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Aus: Ausgabe vom 24.07.2024, Seite 2 / Ausland
Bürgerkrieg im Sudan

»In allen Landesteilen leiden die Menschen«

Sudan: Hunderttausende vom Hungertod bedroht. Gesundheitssystem und Infrastruktur zusammengebrochen. Ein Gespräch mit Martin Rentsch
Interview: Jakob Reimann
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Vom Krieg Entwurzelte besonders verwundbar: Essensausgabe an Geflüchtete (Omdurman, 23.4.2024)

Jüngst warnte der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für den Sudan, Volker Perthes, vor einer humanitären Katastrophe im Land, in dem seit 18 Monaten erneut Krieg herrscht. Wie ist aktuell die Lage der Bevölkerung?

Verheerend. Überschattet von anderen großen Konflikten ist durch den Krieg im Sudan die größte Hunger- und Vertreibungskrise der Welt entstanden. Kaum jemand nimmt von diesem Ausmaß Notiz. Die brutalen Kämpfe wecken schlimmste Erinnerungen an die Ereignisse in Darfur vor 20 Jahren. Hunger, Gewalt, Krankheiten und Tod sind auf dem Vormarsch, gleichzeitig kommt lebensrettende Hilfe kaum zu den Notleidenden.

Im Sudan drohe die weltweit verheerendste Hungerkatastrophe seit der äthiopischen Hungersnot vor 40 Jahren, warnte bereits Mitte Juni auch die US-Administration. Wie ist es konkret um die Situation im Land bestellt?

Neueste Zahlen zeigen, dass 750.000 Menschen kurz vor dem Hungertod stehen. Die Hälfte der Bevölkerung hungert. Nirgendwo auf der Welt sind es mehr. Berichte von hungerbedingten Todesfällen erreichen uns aus Darfur. Menschen essen Blätter, Tierfutter oder gar Erde, um etwas im Bauch zu haben. Sie brauchen dringend Hilfe. Fast sieben Millionen Menschen konnten wir seit Beginn des Konflikts erreichen, allerdings ist die Not in den umkämpften Regionen im Westen besonders groß, und gerade da kommen wir kaum hin. Kämpfe, Checkpoints, langwierige Genehmigungen sind die Gründe. Nun beginnt auch noch die Regenzeit, da werden viele Versorgungswege zudem schlicht unpassierbar.

Ärzte ohne Grenzen, MSF, verkündete vergangenen Mittwoch, wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage musste das MSF-Personal aus einem wichtigen Krankenhaus der Hauptstadt, dem Turkish Hospital in Khartum, abziehen. Dort könnten nun keine Operationen mehr durchgeführt werden. Welche Folgen hat der Krieg für das Gesundheitssystem im Sudan?

Nicht nur das Gesundheitssystem im Land steht vor dem Kollaps. Die Lebensmittelversorgung, von der Bewirtschaftung der Felder bis zu den produzierenden Betrieben, – nichts funktioniert mehr. Dazu Brücken, Straßen, Banken, Pipelines, große Industrien – das meiste ist beschädigt oder kaputt. Selbst wenn heute Frieden geschlossen würde, es wird Jahrzehnte dauern, das Land wiederaufzubauen.

Volker Perthes mahnte an, den Blick nicht nur auf Hotspots wie die Hauptstadt Khartum zu richten. Wie ist die Lage in anderen Landesteilen?

Sudan ist fünfmal so groß wie Deutschland, in allen Landesteilen leiden die Menschen Hunger. Zum Osten und Südosten haben wir Zugang, dort können wir trotz Schwierigkeiten Menschen erreichen. Aber in Darfur, im Westen des Landes, wo die brutalsten Kämpfe toben und der Hunger am größten ist, können humanitäre Akteure nur sehr eingeschränkt helfen. Hier müssen Konvois die Konfliktlinien überqueren oder aus dem Tschad über die Grenze in den Sudan hinein. Die Genehmigungen dafür zu bekommen, das ist langwierig und mühsam. Zudem darf man nicht vergessen, dass es für unsere Leute extrem gefährlich ist. Gleich zu Beginn des Konflikts wurden fünf meiner Kollegen getötet.

Das Welternährungsprogramm WFP gilt als größte humanitäre Hilfsorganisation der Welt und ist auch seit Jahren in den wiederholt von Hungersnöten geplagten Ländern in Ostafrika aktiv. Wie sieht die Arbeit des WFP im Sudan konkret aus?

Wir leisten Nothilfe mit Nahrungsmitteln oder Bargeld für alle besonders verwundbaren Gruppen, wie Frauen, Kinder oder Vertriebene. Zudem unterstützen wir als Logistikrückgrat der Vereinten Nationen die Arbeit aller humanitären Akteure im Land. Doch die Krise bleibt unter dem Radar, und das heißt, es fehlt viel Geld. Bis zum Ende des Jahres brauchen allein wir 200 Millionen US-Dollar, um die Hilfe am Laufen zu halten. Deutschland ist unser zweitgrößter Geber. Die Halbierung des humanitären Etats für 2025 im Haushaltsentwurf macht uns große Sorgen; nicht nur im Sudan. In europäischer Nachbarschaft erstreckt sich eine Region der Instabilität von Westafrika über den Sudan in Ostafrika bis nach Syrien.

Martin Rentsch ist ­Kommunikationsleiter und Pressesprecher des Berliner Büros des UN-Welternährungs­programm (WFP)

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