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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 5 / Inland
Weniger konkurrenzfähig

Wirtschaft ohne Kurs

Energiewende, hohe Strompreise und Bürokratie: DIHK warnt vor Deindustrialisierung Deutschlands
Von Klaus Fischer
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Die Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition dümpelt dahin. Eine Industriestrategie ist nicht auszumachen

Die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist krank. Zwei Nachrichten machten vergangene Woche erneut deutlich, dass die immer noch viert- bzw. fünftgrößte Ökonomie der Welt (je nach Berechnung) schwer angeschlagen ist. Erst vermeldete das Statistische Bundesamt, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei im zweiten Quartal 2024 um 0,1 Prozent geschrumpft – was weithin als »überraschend« bezeichnet wurde. Dann warnte am Donnerstag die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) vor zunehmender Abwanderung, vor allem in der Industrie.

Kann man die »Überraschung« beim BIP-Rückgang noch auf die leichte Schulter nehmen, wie es die Bundesregierung tut – 0,1 Prozent klingt marginal, steht aber immerhin für rund eine Milliarde Euro – ist die Fluchtbewegung des Industriekapitals längst mit Ansage. Eine aus Kapitalsicht überlebenswichtige und deshalb logische Reaktion auf die drastisch veränderten Konkurrenzbedingungen in der BRD ansässiger Betriebe. Das machte jetzt auch die jährlich durchgeführte Umfrage der Kammer, genannt »Energiewendebarometer«, deutlich.

»Das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in die Energiepolitik ist stark beschädigt«, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. »Während in den Jahren vor 2023 viele Unternehmen auch Chancen in der Energiewende für den eigenen Betrieb sahen, überwiegen zuletzt aus ihrer Sicht deutlich die Risiken.« Starke Worte, auch wenn sie aus Sicht des Lobbyverbandes auch an die eigene Klientel gerichtet sein dürften. Die hat sich lange mit Kritik an den hauptsächlich politisch verursachten Problemen zurückgehalten.

Dabei war spätestens nach der vollmundigen Erklärung eines Wirtschaftskrieges gegen Russland Anfang 2022 klar, dass gerade etwas Entscheidendes passiert ist. Seitdem beklagen Lobbyisten zwar die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise, und sie bitten die Regierung fast demütig um Änderungen – oder mindestens ausgleichende Subventionen. Aber nichts geschieht, was eine Wende versprechen könnte. Etwa der Vorschlag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), zumindest den Aufbau einer zukünftigen Wasserstoffinfrastruktur mit »Sondervermögen« zu finanzieren, erfuhr am Wochenende keinen Zuspruch aus der Regierung.

Die DIHK-Umfrage zeigt bereits, was diese Haltung an Konsequenzen mit sich bringt: »Die Deindustrialisierung von Deutschland hat begonnen, und gefühlt steuert niemand dagegen«, zitiert die DIHK den Kommentar eines Industrieunternehmens aus der Befragung. So viele Industriefirmen wie noch nie erwägen Verlagerungen ihrer Produktion ins Ausland. Bei Großunternehmen will sogar mehr als jedes zweite das Weite suchen.

Geschichte kann durchaus ironisch sein: Als wichtigste Alternativen zu Investitionen hierzulande gelten ausgerechnet die USA (der Anstifter des Wirtschaftskrieges) und China (der erklärte Hauptfeind Washingtons beim Kampf um Einfluss weltweit). Selbst das deutlich kleinere und sozialökonomisch ebenfalls im Verfall befindliche Frankreich gilt wegen seiner gesichert scheinenden Stromversorgung als möglicher Fluchtpunkt.

»Die Uhr tickt«, warnte Dercks. In der Regel würden Verlagerungen schrittweise erfolgen. 37 Prozent der von der DIHK befragten rund 3.300 Unternehmen gaben an, Produktionseinschränkungen oder eine Abwanderung ins Ausland in Betracht zu ziehen. 2023 waren es 31 Prozent, ein Jahr davor 16 Prozent. Besonders wanderfreudig zeigen sich Industrieunternehmen mit hohen Stromkosten (45 Prozent) sowie mindestens 500 Beschäftigten (51 Prozent).

Der DIHK-Vize warnte zudem, dass das Problem in den nächsten Jahren noch deutlicher werden dürfte. Er verwies auf niedrigere Energiekosten in den USA, Frankreich oder China. Die Grundfrage für mehr Planungssicherheit der Unternehmen sei, woher ab 2030 günstig und verlässlich die Energie kommen solle. Die Strompreise in Deutschland jedenfalls seien deutlich höher als vor Beginn des Ukraine-Krieges. Auch Gas koste deutlich mehr als etwa in den USA. Noch entscheidender sei der Blick nach vorn, so Dercks. Und mit Blick auf Deutschland fügte er fast resigniert hinzu: »Hier fehlt die Perspektive.« Insgesamt sehen zwei Drittel der Industriebetriebe ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (5. August 2024 um 15:02 Uhr)
    Russland zu ruinieren, war der Ansatz einer gewissen Dame, deren Aufgabengebiet eigentlich darin besteht, Brücken zu bauen. Stattdessen wurden mit der Saktionitis gegenüber Russland fast alle Brücken eingerissen. Dies wirkt sich jetzt zunehmend destabilisierend auf die deutsche Wirtschaft aus. Den vorerst endgültigen Stoß in den Rücken erhielt die deutsche Industrie durch die Zerstörung der Gaspipeline NS2. Ein sogenannter »Freund«, der darauf aus war, sein umweltzerstörendes Giftgas in Europa, insbesondere in Deutschland loszuschlagen, hat dieses Land von seiner preisgünstigen Energieversorgung gewaltsam getrennt. Und eine Regierung, die einen Eid auf den Schutz des Landes und seiner Bürger geleistet hat, hatte nichts anderes zu tun, als diesen Eid in den Schmutz zu treten. Die Bürger müssen bis zum nächsten Wahltag warten, um sich dafür bei ihrer Regierung zu »bedanken«. Die Wirtschaftskonzerne brauchen nicht so lange warten und machen sich einen schlanken Fuß.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. August 2024 um 22:08 Uhr)
    Alsoo, ich habe in einer Quizsendung vor ein paar Tagen gehört, dass die Bundesrepublik Deutschland drittgrößte Ökonomie der Welt sei und Japan überholt habe. Wer darf das in Zweifel ziehen? Hier steht's auch: https://www.iwr.de/ticker/wirtschaftsleistung-bip-2023-deutschland-klettert-auf-platz-3-der-groessten-volkswirtschaften-der-welt-artikel6337. So richtig gesichert scheint mir die Stromversorgung in Frankreich auch nicht: »Um seinen Bedarf zu decken, musste das Land sogar Strom aus Deutschland importieren.« (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/atomenergie-strom-frankreich-100.html) Da war es 2023 mal ein paar Tage trocken, schwups, kein Kühlwasser für die KKWs..., und wenn es regnet, fällt der Triathlon fast in die Gülle.

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