Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
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Aus: Ausgabe vom 11.07.2009, Seite 17 / Aktion

Linke Strukturen aufbauen

Ohne ihre Genossenschaft kann die Tageszeitung junge Welt nicht existieren
Von Dietmar Koschmieder
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Die Notwendigkeit einer linken Tageszeitung, die sich bei der Beschreibung und Analyse von Geschichte und Gegenwart der Instrumente bedient, wie sie etwa von Marx, Engels und Lenin entwickelt wurden, liegt auf der Hand. Und daß so eine Tageszeitung ihre Existenz nicht über Anzeigen finanzieren wird, auch. Wenn aber auch keine Kirche, Organisation oder Partei Gelder für Investitionen, für die Liquidität und die Bilanzsicherung zur Verfügung stellt, wer kommt dann für die Kosten auf, die nicht durch Einnahmen gedeckt werden, zumal keine Bank so ein Unternehmen für kreditwürdig hält?

Als die Produktion der Tageszeitung junge Welt im April 1995 nach 48 Jahren eingestellt wurde, glaubte zunächst noch nicht einmal die Belegschaft, daß daran was zu drehen sei. Auch eine Tageszeitung ist gegenwärtig kapitalistischen Verwertungsregeln unterworfen. Und hätten die damaligen Eigentümer noch Möglichkeiten gesehen, mit der jungen Welt Profite zu realisieren – sie hätten ohne Zweifel mit dem Konkurs noch etwas gewartet. Also wurden Verluste maximiert, die Leserinnen und Leser nochmals abkassiert und dann das Ende der jungen Welt beschlossen.

Der damalige Betriebsrat verkündete umgehend, daß weitergemacht wird. Weitermachen kostet aber Geld. Das notwendige Stammkapital für die Gründung einer GmbH (dem Verlag 8. Mai GmbH) und für eine erste Druckrechnung konnte gerade noch aufgebracht werden. Wer aber sichert die ökonomischen Grundlagen des Verlages langfristig? In dieser Situation entstand die Idee, ein gemeinsames Projekt zu starten. In der Bundesrepublik stehen jedoch keine gesetzlich verankerten Unternehmensformen zur Verfügung, die dem Bedürfnis entsprechen, gemeinschaftlich zu produzieren und kollektiv über die Ergebnisse dieser Arbeit zu verfügen. Es gab Zeiten, in denen die Grünen versuchten, einen entsprechenden Gesetzestext im Bundestag einzubringen. Heute wollen sie nichts mehr davon wissen. Aber selbst wenn es solch eine Form gäbe: Der Zwang, kapitalistische Gesetzmäßigkeiten zu beachten, würde dadurch nicht aufgehoben, solange der Kapitalismus nicht abgeschafft ist. Mangels anderer Möglichkeiten beschlossen wir deshalb 1995, eine Genossenschaft zu gründen. Obwohl die Chefin der Bank für kleine und mittlere Unternehmen dies für altmodisch hielt und uns zur Gründung einer nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft – also organisiert wie ihre Bank – riet. Ihre Bank ist mittlerweile bankrott, und wir sitzen mit unserer Genossenschaft in den ehemaligen Räumlichkeiten dieser Bank.

Trotzdem gab es berechtigte Gründe für die Skepsis der Bankdirektorin. Oft existieren Genossenschaften nur, solange sie ökonomische Probleme haben. Sobald sie Überschüsse erwirtschaften, werden sie privatisiert. Realisierbare Gewinne werden auf Dauer nicht einer Genossenschaft überlassen. Dieser Erfolgs- und Anpassungsdruck – und das meint im Kapitalismus immer auch den Zwang, Gewinne zu erwirtschaften – führt dazu, daß Genossenschaften sehr schnell von ihren ursprünglichen Zielen Abstand nehmen. Aus Wohnungsgenossenschaften, die neue Formen des Zusammenlebens ausprobieren wollten, werden Zwangsverwaltungen des bürgerlich-familiären Wohnglücks. Produktivgenossenschaften, die mit dem Anspruch angetreten sind, Arbeit gleichberechtigt zu organisieren, mutieren zu effektiven Unternehmen mit klaren hierarchischen Macht- und Besitzstrukturen. Politische Genossenschaftsprojekte scheitern schließlich meistens, weil sie ökonomisch nicht funktionieren oder die Genossinnen und Genossen sich nach kurzer Zeit zerstreiten. Meistens kommt beides zusammen.

