Sie müssen reden
Von Bernhard SpringEs ist ein sehr gewaltiges Projekt: Mit 37 Veranstaltungen und mehr als 100 Autoren lädt der Schriftstellerverband PEN zum großen Bürgerdialog ein. Unter dem Motto »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« sollen Menschen zusammenfinden, die sich über Inflation, Corona- und Migrationskrise entfremdet haben.
Dass die Veranstaltungen allerdings nur im Osten stattfinden, erweckt den Eindruck, ausschließlich dort hätten die Leute ein Problem mit »Demokratie und Pluralismus«. Dabei hält beispielsweise in Sachen Antisemitismus Bayern den Bundesnegativrekord. Und unmittelbar vor den Landtagswahlen wirkt die PEN-Aktion ein bisschen verzweifelt: Sind die Sachsen nur interessant, wenn sie wählen? Wie nachhaltig ist so ein alleinstehender Diskussionsabend in Bautzen? Und kann eine Nachwuchslyrikerin eine Woche vor dem Urnengang wirklich einen Protestwähler in einen Grünen umdrehen?
John Irving hatte während einer Deutschlandreise erstaunt festgestellt, wieviel politisches Gehör die Deutschen ihren Schriftstellern schenken. Das war in den Neunzigern. Inzwischen scheint auch der PEN etwas unsicher zu sein, ob seine Autoren noch genügend Zugkraft haben und weist zur Sicherheit jeden zweiten Mitwirkenden als Preisträger aus (Kennen Sie den Robert-Gernhardt-Preis?). Außerdem sind 19 Doktoren am Start (Wussten Sie, dass Juli Zeh tatsächlich promoviert ist?).
Natürlich ist es leicht zu meckern. Dass wohl kaum ein strammer AfDler zu vermeintlich links-versifften Dichtern gehen wird und wahrscheinlich lieber Bücher verbrennt als liest. Dass Autoren überhaupt recht wenig mit der Durchschnittsbevölkerung zu tun haben (Rilke im Rat der Münchner Räterepublik? Oder doch besser Oskar Maria Graf?). Aber immerhin tut sich was. Es gibt es ein Angebot. Und gerade von denen, die das von Berufs wegen nicht müssten.
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