DGB fordert Aktionsplan für Tarifbindung ein
Von Gudrun GieseDie Tarifbindung in der Bundesrepublik sinkt, sie liegt deutlich unter 80 Prozent. Nach einer vor knapp zwei Jahren erlassenen EU-Mindestlohnrichtlinie müssen Mitgliedstaaten, die diesen Wert unterschreiten, Aktionspläne zur Stärkung der Tarifbindung erarbeiten. Bis Mitte November muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Hauptgrund für den Rückgang ist eine Möglichkeit, die um das Jahr 2000 herum eingeführt wurde: Damals gestatteten die ersten Unternehmensverbände ihren Mitgliedern eine »OT-Mitgliedschaft«, wobei »OT« für »ohne Tarifbindung« steht.
Seitdem halten sich immer weniger Firmen an die von Gewerkschaften und Unternehmensverbänden ausgehandelten Flächentarifverträge, in denen zum einen die Entgelthöhen, zum anderen die Arbeitsbedingungen, etwa in den Sektoren Urlaub, Sondervergütungen, Arbeitszeit und anderes mehr geregelt werden. Arbeiteten 1996 nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nahezu 80 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, sind es derzeit kaum noch die Hälfte. Vor fast dreißig Jahren galt in mehr als jedem zweiten Betrieb ein Tarifvertrag, 2023 in weniger als jedem vierten, wie das Handelsblatt am Dienstag mit Bezug auf die IAB-Zahlen schrieb.
Die vorgeschriebene Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie kommt dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) deshalb wie gerufen, denn die Bundesregierung muss einen Aktionsplan vorlegen. »Die Politik steht in der Pflicht, die Tarifbindung zu stärken«, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Die Regierung sollte gemeinsam mit den Sozialpartnern die Konkretisierung der EU-Vorgabe starten. Der DGB hat dazu ein 14-Punkte-Papier zusammengestellt, das beschreibt, mit welchen Gesetzesänderungen sowie Einschränkungen der Rechte für die Unternehmerverbände sich die Tarifbindung stärken ließe.
Auf seiner Webseite erklärt der DGB zudem, was Tarifverträge bedeuten und welchen Stellenwert die Tarifbindung hat. Vor kurzem wurde die Kampagne »#Tarifwende« gestartet. Zentrales Argument für die Stärkung der Tarifverträge sei, dass es mit ihnen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen gebe als ohne. »Staatliche Gesetze regeln meist nur die untere Haltelinie«, erklärt der Gewerkschaftsbund. »Alles darüber hinaus ist Verhandlungssache.« Der oder die einzelne könne beim Chef längst nicht so viel herausholen wie die Gewerkschaften in Tarifverhandlungen für einen Betrieb oder eine ganze Branche.
Im Durchschnitt verdienen Beschäftigte in einem Betrieb mit Tarifbindung bei identischer Tätigkeit 11 Prozent mehr als ihre Kollegen in der nicht tarifgebundenen Firma. Zwischen den Branchen und den Bundesländern fallen die Unterschiede noch erheblich größer aus, führt der DGB aus. Unterschiedlich sind auch die Regelungen bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Arbeitszeitkonten und anderem. Im 14-Punkte-Papier fordert der DGB, das von der Ampelkoalition zugesagte Bundestariftreuegesetz auf den Weg zu bringen, wonach der Bund künftig nur noch Firmen Aufträge erteilt, die Tarifregeln einhalten. Für Gewerkschaftsmitglieder soll der Beitrag steuerlich absetzbar werden, um einen Beitritt attraktiver zu gestalten. Unternehmensleitungen sollen Beschäftigten nur dann steuerfreie Zahlungen oder Sachleistungen gewähren dürfen, wenn sie tarifgebunden sind.
Das alles stößt auf keine Gegenliebe bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die EU-Mindestlohnrichtlinie sehe gar keine Verpflichtung zu einem bestimmten Wert bei der Tarifbindung vor, trumpfte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter laut Handelsblatt auf. An der grundgesetzlich verankerten Koalitionsfreiheit dürfe nicht gerüttelt werden. Danach stehe es jedem frei, sich in einer Gewerkschaft beziehungsweise einem Unternehmensverband zu organisieren oder es bleibenzulassen. Dass beide Seiten sehr unterschiedliche Chancen haben, ihre Interessen einzeln durchzusetzen, ließ Kampeter hingegen unberücksichtigt.
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