Rotlicht: Strafzölle
Von Jörg KronauerStrafzölle, so behauptet es die reine Lehre der bürgerlichen Ökonomie, gibt es nicht. Denn Zölle dienen nicht dazu, irgendwen zu bestrafen; sie sollen nur die eigene Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz schützen. Letzteres ist der Grund, weshalb Staaten bestimmte Waren aus anderen Ländern bei der Einfuhr mit speziellen Abgaben belegen – mit Einfuhrzöllen eben. So einfach ist das, sagt die Volkswirtschaft.
Nun, wenn’s im wirklichen Leben doch tatsächlich so einfach wäre. Unter den Einfuhrzöllen gibt es eine spezielle Sorte: die Antidumpingzölle. Ein Staat kann sie verhängen, wenn er, wie der Name schon sagt, folgender Auffassung ist: Ein anderes Land kippt – »to dump«; engl.: kippen, abladen – ganze Berge an künstlich verbilligten Waren auf seinen Inlandsmarkt und sticht damit einheimische Hersteller gnadenlos aus. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, kann der betroffene Staat auf die Einfuhr der betreffenden Waren die erwähnten Antidumpingzölle erheben. Sie gleichen dann, so lautet die Idee, die künstliche Verbilligung der importierten Waren aus, und die einheimischen Hersteller können auf ihrem Inlandsmarkt wieder mithalten.
Für Antidumpingzölle gibt es Regeln, die die Welthandelsorganisation (WTO) im Detail festgelegt hat. Wer sie verhängen will, muss nachweisen, dass Dumping vorliegt, dass die inkriminierten Waren in der Tat künstlich verbilligt wurden, beispielsweise durch unzulässige staatliche Subventionen. Darüber hinaus muss man belegen, dass das Dumping wirklich relevante ökonomische Schäden hervorruft. Doch auch damit ist die Sache in der Regel lange nicht ausgestanden. Denn das Land, gegen dessen Waren Antidumpingzölle verhängt werden, reagiert in der Regel nicht mit Freudentänzen; häufig schlägt es hart zurück, und zwar mit Vergeltungszöllen. Ein Klassiker sind die Zollschlachten, die sich EU und USA mehrmals lieferten, als sie sich gegenseitig vorwarfen, ihre Luftfahrtkonzerne Airbus respektive Boeing unrechtmäßig zu subventionieren. Damit die Sache nicht vollkommen aus dem Ruder läuft, unterhält die WTO für solche Fälle ein Streitschlichtungsgremium, das im Konfliktfall interveniert.
Doch spätestens unter Präsident Donald Trump haben die USA die Sache mit den Zöllen ganz gezielt aus dem Ruder laufen lassen. Sie haben flächendeckend hohe Zölle verhängt – primär gegen China. Dabei ging und geht es längst nicht mehr nur darum, sich gegen Dumping zur Wehr zu setzen: Die Zölle dienen inzwischen als Instrument eines ausgewachsenen Handelskriegs, den man damit legitimiert, dass man seinen Gegner für was auch immer bestrafen muss. Der Begriff »Strafzölle« ist seither en vogue. Da es in einem Handelskrieg aber natürlich nicht darauf ankommt, eine Lösung zu finden, sondern nur noch darauf, den Gegner niederzuringen, haben die USA das WTO-Streitschlichtungsgremium ausgehebelt: Sie haben ganz stumpf die Nachwahl seiner Richter blockiert. Seit Ende 2019 unterschreitet das Gremium die Mindestanzahl der Richter: Es ist handlungsunfähig. Und so schwelt der transpazifische Handelskrieg mit seinen Strafzöllen vor sich hin.
Aktuell bereitet die EU sich darauf vor, im größeren Stil in den Handelskrieg gegen China einzusteigen. Noch gibt sie sich Mühe, den Schein zu wahren: Sie berechnet die Zölle, die sie verhängen will, mit einigem Aufwand als international anerkannte Antidumpingzölle, die sie damit legitimiert, dass China etwa die Fertigung von Elektroautos exzessiv subventioniert habe. Damit räumt sie freilich auch ein, dass europäische Elektroautos inzwischen vor Elektroautos aus der Volksrepublik geschützt werden müssen, da die chinesischen Produkte, Subventionen hin oder her, mittlerweile den eigenen überlegen sind. Die Zölle sind in diesem Fall, wie so oft, ein Zeichen ökonomischer Schwäche und, wenn man so will, ein weiterer Beleg dafür, dass die lange Zeit allzu sicher geglaubte führende Stellung Europas in der Welt ihrem historischen Ende entgegengeht.
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