Wir gingen das Risiko ein und initiierten parallel zum Verlag 8. Mai GmbH die LPG junge Welt eG. Die Bildung einer Genossenschaft setzt aber viele Monate Behördenkampf voraus. Während der Verlag noch im April 1995 agieren konnte, fand der Gründungsakt der Genossenschaft erst am 7. Oktober 1995 statt. Erst jetzt konnten wir damit beginnen, Anteile zu sammeln, um den Zweck der Genossenschaft zu erfüllen. 1998 war ein Minimum an Kapital zusammen, um die Mehrheit am Verlag 8. Mai zu übernehmen. Seither sind die Mitglieder der Genossenschaft LPG junge Welt eG Herausgeber der Tageszeitung junge Welt. Von Anfang an war aber auch klar, daß die junge Welt kein basisdemokratischer Betrieb sein kann. Zum einen, weil die politische Linie des Blattes nicht ständig unterschiedlichen Abstimmungsergebnissen angepaßt werden sollte. Zum anderen aber auch, weil sich unternehmerisch notwendiges Handeln nicht immer nach Mehrheitspositionen richten kann. Unter den gegebenen Verhältnissen existiert eine Zeitung wie die junge Welt nur auf Dauer, wenn sie die Aufwendungen, die sie verbraucht, selbständig erwirtschaftet. Die Rechnung muß also auch im kapitalistischen Sinne aufgehen. Keine Basisdemokratie heißt, daß unsere unabhängige Chefredaktion nach dem Chefredakteursprinzip die Zeitung inhaltlich leitet. Und die Geschäftsführung ist zum umfassenden Handeln befugt. Der Geschäftsführer wird aber vom Vorstand der Genossenschaft bestellt, der wiederum von der Versammlung der Mitarbeitenden Genossinnen und Genossen gewählt wird. Für die Kontrolle ist der Aufsichtsrat zuständig, den die Generalversammlung der Genossenschaft wählt. Der Aufsichtsrat kann den Vorstand absetzen (was dann allerdings von einer Generalversammlung bestätigt werden muß). Die Belegschaft hat weitgehende Mitwirkungsmöglichkeiten, und die mitarbeitenden Genossinnen und Genossen haben besondere Rechte. Dieses System hat uns bisher über alle Konflikte und Klippen gerettet und sich als sehr effektiv herausgestellt.

Vor allem ist es uns gelungen, den zentralen Zweck der Genossenschaft nie aus den Augen zu verlieren. Jedes auf dem kapitalistischen Markt agierende Unternehmen braucht in bestimmten Phasen zusätzliche Mittel zur Vorfinanzierung von Investitionen, zur Deckung von Liquiditätslücken und zur Sicherung der Bilanz. Die junge Welt kann ihre Potentiale, die sie als kleinste der überregionalen Tageszeitungen in der BRD hat, nur dann ausschöpfen, wenn sie zum täglichen Geschäft auch Kampagnen und Aktionen, Investitionen und Projekte finanzieren kann. Mittel, die nicht kurzfristig, sondern bestenfalls über Monate und Jahre hinweg refinanziert werden. Krisen können wir nur durchstehen, wenn nicht aufgrund formaler Vorschriften schon mit der ersten Finanzierungslücke Konkurs angemeldet werden muß. Auf dieser Grundlage baut das Prinzip unserer ökonomischen Organisation auf. Ziel ist es zunächst, die Kosten für die tägliche Produktion der jungen Welt über die Abogebühren und andere Einnahmequellen des Verlages zu erwirtschaften. Die Gelder der Genossenschaft werden vor allem gebraucht, wenn größere Investitionen nötig sind (für Technik, einen Umzug oder Personalerweiterung zum Beispiel), wenn Liquiditätsengpässe auftreten (weil die Haupteinnahmen über Abonnements je nach Monat sehr unterschiedlich zur Verfügung stehen) oder wenn die Bilanz zu viele Verluste verkraften muß. In diesem Fall gibt die Genossenschaft eine sogenannte Rangrücktrittserklärung für Teile ihrer Kredite an den Verlag ab, um eine Überschuldung zu vermeiden. Nur weil die Genossenschaft diesen Aufgaben immer wieder gerecht werden konnte, existiert die junge Welt heute noch.

