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Aus: Ausgabe vom 03.07.2024, Seite 6 / Ausland
Syrisch-türkische Beziehungen

Rebellion der Söldner

Nach Übergriffen auf syrische Flüchtlinge in der Türkei kommt es in Nordsyrien zu Protesten gegen türkische Besatzer
Von Nick Brauns
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Protestdemonstration in der Region Aleppo gegen rassistische Übergriffe in der Türkei (1.7.2024)

Während es in der Nacht auf Dienstag den zweiten Tag in Folge zu teils pogromartigen rassistischen Übergriffen auf syrische Flüchtlinge in der Türkei kam, sehen sich türkische Truppen mit einer Revolte ihrer eigenen Söldner in türkisch kontrollierten Regionen Nordwestsyriens konfrontiert.

In den im Regierungsbezirk Aleppo gelegenen Städten Al-Bab, Al-Rai, Asas, Al-Atarib und Afrin kommt es seit Montag zu Angriffen der Einwohner auf Gebäude und Stützpunkte der türkischen Besatzer. Mindestens fünf Menschen wurden allein in Afrin getötet und 40 verletzt, als türkische Soldaten das Feuer auf die Protestierenden eröffneten, meldete die nordsyrische Nachrichtenagentur North Press. Auch in Asas schossen Soldaten scharf, nachdem Demonstranten den Grenzübergang Bab Al-Salama zur Türkei gestürmt, Lastwagen anzündet und türkische Fahnen verbrannt hatten. In Al-Bab wurde der Abzug der Besatzungstruppen gefordert, wie die kurdische Nachrichtenagentur Medya News berichtete. Bei vielen Protestierenden handelt es sich um Angehörige der Syrischen Nationalarmee, einer aus meist islamistisch orientierten Kampfgruppen der syrischen Opposition gebildeten Truppe, die in den letzten Jahren faktisch als Söldnerheer Ankaras fungierte und vor allem gegen die kurdisch geführte Selbstverwaltung in Nordostsyrien aber auch in Libyen zum Einsatz kam.

Auslöser der Proteste waren Meldungen über ein Pogrom türkischer Nationalisten gegen Syrer in der zentralanatolischen Stadt Kayseri. Nach Gerüchten, wonach ein Syrer ein Mädchen sexuell belästigt habe, war dort am Sonntag abend ein brandschatzender Mob durch ein von syrischen Flüchtlingen bewohntes Viertel gezogen und hatte deren Häuser, Läden und Autos zerstört. In der Nacht zum Dienstag kam es unter anderem in Kayseri, Hatay, Adana, Şanlıurfa, Bursa und Gaziantep zu erneuten Angriffen auf vermeintliche Syrer und deren Eigentum, wie die Nachrichtenseite Gazete Duvar berichtete. Die Angreifer schwenkten türkische Flaggen und zeigten den Gruß der faschistischen »Grauen Wölfe«. Nach Angaben des Innenministeriums wurden bis Dienstag 474 Personen wegen ihrer Beteiligung an den Attacken festgenommen.

Neben der Wut über die rassistischen Übergriffe auf ihre Landsleute in der Türkei liegt die tiefere Ursache der Proteste in Nordwestsyrien allerdings in der Furcht dort lebender syrischer Oppositionsanhänger vor einer als »Verrat« empfundenen möglichen Normalisierung der Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus. Zuletzt nach dem Freitagsgebet hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, er schließe ein Treffen mit seinem syrischen Amtskollegen Baschar Al-Assad zur Wiederherstellung der bilateralen Beziehungen nicht aus. Die Türkei hatte ihre einst guten Beziehungen zum Nachbarland nach Ausbruch des dortigen Bürgerkriegs 2011 abgebrochen und statt dessen die gegen Damaskus kämpfenden Oppositionsgruppen unterstützt sowie seit 2016 größere Regionen in Nordsyrien besetzt. Syrische Regierungsvertreter haben daher mehrfach erklärt, eine Normalisierung der Beziehungen sei nur möglich, wenn die Türkei ihre Streitkräfte abzieht.

Erdoğans jüngste Avancen gegenüber Damaskus sind innen- wie außenpolitisch motiviert. Zum einen sucht der türkische Staatschef, der unter Druck der kemalistischen CHP-Opposition, aber auch seiner faschistischen Allianzpartnerin MHP steht, eine Möglichkeit, einen Teil der rund 3,2 Millionen in der Türkei lebenden Flüchtlinge zur »freiwilligen« Rückkehr nach Syrien zu bewegen. Zum anderen wirbt der türkische Präsident für ein gemeinsames Vorgehen mit Damaskus gegen die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Denn diese hatte ursprünglich bereits für Juni Kommunalwahlen angesetzt, diese aber nach Drohungen Ankaras sowie auf Druck der USA auf den 8. August verschoben. »Es gibt einen Plan, der darauf abzielt, eine terroristische Organisation zu legitimieren und einen Terrorstaat in der Region zu errichten«, hatte Erdoğan Mitte Juni behauptet und angekündigt, die auch von der syrischen Regierung nicht anerkannten Wahlen niemals zuzulassen.

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