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Aus: Ausgabe vom 17.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Ausstellung

Die Regierung lässt sie machen

Eine Sonderschau in der Berliner Topographie des Terrors thematisiert die Gewaltgeschichte der frühen Weimarer Republik
Von Sabine Lueken
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Soldaten der Reichswehr an einer Straßensperre in Berlin (1919)

»Was im November 1918 als friedliche Revolution beginnt, schlägt rasch in blutige Auseinandersetzungen um. Die Folge: Bis Ende 1923 herrscht in Deutschland ein Bürgerkrieg, dem Tausende Menschen zum Opfer fallen. Politische Extremisten lehnen die Demokratie und ihren Parlamentarismus ab. Linke Aufständische wollen die Revolution vollenden und ein Rätesystem nach sowjetischem Vorbild erzwingen. Mehrfach proben sie den bewaffneten Umsturz. Rechte Verschwörer putschen gegen die Regierung, ermorden demokratische Politiker auf offener Straße und planen aus dem Untergrund heraus, die Republik zu beseitigen.«

Dergestalt vom simplifizierenden Eingangstext auf das längst überholte Totalitarismus-»Narrativ« der Bedrohung der Weimarer Republik von rechts und von links eingestimmt, wundert man sich, wie deutlich über weite Teile der Ausstellung »Gewalt gegen Weimar. Zerreißproben der frühen Republik 1918–1923« in der Berliner Topographie des Terrors wird, dass im Gegenteil die Republik vor allem von rechts ermordet wurde.

Das wusste schon der Mathematiker und Publizist Emil Julius Gumbel in seinen Untersuchungen »Zwei Jahre (und vier Jahre) politischer Mord« 1924 präzise nachzuweisen. Von 376 politisch motivierten Morden zwischen 1919 und 1922 waren 354 dem rechten Spektrum zuzuordnen, lediglich 22 dem linken. Und die wenigen verurteilten Feinde der Republik kamen mit milden Strafen davon.

Rechte Terrororganisation

Politische Morde wurden auf offener Straße verübt. Im Juni 1922 erschoss ein Terrorkommando der Organisation Consul den Außenminister Walther Rathenau, ein Jahr zuvor den bayerischen USPD-Politiker Karl Gareis, im August 1921 den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger. Auf Philipp Scheidemann verübte man ein Giftattentat. Ausführlich dokumentiert die Schau, erarbeitet vom Verein Weimarer Republik e. V., dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und der Walther-Rathenau-Gesellschaft, Struktur und Arbeitsweise der sich über das ganze Reich verteilenden geheimen rechten Terrororganisation. Eins ihrer Mitglieder war der Schriftsteller Ernst von Salomon, der später den ersten Nachkriegsbestseller »Der Fragebogen« (1951) schrieb. Die Ausstellung zeigt seine Schreibmaschine und ein großes Porträt im Kapitel »Gedruckte Gewalt«. Hermann Ehrhardt, Exmarineoffizier und Freikorpsführer, beteiligt am Völkermord an Herero und Nama, hatte die Organisation Consul nach dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 und der Auflösung seiner Brigade gegründet. Ziel war, die Weimarer Republik unregierbar zu machen, um dann selber die Macht zu übernehmen. Auch beim Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 war er dabei.

Schwarze Reichswehr

Obwohl diese Teile ihrer Schau die Sachverhalte eindeutig machen, stellen die Kuratoren die revolutionäre Linke fälschlicherweise als ebenso gewalttätig wie die Rechte dar. »Die Revolution von 1918 war gutmütig gewesen; die Gegenrevolution war grausam«, schreibt Sebastian Haffner zutreffend. Die Gegenrevolution ging von der SPD-Führung aus, die ihre eigene Anhängerschaft seit Dezember 1918 von Regierungstruppen und Freikorps zusammenschießen ließ, Tausende starben.

