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Aus: Ausgabe vom 12.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Ein Song als Vermächtnis

Ein neuer Dokumentarfilm erinnert an die frühen Hardrocker Steppenwolf
Von Frank Schäfer
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Keine Lust auf zugedröhnte Acid Heads: Steppenwolf (1969)

Eine Szene in Oliver Schwehms sehenswertem Dokumentarfilm »Born to Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf« zeigt exemplarisch die innere Dynamik der Proto-Hardrocker. Nick St. Nicholas, der einstige Bassist und habituelle Hippie in der Band, hält einen Vertrag in der Hand für einen Auftritt Mitte August 1969 in der Konzerthalle Boston Garden. Es ist das Woodstock-Wochenende. St. Nicholas schaut indigniert in die Kamera, weil er es immer noch nicht fassen kann nach all den Jahrzehnten, dass sie Woodstock haben sausen lassen, nur weil man ihnen in Boston mehr Geld geboten hat.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Es lag auch daran, dass ihr Frontman John Kay die Hippie-Ideologie mit ihrem Love-and-Peace- und Back-to-the-Nature-Zinnober nicht besonders ernst nehmen konnte. Eine hübsche Utopie, aber eben doch eine Utopie. Außerdem hatte die Band da bereits auf diversen Festivals gespielt und in der Mehrheit keine gesteigerte Lust mehr auf das Chaos, das entsteht, wenn zugedröhnte Acid Heads eine Großveranstaltung organisieren sollen. St. Nicholas hätte damit offenbar weitaus weniger Probleme gehabt.

Im Konflikt der beiden Bandmitglieder manifestiert sich die Zersplitterung der US-Counterculture-Bewegung jener Jahre. Und ausgerechnet die beiden deutschen Immigranten, deren Familien nach dem verlorenen Krieg in Kanada einen Neuanfang wagen, repräsentieren ihre Eckpunkte. St. Nicholas (geboren als Klaus Karl Kassbaum) steht für die idealistische, verträumte, von psychoaktiven Substanzen aufgeheiterte Haight-Ashbury-Fraktion, während sich in Kay (alias Joachim Fritz Krauledat) knallharter Realismus und politischer Aktivismus vereinen. Er gibt den Rocker in schwarzem Leder und mit sinistrer Sonnenbrille und avanciert damit zum Aushängeschild von Steppenwolf – spätestens als Dennis Hopper und Peter Fonda zu »Born to Be Wild« auf ihren Harley-Choppern über den US-Highway brettern. Ihr Undergroundfilm »Easy Rider« wird zu einem weltweiten Kinoerfolg, dessen Popularität auch auf Steppenwolf abstrahlt. Sie bekommen das Image einer Bikerband angehängt und werden von den Hells Angels adoptiert, die sich jetzt als ihre Security-Einheit aufspielen.

Ein Missverständnis. Ihr ehemaliger Leadgitarrist Mars Bonfire, der »Born to Be Wild« geschrieben hat, besaß gar kein Motorrad, ein gebrauchter Ford Falcon reichte völlig. Durch die Valleys rund um Los Angeles kurvend, spürte er noch einmal am eigenen Leib das mythische Freiheitsversprechen der USA und machte sofort einen Song daraus. »Born to Be Wild« ist nicht mehr und nicht weniger als ein in Verse gegossener Extrakt von Jack Kerouacs Beatroman »On the Road«, erst »Easy Rider« macht den Song zur Bikerhymne – und Steppenwolf zu veritablen Motorradrockern.

Diese einseitige Vereinnahmung schwächt entschieden Nick St. Nicholas’ Position in der Band. Er wollte sich nicht damit abfinden, als »USA Black Leather Marching Band« herumgereicht zu werden, erzählt er in Schwehms Dokumentation und leistet entsprechenden Widerstand. Eine Weile toleriert John Kay dessen Hippie-Exzentrik, aber als er 1971 im Fillmore East als männliches Playboy-Bunny, nur mit einem Schlüpfer und Hasenohren bekleidet auf die Bühne kommt, feuert ihn sein Sänger unmittelbar nach der Show. Aber auch John Kay selber fühlt sich eingeengt von der Rockerkluft. Anfang der Siebziger löst er Steppenwolf auf, um sich einer Solokarriere zu widmen, die ihn wieder mit seinen musikalischen Anfängen verbindet.

