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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 5 / Inland
Maritime Wirtschaft

Von Aalräucherei bis Fanggebiet

Deutscher Fischereitag endet in Hamburg. Zentrales Politikum: Ausbau von Offshore-Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee
Von Oliver Rast
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Eimerweise in der Lippe in Westfalen ausgesetzt, um später wieder gefangen zu werden (Hamm, 29.8.2023)

Er wirkt ein wenig aus der Puste. Kein Wunder, schließlich hat er fast drei Tage Sitzungen hinter sich: Claus Ubl. Und nicht zuletzt eine dreistündige Vortragsveranstaltung geleitet, ein Fachforum der Aalkommission, erzählt er am Donnerstag im Telefonat mit jW. Ja, eine Kommission des Deutschen Fischereiverbands (DFV) für den Aasfresser mit seinem schlangenförmigen, langgestreckten, drehrunden Körper. Warum nicht.

Hintergrund des Sitzungsmarathons: Von Dienstag bis Donnerstag ging der deutsche Fischereitag über die Bühne. Diesmal in Hamburg, im schicken Steigenberger Hotel. Die in der Regel dreitägige Zusammenkunft ist das jährliche, bundesweite Treffen der Branche, organisiert vom DFV. Der Verband vertritt eigenen Angaben zufolge bis zu einer Million organisierte Fischer und Angler. Zum DFV gehören vier Spartenverbände: Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischerei, Deutscher Hochseefischereiverband, Verband der Deutschen Binnenfischerei, Deutscher Angelfischerverband.

Zurück zum Gesprächsinhalt, zunächst zur Funktion: Ubl ist nicht nur Aalexperte, er ist Medienreferent des DFV. Wird es noch eine Pressemitteilung nach Tagungsende geben, wollte der Autor wissen. »Ah, nein, heute nicht mehr, im Grunde ist auch alles im Vorfeld gesagt worden.« Etwa zu Windparks auf See. »Ein Politikum«, wie Ubl auf Nachfrage des Autors bestätigt. Besonders der Ausbau der Anlagen vor den Küsten in Nord- und Ostsee. Die Fischer verlören durch die rasant wachsenden »Parklandschaften« immer mehr Fanggebiete. Nicht nur das: Unzählige Tonnen Beton würden im Meeresgrund verbaut. Wohl kaum ökologisch.

DFV-Präsident Gero Hocker hatte bereits am Dienstag via dpa gesagt, dass der Ausbau der Offshore-Windkraft erst am Anfang stehe. Es handle sich zwar um gute Projekte, »aber da müssen wir einen Weg finden, dass da auch die Fischerei künftig möglich wird«. Das sei eine politische Aufgabe, sagte Hocker weiter, der zugleich agrarpolitischer Sprecher seiner FDP-Bundestagsfraktion ist. Die Kernforderung des DFV: Mehrfachnutzung von Windparkflächen. Diese sollten auch der Fischerei offenstehen.

Eine »politische Aufgabe«, die indes nicht rasch gelöst werden dürfte. Zumal der Fokus auf dem regenerativen Energieträger Windkraft liegt. Das belegen ferner Daten des Thünen-Instituts für Seefischerei in Bremerhaven. Die Wissenschaftler teilten gegenüber dpa mit, dass allein in der Nordsee in der sogenannten deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) auf 907,5 Quadratkilometern Windparks errichtet wurden und werden. Bis 2034 sei fast eine Verdreifachung geplant. Die Fläche entspreche künftig in besagter Nordseewirtschaftszone einem Anteil von knapp zehn Prozent. Zur Erklärung: Das Meeresgebiet seewärts des Küstenmeeres bis maximal zur 200-Seemeilen-Grenze bezeichnet man als AWZ.

Was Küstenfischer zudem empört: zusammengestrichene Subventionen. Flächen für Offshore-Windkraft werden meistbietend an Betreiber versteigert. Von den Erlösen sollten fünf Prozent als Strukturhilfe an die Fischerei fließen. So war es laut DFV vorgesehen. Aber nichts da, eine Fördersumme von 670 Millionen Euro sei auf rund 134 Millionen gekürzt worden, ärgert sich DFV-Vizepräsident Dirk Sander. Schlimmer noch, der Verband bezweifelt, dass die übriggebliebenen Finanzmittel direkt bei Fischern ankommen werden. Sander: »Wir fühlen uns von der deutschen Politik, von dieser Regierung komplett im Stich gelassen.«

Was bleibt? Ein Exkurs für den Autor zu hiesiger Aalbewirtschaftung, zu Wachstum und Überlebensraten bei Glasaalbesatz im Frühjahr und Winter. Interessant, aber Spezialwissen, oder? »Besatz«? Einfach ausgedrückt: Bei Fischbesatz werden junge Fische, Brütlinge beispielsweise, in Gewässern ausgesetzt.

Was bleibt noch? Eine Anekdote. Der Autor trifft auf dem Mittelgang der jW-Redaktionsräume den Chefredakteur (CR), fabuliert kurz über sein frisches Aalwissen. Der CR merkt auf, entsinnt sich sofort der Aalfress­szene aus der Verfilmung von Günter Grass’ Roman »Die Blechtrommel«. Appetitlich ist das nicht.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Roman S. aus Halle (Saale) (30. August 2024 um 05:54 Uhr)
    Ich finde die Ironie hier keinen schönen Stil. In kleinen Städten und in ländlichen Regionen gibt es sehr viele einfache Menschen, denen die »Blechtrommel« sicher nichts sagt, weil Bildungsgüter, wie wir alle wissen, Klassengüter geworden sind, die aber selbst gern angeln, wissen, dass man Aal fischen und essen kann, und noch einige andere Fischarten kennen, denen man in Berlin auch nicht begegnet. Dass man mit einem Thema nichts anfangen kann oder einem nichts Gehaltvolles darüber einfällt, ist nicht schlimm (und die stillen Gedanken, die man sich in den Redaktionsgängen über ein Thema macht, sind so frei wie im Lied) – aber muss man sich deswegen öffentlich darüber lustig machen?

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