Das böse Russland
Von Peter MergDer Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht 2024 an die polnisch-amerikanische Historikerin und Publizistin Anne Applebaum. Das teilte der Stiftungsrat am Dienstag mit. »In einer Zeit, in der die demokratischen Errungenschaften und Werte zunehmend karikiert und attackiert werden, wird ihr Werk zu einem eminent wichtigen Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden«, heißt es zur Begründung.
Das trifft präzise den Zweck der Auszeichnung. An Applebaums Arbeit interessiert ausschließlich deren politische Stoßrichtung. Überhaupt scheint sie in diesem Jahr der Liebling der bundesrepublikanischen staatstragend-linksliberalen Kulturinstitutionen zu sein, bekam sie doch erst unlängst den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024 der Stadt Oldenburg. Sie qualifizierte sich dafür mit ihrer ausdauernden Feindschaft gegen den »russischen Autoritarismus«. Wahrscheinlich muss sie bald einen neuen Vitrinenschrank kaufen.
Applebaum begann 1988 als Polen-Korrespondentin der britischen Wochenzeitung The Economist eine journalistische Karriere, die sie bis ins Editorial Board der US-Tageszeitung The Washington Post führte, für die sie bis 2019 Kolumnen schrieb. Als Buchautorin wurde sie bekannt mit dem Werk »Der Gulag« (2003), in dem sie das sowjetische Lagersystem als Spiegel der ganzen Sowjetgesellschaft deutete und eine große Ähnlichkeit zu den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis erkannte. 2004 erhielt sie dafür den Pulitzer-Preis. Es folgten nicht weniger meinungsstarke Bücher wie »Der Eiserne Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas 1944–1956« (2012) und »Roter Hunger. Stalins Krieg gegen die Ukraine« (2019), in denen sie etwa die bei Historikern stark umstrittene These eines geplanten Genozids der Sowjetführung an den Ukrainern vertrat (»Holodomor«). Der Stiftungsrat findet das »so tiefgründig wie horizontweitend«. Zuletzt versuchte sie recht unbeholfen »Die Verlockung des Autoritären« (2020) zu entschlüsseln.
Applebaum wurde 1964 in Washington D. C. in eine jüdische Familie geboren. Mit Unterbrechungen lebt sie seit Jahrzehnten in Polen, sie ist mit dem liberalen polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet. Die Ehrung wird zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse überreicht, diesmal am 20. Oktober. Im vorigen Jahr wurde der liberale britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie ausgezeichnet, vor zwei Jahren der nationalistische ukrainische Schriftsteller Sergij Schadan. Mit dem Preis will der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 1950 Persönlichkeiten würdigen, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur »Verwirklichung des Friedensgedankens« beigetragen haben. Applebaum tritt im übrigen für einen Siegfrieden im Ukraine-Krieg ein.
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