Um den kommenden Aufgaben in den sich zuspitzenden Klassenauseinandersetzungen gewachsen zu sein, braucht die junge Welt und damit die Genossenschaft allerdings eine neue Stärke. Hinzu kommen Veränderungen auf dem Medienmarkt, die auch für die junge Welt eine Herausforderung darstellen. Die zunehmenden Krisenerscheinungen haben auch auf Verlag und Zeitung ihre Auswirkungen. Wenn es uns nicht gelingt, den Bestand an bezahlten Print- und Onlineabos in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen, wird man diese kleine Zeitung gnadenlos unterbuttern. Für herkömmliche Wege, unsere Zeitung auf dem Markt zu plazieren, fehlen uns nicht nur die Millionenetats, sie werden auch von der bürgerlichen Öffentlichkeit verbaut. Sie erwähnen die junge Welt im Verfassungsschutzbericht oder denunzieren sie in ihrer Berichterstattung – nicht ohne Absicht, nicht ohne Wirkung. Wir sind oft zu schwach, um dagegenhalten zu können. Und die linken Bewegungen im Land stehen erst am Anfang und verfügen daher noch nicht über eine selbstbewußte, offensive Gegenkultur. Aber ohne eigene Strukturen, ohne eigene Kultur, die uns unabhängig vom bürgerlichen Betrieb machen, werden sich linke Projekte, Parteien und Zeitungen nicht durchsetzen können. Die Entwicklung unseres Abobestandes und die Zahl der Genossinnen und Genossen, die Anteile unserer Genossenschaft zeichnen, sind daher auch ein Gradmesser für die Entwicklung des Klassenbewußtseins im Lande. Sie sind aber vor allem materielle Voraussetzung dafür, daß die junge Welt weiter an Qualität und Einfluß gewinnt.

Es hat 15 Jahre gedauert, bis 1000 Genossinnen und Genossen unserer LPG beigetreten sind. Daß dies überhaupt gelingt, hätten wir uns bei der Gründung nicht träumen lassen. Heute aber sind wir selbstbewußter und auch kritischer: Es ist schon erstaunlich, wie schwer es sich die Linke in Deutschland macht, ihre eigene Kultur, ihre eigene Zeitung, ihre eigene Genossenschaft aufzubauen. Was sind schon 1000 Genossinnen und Genossen bei den Aufgaben, die vor uns stehen? Jedem Gewerkschafter, jedem Kämpfer der Antifa, jedem Mitglied einer linken Partei, allen, die in Bewegungen kämpfen und überhaupt alle, die für eine andere Gesellschaftsordnung eintreten, brauchen eine unabhängige linke Tageszeitung und die Genossenschaft, die ihre Existenz sichert. Und deshalb brauchen wir Ihr Abo, aber auch Ihren Genossenschaftsanteil. Werden Sie Herausgeber der jungen Welt.

Der Beitrag stammt aus unserer aktuellen Broschüre »Unsere Zeitung. Unsere Kultur. Unsere Genossenschaft«.

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Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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