Das Kapitel »Grenzgewalt« zeigt auf, was sich an den Reichsgrenzen bis 1923 abspielte, im Rheinland, in Schlesien und v. a. im Baltikum, wo die Freikorps nicht aufhören wollten zu kämpfen. Am Ende kehrten 40.000 »Baltikumer« geschlagen zurück, von der SPD-Regierung fühlten sie sich im Stich gelassen. Mit Billigung der Regierung bildete sich, die Vorschriften des Versailler Vertrag unterlaufend, eine »schwarze Reichswehr«, paramilitärisch organisierte Republikfeinde, die sich weitgehend staatlicher Kon­trolle und Lenkung entzogen.

Zwei Exponate rahmen die Ausstellung: Ein Stahlhelm der Reichswehr von 1916 mit aufgemaltem Hakenkreuz, den die Mitglieder der Marinebrigade Ehrhardt während des Kapp-Lüttwitz-Putsches am 13. März 1920 trugen, und die gleiche Sorte Helm aus den Kämpfen im Baltikum mit einem aufgemalten Totenkopf. Ein Hinweis auf die Kontinuität von den Freikorps zu den Konzentrationslager- und Ausrottungstruppen der Nazis.

Beispiel Hans Paasche

Aus der von Martin Sabrow herausgegebenen Aufsatzsammlung, die vertiefend zur Ausstellung erschienen ist, soll hier »Das Beispiel Hans Paasches« als Musterbeispiel für den »Politischen Terror« in Weimar hervorgehoben werden. Paasche, der als militärischer Oberbefehlshaber in »Deutsch-Ost­afrika« an der Bekämpfung des »Maji-Maji-Aufstands« völkermörderisch beteiligt war, »veränderte sein Denken«, wie die Historikerin Carola Dietze schreibt, und versuchte seitdem, »Friedensarbeit« zu leisten. In der Revolution war er einer der Delegierten der Vollversammlung der Berliner Arbeiter und Soldaten. Nachdem der Reichsrätekongress gegen die Rätedemokratie gestimmt hatte, zog er sich auf sein Gut Waldfrieden in der Nähe von Posen zurück. Paasche nahm am Trauerzug für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg teil, saß auf dem ersten Wagen hinter einem roten Kranz. Am 20. Mai 1920 wurde sein Gut auf eine Anzeige hin – er sei ein bekannter Pazifist und lagere Waffen für »die kommunistische Kampforganisation« – von einem Kommando aus zwei Offizieren, zehn Unteroffizieren und 40 Soldaten, bewaffnet mit Maschinengewehren, durchsucht und er selbst im Wald »auf der Flucht« erschossen. Das Verfahren gegen die Mordschützen wurde eingestellt, eine strafbare Handlung sei nicht feststellbar. Kurt Tucholsky hat im Juni 1920 in seinem Gedicht »Paasche« unter seinem Pseudonym Theobald Tiger in der Weltbühne auf den Punkt gebracht, was es mit der Gewalt in Weimar auf sich hatte:

»Das Opfer im Badeanzug … Schuß. In den Dreck. / Wieder son Bolschewiste weg – ! / Verbeugung. Kommandos, hart und knapp. / Dann rückt die Heldengarde ab. / Ein toter Mann. Ein Stiller. Ein Reiner. / Wieder einer. Wieder einer // Und nun –? / Die Regierung wird was tun? / Die Regierung ist gegen Empörung immun. / Schlafen. Zucken die Achseln. Glauben / verlogenen Berichten der Pickelhauben. / Und du liest am nächsten Tag in der Zeitung: / Unschuldig der Mörder – unschuldig die Leitung. / Hausen genau wie damals in Flandern. / Menschen? Tiere sind die andern. / Spielen noch immer herrliche Zeiten / der militärischen Notwendigkeiten, / Und nun –? / Die Regierung läßt sie machen …«

»Gewalt gegen Weimar. Zerreißproben der frühen Republik 1918–1923«, Topographie des Terrors, Berlin, bis 1. September 2024

Martin Sabrow (Hg.): Gewalt gegen Weimar. Zerreißproben der frühen Republik 1918–1923. Wallstein-Verlag, Göttingen 2023, 368 Seiten, 28 Euro

Auch als Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung für 7 Euro

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