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Aus: Ausgabe vom 04.07.2024, Seite 4 / Inland
Protest gegen AfD-Parteitag

Auch Anwälte im Kessel von Essen

Verein verurteilt Polizeieinsatz zum Schutz von AfD-Parteitag. Rechtsverstöße im Gewahrsam
Von Henning von Stoltzenberg
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Prügeln für die Demokratie: Beamte in Kampfmontur am Sonnabend in Essen

Dem Großaufgebot der Polizei und dem von ihr bewachten AfD-Parteitag in Essen stellten sich am Wochenende nach Schätzungen des Bündnisses »Gemeinsam laut« rund 70.000 Menschen entgegen. Mittendrin: ein gutes Dutzend Anwältinnen und Anwälte. Die Mitglieder des sogenannten Legal Teams haben nun ihre Bilanz, vor allem zum Vorgehen der Staatsmacht, gezogen. »Bei den Demonstrationen am Samstag morgen mussten wir ein äußerst provokantes und gewaltbereites Auftreten der Einsatzkräfte und massive Polizeigewalt beobachten«, kritisierte Rechtsanwältin Anna Magdalena Busl in einer Mitteilung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) vom Dienstag nachmittag. Busl ist eine von 13 Juristinnen und Juristen, die vor Ort das Geschehen beobachteten.

Bereits vor Beginn des Parteitags in der Grugahalle waren zahlreiche Menschen dem Aufruf des »Widersetzen«-Bündnisses gefolgt und wollten mit Sitzblockaden das Zustandekommen der AfD-Veranstaltung erschweren. Als die Polizei dagegen vorging, soll es zu Würgegriffen durch Beamte gekommen sein. Auch sollen Einsatzkräfte gegen am Boden liegende Menschen getreten sowie ihnen mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Pfefferspray und Schlagstöcke seien eingesetzt worden, was sich in den vom RAV beobachteten Fällen als »vollkommen unverhältnismäßiges Vorgehen« dargestellt habe. »Mindestens eine Person, die an der Versammlung teilgenommen hatte, erlitt einen Armbruch. Hinzu kamen Schürfwunden, Prellungen und weitere Verletzungen«, teilte der Verein mit.

Busl wirft der Polizei vor, nicht auf ein »lösungsorientiertes, deeskalierendes Handeln« gesetzt zu haben. Zeitweise seien auch die anwaltlichen Mitglieder des Legal Teams eingekesselt und gewaltsam am Verlassen gehindert worden. Nach RAV-Informationen befanden sich insgesamt 23 Personen in Gewahrsam. Die Polizei habe in den meisten Fällen eine Dauer des Gewahrsams bis Sonntag, 20 Uhr, beantragt. Gerichtlich sei das teilweise abgelehnt worden. So konnten demnach einige Betroffene früher freikommen.

Die Polizei schien aus Busls Sicht »zahlenmäßig bestens darauf vorbereitet« gewesen zu sein, »legitimen Protest zu gängeln und zu verhindern, häufig völlig unverhältnismäßig«, erklärte die Anwältin. Entsprechend positiv fällt die Schlussbilanz der Staatsgewalt aus. Das »in mehrmonatiger Vorbereitung erarbeitete Einsatzkonzept« habe sich »in der Umsetzung bewährt«, heißt es in der abschließenden Stellungnahme der Polizei vom Montag. Darin muss sie einräumen, dass »der überwiegende Großteil der Proteste« friedlich verlaufen sei. 27 Beamte sollen leicht und eine Einsatzkraft schwer verletzt worden sein. Im Gegenzug seien 143 Strafanzeigen gestellt worden, 39 davon wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und 41 wegen tätlichen Angriffs auf Einsatzkräfte.

Im Polizeigewahrsam soll es laut RAV zu zahlreichen Rechtsverstößen gekommen sein. Die gesetzlich vorgeschriebene telefonische Kontaktaufnahme wurde demnach »über viele Stunden verweigert«. Teils musste demnach erst ein Richter dafür sorgen, dass die Betroffenen von diesem Recht Gebrauch machen konnten.

Es sei der Eindruck entstanden, »dass die Anhörungen teilweise bewusst ohne anwaltliche Vertretung durchgeführt wurden«, kritisiert Rechtsanwalt Markus Wild. Wer in einer Zelle ausharrte, musste dies dem Anwaltsverein zufolge unter katastrophalen Bedingungen tun, teilweise in Gruppen von bis zu neun Personen mit nur einer Toilette ohne Privatsphäre.

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