Warteschleife für Genießer
Von Wiglaf DrosteNach drei für mich erfreulichen Stunden rufe ich, wie verabredet, Punkt neun Uhr morgens eine Nummer an. Eine Maschine springt an, Fertigsoße, instant und gefriergetrocknet, tropft mir ins Ohr. Eine weibliche Stimme, in der Flirtfangflotte ausgebildet, säuselt los: »Genießen Sie noch einen Moment die Musik ...«
Wie viele Lügen sind in diesen sechs Wörtern eher schlecht als gut versteckt? Von »Genießen« kann keine Rede sein, der »Moment« wird zu einem Zeitmaß, das dehnbarer ist als der Schließmuskel einer pensionierten Pornofilmdarstellerin, und Musik im näheren Sinn ist auch keine zu hören.
Doch in Zeiten des Genusszwangs und »Genieß! Es!! Gefälligst!!!«-Terrors muss man eben auch Telefonwarteschleifengepladder »genießen«, akustische Schmierseife, passend zur falschfreundlichen Stimme, die vom Dauerheucheln ganz glattgeschliffen ist. »Jede Sekunde, die Sie warten, widmen wir unseren Klienten ...«, haucht sie jetzt, ich lege auf, überlege kurz, ob anderntags ab 5.45 Uhr zurückgelogen wird, vergesse das sofort wieder, schalte mein Telefon – warum eigentlich nicht für immer? – aus und widme mich einer Stille, die trügerisch sein mag, aber wenigstens stumm bleibt. Solitüde ist keine Attitüde und macht wach statt müde.
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