75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Freitag, 6. September 2024, Nr. 208
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 19.07.2024, Seite 2 / Inland
Aufmerksamkeitsökonomie

»Der öffentliche Raum ist keine Ware«

Volksbegehren »Berlin werbefrei« will Werbung im öffentlichen Raum regulieren. Ein Gespräch mit Fadi El-Ghazi
Interview: Barbara Eder
imago0081576717h.jpg
Hände weg vom öffentlichen Raum: »Berlin werbefrei« in Aktion (Berlin-Kreuzberg, 16.1.2018)

»Berlin werbefrei« ging 2017 als Volksinitiative an den Start. Was ist seither passiert?

Mit rund 40.000 Unterschriften hat »Berlin werbefrei« die erste Hürde für ein Volksbegehren geschafft. Der Senat war aber der Ansicht, dass das von uns vorgelegte »Antikommodifizierungsgesetz« gegen höherrangiges Recht verstoße und hat dieses dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hat 2020 entschieden, dass der Gesetzentwurf nicht per se unzulässig sei und wir ihn überarbeiten dürfen. Seitdem prüft der Senat unseren überarbeiteten Entwurf mit dem Namen »Gesetz zur Regulierung von Werbung in öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Raum«.

Was wurde kritisiert?

Der Senat ist der Ansicht, dass der Gesetzentwurf einen unzulässigen Eingriff in die Eigentumsgarantie und die Berufsfreiheit der Werbeunternehmen darstelle. Diese Sichtweise teilen wir nicht. Der öffentliche Raum ist keine Ware. Dieser hat eine identitätsstiftende Funktion für die Bewohner einer Stadt und darf nicht privaten Akteuren überlassen werden. Der Senat kann den öffentlichen Raum nicht nach Belieben vermarkten und zur Projektionsfläche für Marktteilnehmer machen. Die Belange der Allgemeinheit haben in diesem Bereich Vorrang gegenüber den Profitinteressen der Werbeunternehmen.

Welche Aspekte kamen im Neuentwurf des Gesetzes hinzu?

Wir haben den Gesetzentwurf ein wenig entschärft, um auf die Bedenken des Senats einzugehen. Grundsätzlich bedarf es aber einer Regulierung des Außenwerbemarktes, da der technische Fortschritt in diesem Bereich neue Freiheitsbedrohungen mit sich bringt. Digitale Werbemonitore, die durch Licht und Bewegung unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, lassen uns keine Freiheit, darüber zu befinden, ob wir diese Informationen rezipieren wollen. Es gibt ein Recht auf negative Informationsfreiheit, das uns vor solchen Vermarktungspraktiken schützt. Elektronische Außenwerbung ist ein modernes Massenmedium, das erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben kann. Werbedisplays mit Bewegtbildern sind zwar keine klassische Form des Rundfunks, aber so etwas wie Social Media mit Public-Viewing-Anschluss.

Welche Konzerne dominieren das Geschäft mit der Außenwerbung in Berlin?

Wall-Decaux und Ströer Media beherrschen den Außenwerbemarkt in Berlin. Während Wall-Decaux das Recht gekauft hat, Werbemonitore auf öffentlichem Straßenland für 15 Jahre zu betreiben, stehen die Anlagen von Ströer Media auf privaten Grundstücken mit Ausstrahlung in den öffentlichen Raum. Besonders unsäglich sind auch die überdimensionierten Werbemonitore an der Warschauer Straße und an der Spree. Mit der Genehmigung der O2-Arena, die zwischenzeitlich zur Mercedes-Arena und nun zur Uber-Arena wurde, erhielt der Eigentümer das Recht, diese Displays aufzustellen.

In welchen Punkten unterscheiden sich Ihre Anliegen von jenen der Volksinitiative »Hamburg werbefrei«?

Im Gegensatz zum Hamburger »Werberegulierungsgesetz« beinhaltet unser Gesetzentwurf auch Regelungen für Werbung und Sponsoring in öffentliche Einrichtungen – etwa in Schulen, Behörden und Universitäten. Diese unterliegen der Neutralitätspflicht des Staates und sind daher über Steuern zu finanzieren. Sie dürfen nicht durch Sponsoring zu Einfallstoren für Unternehmen werden. Zwar sieht unser Gesetzentwurf Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung öffentlicher Einrichtungen vor – ein Unternehmen darf eine Schule jedoch nicht zu seiner Bühne machen.

Wie geht es mit »Berlin werbefrei« weiter?

Der Berliner Senat möchte nun abwarten, wie das Hamburgische Verfassungsgericht bezüglich unserer Partnerorganisation »Hamburg werbefrei« entscheidet. Das Urteil wird im September verkündet. Im Fall der Zulassung des Volksbegehrens in Hamburg bedeutet das auch für uns, dass die Bedenken des Senats vom Tisch sind. Das Volksbegehren würde dann im Frühjahr 2026 stattfinden und die Abstimmung über das Gesetz mit der Wahl des Abgeordnetenhauses in Berlin 2026 zusammenfallen.

Fadi El-Ghazi ist Rechtsanwalt und Mitgründer der Initiative »Berlin werbefrei«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

Mehr aus: Inland