in manchen Motiven wider, führte aber auch dazu, dass die Gelegenheiten, zur Kamera zu greifen, spärlicher waren – auf den Straßen, in den Städten und Dörfern hatte das öffentliche Leben oft eine Auszeit genommen. Insofern war um so mehr die Kreativität gefragt. 56 Fotografinnen und Fotografen vorwiegend aus der BRD, aber auch aus Dänemark, der Schweiz und Österreich haben uns insgesamt 191 Bilder geschickt. Die besten Fotos wurden auch diesmal wieder von einer Jury, bestehend aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Redaktion und Verlag der jungen Welt, ausgewählt. Herausragende Bilder sind darunter, manche stimmen nachdenklich, manche lassen schmunzeln, manche machen wütend. Was eben ein gutes Bild neben seiner dokumentarischen Funktion leisten soll: Emotionen wecken. Ein umgekippter Stuhl ist übrig auf der Bühne, auf der einst künstlerische Darbietungen von Sowjetsoldaten in Wünsdorf zu sehen waren – mit dem Motiv auf dieser Seite hat sich Mike-O. Freiberg den ersten Preis zum Thema »8. Mai – Tag der Befreiung« verdient. Bemerkenswert ist auch das Bild mit dem Titel »Durchblick«, das derselbe Fotograf zum Thema »Nachbarschaft« eingesandt hat – die weichen Gesichtszüge eines Kindes und der blaue Himmel stehen im Kontrast zu den harten Linien, die sich aus Rohren und Dächern formen (Seite 2). Dass das Lachen in Zeiten von Corona nicht verboten ist, beweist Josef Hinterleitner, der in Wien ein älteres Pärchen vor die Linse bekam, welches sich ganz unorthodox auf den Weg zum Badesee gemacht hat (Seite 6). Damit gewann er den ersten Preis für das Thema »Krankes System – Covid 19 und die Folgen«. Luftverschmutzung, Wasserqualität und Müllberge sind die Umweltprobleme, auf die Lisa Scholz, Nora Scholz und Franz Kramer im Jugendthema »Kampf um die Zukunft – Eine bessere Welt ist nötig« eingehen (Seite 8). Sie machen uns klar: Nur wer sich einbringt und engagiert, kann etwas verändern.
Leider können die für Mitte des Monats November geplante Preisverleihung und die Ausstellung besonders eindrucksvoller Fotos in der jW-Ladengalerie aufgrund des aktuellen Teillockdowns nicht stattfinden. Die Preise werden den Gewinnerinnen und Gewinnern statt auf dem Postweg überreicht. Alle prämierten Bilder sind auf der Website jungewelt.de/fotowettbewerb zu finden.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Leserbriefe zu diesem Artikel:
- Helge Brinkmann, Oldenburg: Gefällt nicht Ich verstehe nicht viel von Fotos, sehe mir aber gerne jedes Jahr mit Interesse die Auswahl der Bilder der Preisträger im Fotowettbewerb an. Dieses Jahr muss ich Euch allerdings bitten, mir zu helfen,...
- Michael Roth, Chile: Nichtssagend Die jW online gratis gehört zu meiner täglichen Pflichtlektüre. Informativ, parteiisch und unersetzbar. Was euren Fotowettbewerb angeht, so bin ich aber entsetzlich enttäuscht: formalistisch, nichtssa...
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