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Aus: Ausgabe vom 22.07.2024, Seite 6 / Ausland
Koreanische Halbinsel

Auftritt des Überläufers

Korea: Seitenwechsel von Diplomat befeuert Spekulationen
Von Martin Weiser, Seoul
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Bericht über Ri Il Gyu bei einem südkoreanischen Sender (16.7.2024)

Schon im November ist einer von Nordkoreas Diplomaten auf Kuba nach Südkorea übergelaufen. Das wurde diese Woche öffentlich, als die südkoreanische Zeitung Chosun Ilbo ein Exklusivinterview mit Ri Il Gyu (52) abdruckte. Überläufer werden vom südkoreanischen Geheimdienst monatelang verhört, gefolgt von einem ebenso langen Aufenthalt in einem zivilen Schulungszentrum. Ri scheint diesen Prozess also gerade hinter sich zu haben.

Im Interview gab Ri allerlei Geschichten und Meinungen über die Demokratische Volksrepublik Korea zum Besten. Etwa dass er einmal mit Kim Jong Un Tee getrunken habe oder dass Nordkoreas Diplomaten sich »Bettler in Krawatten« nennen, weil das Gehalt nicht reiche und sie sich mit Schmuggel etwas dazuverdienen müssten. Ein Diplomatengepäck voller geschmuggelter kubanischer Zigarren würde etwa 20.000 US-Dollar einbringen. Wieviel Ri so zur Seite gelegt hat, sagte er nicht.

Handfeste Informationen finden sich kaum im Interview, wohl weil der Überläufer zehn der letzten dreizehn Jahre in Kuba stationiert war und nur wenig vom Nordkorea unter Kim Jong Un mitbekam. Nicht zufällig schmiedete er seine Plan, in den Süden zu gehen, Mitte 2023, als Nordkorea den eigenen Leuten im Ausland wieder erlaubte, zurückzukehren. Um das Coronavirus draußen zu halten, war das seit 2020 nur in Ausnahmefällen erlaubt. Hinzu kam, dass letztes Jahr Südkorea und Kuba die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorbereiteten und in der Botschaft damit ein Personalwechsel anstand. Ris Tage in Kuba waren also gezählt und er entschied sich dann lieber überzulaufen.

International bekommen Ris Behauptungen, dass Nordkorea 2019 zwei Topdiplomaten brutal geschasst hat, die meiste Aufmerksamkeit. Der für die USA zuständige Vizeaußenminister sei am 12. Februar, nur zwei Wochen vor dem zweiten Gipfel zwischen Kim Jong Un und US-Präsident Trump, als US-Spion verurteilt und in einer Militärakademie vor hohen Beamten des Außenministeriums hingerichtet worden. Der Außenminister selbst sei dann zehn Monate später wegen Korruption im Lager gelandet.

Sensationsmeldungen über solche Exekutionen oder Gefängnisstrafen sind nichts Neues, und über das Schicksal dieser beiden Topdiplomaten wird bereits seit geraumer Zeit spekuliert. In vielen Fällen, und besonders wenn die darüber berichtet, tauchen die aber wieder quicklebendig auf. Hyon Song Wol, derzeit Vizedirektorin im ZK der Arbeiterpartei, sollte laut der Chosun Ilbo angeblich für den Vertrieb der eigenen Sexvideos 2013 hingerichtet worden sein. 2019 sei ein hoher Funktionär wegen des gescheiterten US-Korea-Gipfels in Hanoi im Lager gelandet, der Chefunterhändler für die USA sogar erschossen worden. Der erste tauchte aber zwei Tage später wieder an der Seite von Kim Jong Un auf, der zweite sei laut Quellen von CNN nur in Untersuchungshaft gewesen.

Sobald hohe Kader in Nordkorea mal ein paar Tage nicht zu sehen sind, werden in Südkorea Spekulationen von Journalisten, aber auch von angeblichen Quellen innerhalb Nordkoreas abgedruckt. Es lässt sich kaum vermeiden, dass diese Gerüchte dann auch den Weg zurück in den Norden finden, entsprechend ausgeschmückt wieder zurückkommen und für eine Bestätigung der Behauptungen gehalten werden. Laut Ri hatte er die Information von Leuten, die die Erschießung mit ansehen mussten. Spionage gilt wie in anderen Staaten als Landesverrat und kann auch mit der Todesstrafe enden.

Die Lagerhaft für den Außenminister im Dezember 2019 hingegen scheint weniger plausibel, was schon mit dem Zeitpunkt anfängt. Schließlich ging das Parteitreffen, auf dem Kim Jong Un laut dem Überläufer den Außenminister einen halben Tag lang kritisiert haben soll, bis zum 31. Dezember und nichts deutete darauf hin, dass er noch am selben Tag verhaftet wurde. Statt dessen wurde anscheinend eine Reihe Top-Diplomaten ausgetauscht und selbst der Abteilungsleiter für Internationales der Partei musste gehen. Schließlich hatte man auf dem Parteitreffen entschieden, eine komplett neue Außenpolitik zu betreiben und nicht mehr auf Verhandlungen mit den USA zu setzen.

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