Das Feindbild steht
Von Marc BebenrothHorch und Guck zieht Jahresbilanz: Am Dienstag haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, in Berlin vor Journalisten den Bericht des Inlandsgeheimdienstes für 2023 präsentiert. Es gebe »nicht viel Positives zu berichten«, sagte Haldenwang, bisherige Negativtrends hätten sich fortgesetzt. Neben dem wachsenden Gefahren- und Personenpotential von »Extremisten« aller Couleur stehe »unsere Demokratie« auch durch das »russische Regime« mit seiner »massiven« hybriden Bedrohung unter »erheblichem Druck«, erklärte Faeser.
Außer der Russischen Föderation nannte die SPD-Politikerin die Volksrepublik China und den Iran als die Staaten, die nicht nur durch Spionage, Sabotage und »Cyberangriffe«, sondern auch durch das Verbreiten von »Desinformation« in Deutschland auffällig geworden seien. Beobachtet würden außerdem Versuche anderer Staaten, »hier lebende Oppositionelle zu überwachen und zu verfolgen«. Auf Nachfrage von junge Welt, ob das auch für mit der Bundesrepublik verbündete Regierungen gelte, wich Faeser aus.
Die dazu hinterher schriftlich gestellte jW-Anfrage an das von ihr geleitete Ministerium, ob EU-Mitgliedstaaten, die Türkei oder die USA in Deutschland lebende Oppositionelle überwachen und verfolgen, beantwortete das Bundesamt für Verfassungsschutz und verwies auf den vorliegenden Bericht. Den Ausführungen Faesers sei »nichts hinzuzufügen«. Das Dokument nennt tatsächlich nicht nur Russland, China und Iran. Auch der NATO-Staat und asylpolitische Partner Türkei späht demnach Vereinigungen und Einzelpersonen hierzulande aus, die »tatsächlich oder mutmaßlich in Opposition zur türkischen Regierung stehen«. Hauptziel seien von der Türkei als »extremistisch oder terroristisch« eingestufte Organisationen, darunter die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Haldenwang zufolge habe der Angriff der Hamas vom 7. Oktober auf Stellungen der israelischen Armee und auf israelische Zivilisten »direkte Auswirkungen auf die innere Sicherheit« der BRD. Faeser beklagte einen »widerwärtigen Judenhass« und sprach von einem »drastischen Anstieg« antisemitischer Straftaten. Man gehe »aktiv gegen jede Art antiisraelischer und antisemitischer Hetze« vor. Mit Blick auf »Linksextremisten« heißt es im Bericht, dass diese auch nach dem 7. Oktober weiterhin gespalten auftreten. »Autonome Linksextremisten« würden sich »proisraelisch« positionieren, »antiimperialistische« dagegen »propalästinensisch«.
Zu den fortgesetzten »Negativtrends« des Berichtswesens des Bundesamtes lässt sich auch die Nennung dieser Zeitung zählen. Der Eintrag über junge Welt als »bedeutendstes und auflagenstärkstes Medium« im Kapitel »Linksextremismus« ist nahezu identisch mit dem aus dem Vorjahr. So soll erneut die Behauptung, jW strebe »die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung« an – eine Wortwahl, die den Nennungen von beobachteten Parteien ähnelt –, suggerieren, dass es sich um »mehr als ein Informationsmedium« handele. Außerdem wird dieser Zeitung vorgeworfen, sich »nicht ausdrücklich zur Gewaltfreiheit« zu »bekennen« – im Vorjahresbericht war noch von »erklären« die Rede.
Gegen die Bekämpfung durch den Inlandsgeheimdienst wehrt sich der Verlag 8. Mai GmbH, in dem junge Welt erscheint, juristisch. Am 18. Juli soll die erstinstanzliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin stattfinden.