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Aus: Ausgabe vom 20.07.2024, Seite 4 / Inland
Rechte Umsturzpläne

Milde für Kaisertreuen

Hamburg: Gericht verurteilt Anhänger der »Vereinten Patrioten« zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Gruppe wollte BRD durch Monarchie ersetzen
Von Kristian Stemmler, Hamburg
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Der angeklagte mutmaßliche »Reichsbürger« im Hanseatischen Oberlandesgericht (Hamburg, 27.5.2024)

Die rechtsterroristische Gruppe wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor laufender Kamera entführen, einen Stromausfall in ganz Deutschland herbeiführen und schließlich die Rückkehr zur Monarchie einläuten. Am Freitag hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg einen Unterstützer der »Vereinten Patrioten« zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Rund um den militanten Zusammenschluss läuft bereits seit über einem Jahr ein Gerichtsprozess im rheinland-pfälzischen Koblenz gegen fünf mutmaßliche Mitglieder. Ein weiterer Prozess soll demnächst in Frankfurt am Main starten.

Der Staatsschutzsenat des OLG sah es als erwiesen an, dass der 67 Jahre alte Angeklagte aus der Nähe des schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt eine terroristische Vereinigung unterstützte und bei der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens half. Zudem habe er Waffenrechtsverstöße begangen. Laut Gericht hatte der Mann sich Anfang 2022 den »Vereinten Patrioten« angeschlossen. Diese haben das Ziel verfolgt, in Deutschland ein Regierungssystem nach dem Vorbild der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 zu errichten. Deshalb ist der Zusammenschluss auch unter der Bezeichnung »Kaiserreichsgruppe« bekannt.

Der Angeklagte habe auch auf die Unterstützung Russlands gesetzt, sagte die Vorsitzende Richterin. Laut Anklage soll der 67jährige sich bereiterklärt haben, mit anderen per Schiff in russische Hoheitsgewässer bei Kaliningrad einzudringen. Die russische Oblast liegt als Exklave an der Ostsee zwischen den EU- und NATO-Staaten Litauen und Polen. Nach Aufbringung ihres Segelboots durch die russische Marine wollten die rechten Putschplaner demnach als Delegation Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufnehmen. Die Gruppe habe sich von dem Staatsoberhaupt Unterstützung beim beabsichtigten Umsturz erhofft.

Der Vorsitzenden Richterin zufolge übernahm der Angeklagte organisatorische Aufgaben für die Gruppierung. Er sei in die Erörterung der Waffenbeschaffung eingebunden gewesen. Laut Anklage hatte der Mann in seinem Wohnmobil eine Pistole und mehr als 100 Schuss Munition verwahrt. Bei seiner Verhaftung am 29. November 2023 war zudem Gewehrmunition in einem Werkzeugschrank im Keller seiner Wohnung gefunden worden.

Teil der Vorbereitung des Sturzes der Bundesregierung sei das Herbeiführen eines lang anhaltenden und flächendeckenden Stromausfalls in der gesamten Bundesrepublik gewesen. Gesundheitsminister Lauterbach sollte von bewaffneten Anhängern der »Vereinten Patrioten« während einer live übertragenen Talkshow entführt werden. Als nächstes sollten laut Anklage Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für abgesetzt erklärt werden. Per konstituierender Versammlung sollte eine neue Staatsführung bestimmt werden. Ein Mitglied der von Koblenz aus operierenden Gruppe sowie der Angeklagte seien sich darin einig gewesen, dass die gewählte Staatsform eine parlamentarische Monarchie sein sollte, hieß es in der Anklage.

Nach Überzeugung des Gerichts war der 67jährige kein Haupttäter. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten beantragt, die Verteidigung auf nicht mehr als zwei Jahre plädiert. Zu Prozessbeginn Ende Mai hatte der Mann die Vorwürfe eingestanden. Dabei hatte er erklärt, der Plan für einen flächendeckenden Stromausfall sei ihm zu weit gegangen. Auch behauptete er, sich im weiteren Verlauf von den Planungen für einen Umsturz distanziert zu haben.

Derweil soll am 30. August am Oberlandesgericht Frankfurt einem 61jährigen Anhänger der »Vereinten Partioten« der Prozess gemacht werden, wie die Hessenschau am Dienstag berichtete. Der Mann aus dem Kreis Bergstraße soll demnach an Treffen der Vereinigung teilgenommen und laut Anklage »an der Konkretisierung der Tatpläne maßgeblich mitgearbeitet« haben.

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