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Aus: Recht auf Wohnen, Beilage der jW vom 19.02.2025
Wohnungskrise in den USA

Land of the Homeless

Die Wohnungskrise in den USA spitzt sich zu. Immer mehr Familien sind obdachlos
Von Alex Favalli
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Großstadtaffen von Manhattan: Cover der dritten Ausgabe der BesetzerInnen-Zeitung (Berlin, 5.9.1990)

Tage bevor die verheerenden Brände in Los Angeles Anfang Januar über 10.000 Gebäude zerstörten, erneuerten Versicherer die Hausratversicherungen in später betroffenen Gebieten wie den Pacific Palisades und Altadena nicht mehr. Die steigenden Kosten sowie massenhafte Kündigungen ließen viele Bewohner ohne ausreichenden Schutz zurück. Hausbesitzer waren zum Jahreswechsel mit teilweise drastischen Erhöhungen der Jahresprämien konfrontiert worden. Der Versicherungskoloss Farmers Insurance vervierfachte Berichten zufolge seine Beiträge in den Monaten vor dem Ausbruch der Feuer. Hausratversicherungen wurden deutlich teurer. Angesichts solcher Umstände verzichteten viele der Bewohner gänzlich auf eine Versicherung – mit fatalen Folgen. Als die Gefahr eines Flächenbrandes aufgrund der Dürre wahrscheinlicher wurde, zogen sich Versicherer wie State Farm, Allstate und Chubb allmählich aus dem Markt zurück, um eine mögliche Insolvenz zu vermeiden. Allein State Farm kündigte rund 30.000 Verträge landesweit, vor allem aber in den westlichen Bundesstaaten. Die Brände in den Hügeln von Los Angeles zählen mit ihren Milliardenschweren Schäden zu den kostspieligsten Naturkatastrophen der US-Geschichte und verschärfen eine Krise, die sich schon lange abgezeichnet hat. Hausbesitzer haben inzwischen die Sicherheit, dass sie nach einer Umweltkatastrophe auf sich allein gestellt sein werden und ohne finanzielle Hilfe dastehen.

Vorhersehbare Katastrophe

Waren die Brände aufgrund der Prominenz der gut betuchten Palisades-Bewohner täglich in Funk und Fernsehen, ist die systematische Massenobdachlosigkeit in den Vereinigten Staaten nur selten ein Thema. Den Normalsterblichen in den USA geht zunehmend der bezahlbare Wohnraum aus. Das hat zu einem dramatischen Anstieg der Obdachlosigkeit geführt. Laut dem US-Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung (HUD) stieg die Zahl der Obdachlosen im vergangenen Jahr um 18,1 Prozent – die höchste je gemessene Zunahme. Insgesamt wurden mehr als 770.000 Menschen als obdachlos gezählt, wobei die Dunkelziffer höher sein dürfte. Bereits 2023 war die Zahl um zwölf Prozent gestiegen, was vor allem auf teure Mieten und die Einstellung staatlicher Hilfsprogramme nach der Covid-19-Pandemie zurückzuführen war. Besonders alarmierend war im vergangenen Jahr der Anstieg der Obdachlosigkeit unter Familien: In Metropolen wie New York, Chicago und Denver verdoppelte sich deren Zahl teilweise. Dies liegt vor allem an den Folgen der Gentrifizierung und der Migration in die Großstädte. Einige Städte verzeichneten einen Anstieg der Zugezogenen von über 100 Prozent, während in den kleineren Gemeinden der Bevölkerungsanstieg durchschnittlich bei unter acht Prozent lag. Beinahe 150.000 Kinder waren im Jahr 2024 mindestens eine Nacht ohne Obdach, was einem Anstieg von 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Experten machen die jahrelange Vernachlässigung erschwinglicher Wohnmöglichkeiten von politischer Seite für die wachsende Obdachlosigkeit verantwortlich. »Der Anstieg der Obdachlosigkeit ist eine vorhersehbare Folge davon, dass zuwenig in Wohnraum und Schutzmaßnahmen investiert wird«, so Renee Willis, Chefin der National Low Income Housing Coalition, gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Gleichzeitig wächst der öffentliche Druck auf städtische Behörden, gegen »illegale« Zeltlager vorzugehen. Nachdem der Oberste Gerichtshof 2024 entschieden hatte, dass Campingverbote auf öffentlichen Plätzen nicht verfassungswidrig sind, haben viele Städte härtere Maßnahmen gegen Obdachlose eingeführt.

Kartellwerkzeug

Dabei zeigte das texanische Dallas, wie es anders gehen könnte: Die Stadt verzeichnete zwischen 2022 und 2024 einen Rückgang der Obdachlosenzahlen um 16 Prozent, nachdem die Gemeinde ihr Hilfesystem schlichtweg mit mehr finanziellen Mitteln ausgestattet hatte. Zu einfach, um wahr zu sein. Laut der Chefin der »National Alliance to End Homelessness«, Ann Oliva, ließen sich positive Modelle einzelner Gemeinden problemlos auf Bundesebene ausweiten und anwenden. Dafür benötige man schlicht »überparteiliche Unterstützung, ausreichende Finanzierung und kluge politische Maßnahmen«. Die zugespitzte Krise jedenfalls stellt die angeblichen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte in Frage. Zwischen 2010 und 2017 war die Zahl der Obdachlosen von 637.000 auf 554.000 gesunken, da verstärkt in Hilfsprogramme investiert wurde. Doch nach der Covid-19-Pandemie begann die Zahl aufgrund von Austeritätsmaßnahmen zu steigen. Angesichts des radikallibertären Auftaktes der Regierung von Donald Trump ist davon auszugehen, dass sich die Lage für Millionen Menschen in Zukunft verschlechtern wird. Es ist kein Zufall, dass es Trump unter anderem auf das Justizministerium abgesehen hat, bleibt es doch eine der wenigen Behörden, die der Kürzungswillkür einigermaßen Widerstand leisten könnten. Tatsächlich haben die Justizbehörden im Januar Anklage gegen sechs der größten Vermietungskonzerne des Landes erhoben. Der Vorwurf: Diese Unternehmen hätten sich mit Hilfe von Algorithmen abgesprochen, um Mieten künstlich hoch zu halten. Gemeinsam kontrollieren diese Konzerne über 1,3 Millionen Wohneinheiten in 43 Bundesstaaten. Die Nutzung algorithmischer Preisbildung, die als »objektive Marktsteuerung« verkauft wird, entpuppte sich als perfides Kartellwerkzeug: Sensible Mietdaten wurden ausgetauscht, strategische Preisabsprachen getroffen und die Kosten für Millionen Mieter bewusst in die Höhe getrieben.

Während Millionen von Menschen in den vergangenen Jahren mit rasant steigenden Mieten, stagnierenden Löhnen und zunehmender Obdachlosigkeit kämpften, koordinierten diese Immobiliengiganten ihre Preisstrategien. Durch »Call-Arounds« und in »User Groups« trafen sich Vertreter der Konzerne, um ihre Preisstrategien abzustimmen – ein klarer Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, vor allem aber ein weiterer Vorstoß, um bezahlbaren Wohnraum endgültig zu beseitigen. Unabhängig vom Ausgang des Prozesses wird er lediglich ein Symbolakt bleiben und lässt das grundsätzliche Problem unangetastet: Mieter werden dem grenzenlosen Profitstreben großer Wohnkonzerne ausgesetzt sein. All jene, die schlicht ein Dach über dem Kopf benötigen, werden die Kosten tragen.

Alex Favalli ist freier Autor und befasst sich schwerpunktmäßig mit den USA.

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