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Aus: Ausgabe vom 19.06.2024, Seite 5 / Inland
Widerstand in Kleinkleckersdorf

Erst Kündigung, dann Knast?

Kleine Siedlung in Berlin-Reinickendorf stemmt sich gegen Investor. 84jährigem »Manne« droht nach Kündigung nun auch noch Ordnungshaft
Von Susanne Knütter
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Sie geben nicht auf: »Kleinkleckersdorf« vor dem Amtsgericht Wedding (am Dienstag)

Sie haben aufgehört zu zählen, wie oft sie bereits verklagt wurden. »Dauerhaft«, sagt Hans-Hartmut Lenz, Sprecher der Siedlung am Steinberg in Berlin-Reinickendorf. »Manchmal kommen wir zur Gerichtsverhandlung und wissen noch nicht mal, worum es geht.« Es sei auch schon vorgekommen, dass drei Mieter gleichzeitig anrücken mussten. »Bei dem einen ging es um Mietschulden, beim zweiten um einen Parabolspiegel, beim dritten um einen Geräteschuppen.« Lenz sei vorgeworfen worden, dass er bei einer Demonstration über die Situation am Steinberg gesprochen hatte. Die Klageschriften, die ins Haus flatterten, seien in der Regel so verfasst, als seien die Mieter längst verurteilt, erläuterte Lenz am Dienstag gegenüber jW. Tatsächlich haben die Mieter aber immer gewonnen. Bis vor anderthalb Monaten. Da entschied das Amtsgericht Wedding, der 84jährige Manfred Moslehner soll raus aus der Wohnung, in der er bereits sein ganzes Leben wohnt.

Seit mehr als zehn Jahren wehrt sich »Kleinkleckersdorf« – so wird die kleine Reihenhaussiedlung inoffiziell genannt – gegen die Pläne und Schikanen des Vermieters. 2010 erwarb ein Investor die 1920 fertiggestellte und 2004 unter dem rot-roten Senat bereits privatisierte Arbeitersiedlung. Die »Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft« wurde gegründet und damit beauftragt, die 38 Häuschen in Betongold zu verwandeln. Damit begannen allmählich die Probleme. »Ich hatte nie Ärger«, sagte Manfred Moslehner im Gespräch mit jW. »Mit der Übernahme fing es an. Dann wurde es immer schlimmer.« Eine Zeit lang sei es »etwas lockerer« gewesen, so Moslehner in bezug auf die Erfahrungen der letzten Jahre. »Früher wusste man, man hat immer noch Gegenmittel.« Das sei jetzt anders.

Manfred Moslehner, genannt Manne, dürfe laut Gericht, zwar vorerst in seiner Wohnung bleiben, bis das Verfahren letztinstanzlich abgeschlossen ist. Aber als Manne am Dienstag wieder vor dem Amtsgericht Wedding erscheinen musste, drohte ihm sogar eine Ordnungshaft. Der Vorwurf: Am 22. September letztes Jahr habe er geplante Modernisierungsarbeiten behindert. An dem Tag sollte Manne seinen Wohnungsschlüssel abgeben. Als dann ein Mann kam, der sich nach Angaben der Mieter auch auf Nachfrage nicht vorgestellt hatte, um den Schlüssel abzuholen, lehnte Manne ab, mit den Worten »Ich habe nur den einen Schlüssel«.

Bei der Verhandlung am Dienstag räumte Uli Stefan M., der damals Junior Asset Manager bei der Wertconcept Investment Group GmbH war und beauftragt wurde, den Schlüssel zu holen, ein, sich möglicherweise nicht vorgestellt und nicht von Handwerker- oder Modernisierungsarbeiten gesprochen zu haben. Erinnerungslücken. Dafür meinte er sich zu entsinnen, dass derjenige, der ihn nach seinem Namen gefragt hatte, sich als Mitglied der Klimaschutzgruppe »Letzte Generation« vorgestellt hätte, ihn außerdem bedrängt und fotografiert haben soll. Lachen im Saal. Denn der, den der ehemalige Schlüsseleintreiber meinte, war Hans-Hartmut Lenz. Am 22. September war der mit vielen Nachbarn zur solidarischen Unterstützung vor Ort. Wie überhaupt regelmäßig. Seit Jahren veranstalten die Nachbarn Protestkundgebungen in der Siedlung. »Früher täglich«, sagte Selia Colbe, die selbst seit 1987 in der Siedlung wohnt, gegenüber jW. »Jetzt dreimal in der Woche, von früh bis spät«. Diesen Dienstag begleiteten sie Manne ins Gericht.

Der zweite Zeuge, der an dem Tag aussagte, war Carl Maria Holetschek, Mitarbeiter im Wahlkreisbüro des SPD-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus, Sven Meyer. Er entkräftete die »Letzte Generation«-Geschichte und dass der Angestellte der externen Firma fotografiert oder gar bedrängt worden sei. Von wem und warum die Polizei gerufen worden war, erschloss sich ihm nicht. Die Folgen aber waren: die fristlose Kündigung von Manfred Moslehner und die Androhung eines Ordnungsgeldes bzw. einer Ordnungshaft, sollte er den Betrag, der gegebenenfalls vom Gericht festgesetzt wird, nicht zahlen können. Wie die Richterin in der Sache am Dienstag entschied, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt.

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