Noch vor seiner Emigration war er mit dem archaischen Rock ’n’ Roll eines Little Richard in Berührung gekommen und sofort affiziert. Später, an der Quelle, arbeitete er sich systematisch durch das amerikanische Songbook der Schwarzen, der Arbeiter und Renegaten, für die Musik immer auch ein Aufbegehren gegen politische und gesellschaftliche Unterdrückung war. Eine Weile spielt er dann in den Kaschemmen und Szene-Cafés einschlägige Songs von Howlin’ Wolf, John Lee Hooker oder Phil Ochs, bevor er sich den Sparrows, der Urformation von Steppenwolf, als Frontman anschließt. Diesen aktivistischen Impuls der Blue-Collar-Tradition trägt er mit hinein in die Band und auf »Monster«, dem vierten Steppenwolf-Album, findet der dann auch seinen deutlichsten Niederschlag. Der lange Opener »Monster/Suicide/America« gibt den Ton vor. In dieser flammenden Predigt erscheint Vietnam nicht als Ausnahme, sondern als Normalfall einer gewaltsamen Eroberungsgeschichte, die mit der Ermordung der indigenen Bevölkerung begann. Junge Kriegsdienstverweigerer im ganzen Land verbrannten ihre Einberufungsbescheide zu diesem Song.

Nach seiner kurzen, von den Kritikern zwar freundlich begleiteten, aber kommerziell scheiternden Solokarriere stellt Kay noch einmal eine leicht veränderte Steppenwolf-Besetzung zusammen. Doch Mitte der Siebziger sind sie bereits eine Band von vorgestern. Sie versuchen einiges, um ihren Sound dem gewandelten Zeitgeist anzupassen, verkleiden sich als Glam-Rock-Superhelden, adaptieren später sogar Funk, Prog und Jazz Rock, aber die Öffentlichkeit identifiziert sie viel zu sehr mit der politischen Gegenkultur der Spätsechziger, als dass man ihnen solche Image-Transformationen wirklich abnehmen würde. Und wenn man mal von einigen frühen Geniestreichen wie »Born to Be Wild«, »The Pusher« oder »Magic Carpet Ride« absieht, fehlt ihnen auch das musikalische Ingenium, um sich dauerhaft durchzusetzen.

Nach einer mehrjährigen Auszeit, die sein alter Kontrahent Nick St. Nicholas nutzt, um mit New Steppenwolf die Nostalgiker bei Laune zu halten, revitalisiert Kay selbst in den Achtzigern noch einmal den guten Namen und nimmt mit diversen Besetzungen weitere Alben auf. Anders jedoch als Black Sabbath, Deep Purple oder Uriah Heep schafft er es nicht mehr, Anschluss zu finden an die jüngere, durchaus traditionsbewusste Hard Rock-Szene. Steppenwolf mutieren zu einem Revival-Act, und neue Alben sind vor allem Anlässe, um wieder mal auf Tour zu gehen und »Born To Be Wild« zu spielen.

Schwehms Dokfilm erzählt die Steppenwolf-Geschichte auf konventionelle, aber suggestive und ungemein spannende Weise als Collage aus Interviewschnipseln, privaten Super-8-Aufnahmen und TV-Material. Neben den Beteiligten, Szenekennern und Journalisten kommen auch Urgesteine wie Klaus Meine, Alice Cooper, Jello Biafra oder Dale Crover von den Melvins zu Wort. Komisch wird es also auch bisweilen.

»Born to Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf«, Regie: Oliver Schwehm, BRD/Kanada 2024, 107 Min., bereits angelaufen

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  • Leserbrief von Gary kicking Wolf aus 38536 Meinersen Germany (13. Juli 2024 um 11:41 Uhr)
    Habe Eure Geschichte gelesen und finde sie sehr gut gelungen! Ihr seid alle gute Mucker und die Freiheit in Euren Songs hat mir von Anfang an absolut gefallen. Vor allem Born to be Wild, das ich heute noch drauf hab! Die englische Sprache ist bei mir weniger geworden, weil ich seit Jahrzehnten nur noch Deutsch gesprochen habe! Aber der Slang ist immer noch der gleiche! Wünsche Euch noch viel Erfolg, wenn wir nach den vielen Jahren etwas älter geworden sind! Gebt nicht auf und fahrt nicht schneller, als Euer Schutzengel fliegen kann! In diesem Sinne Born to be Wilde. Honour and Respekt for you all. Gemeinsam sind wir stark und erreichen, was wir wollen. Gary kicking Wolf

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