»Nach dem Mauerfall war davon nichts mehr übrig«
Interview: Andreas MüllerDas neue Schuljahr hat begonnen, und einmal mehr gehört der Sportunterricht zu den größten Baustellen. Die Deutschen und insbesondere der 1759 in Quedlinburg geborene Pädagoge und Turnpionier Johann Christoph Friedrich GutsMuths gelten als Erfinder der Körper- und Bewegungserziehung. Doch im schulischen Alltag wird dieses Gebiet politisch wie pädagogisch vernachlässigt.
Die Entwicklung ist paradox, und sie ist traurig. GutsMuths gilt als Schlüsselfigur beim Verständnis des heutigen Unterrichtsfachs Sport, das mit ganz unterschiedlichen Bezeichnungen wie »Gymnastik«, »Turnen«, »Leibesübungen«, »Leibeserziehung« oder »Körpererziehung« Eingang in die Schulsysteme der Welt gefunden hat. Seine Bücher zur Gymnastik der Jugend oder zum Erlernen der Schwimmkunst wurden vielfach übersetzt. Was er dazu aufgeschrieben hat, erprobte er in einer Art Privatschule, einem Philanthropinum im thüringischen Schnepfenthal.
In Ihrem gemeinsam mit Arno Zeuner verfassten Buch »Körperliche Grundbildung« zur Geschichte des körperlich-sportlichen Lernens und Trainierens haben Sie markante »Brüche« beschrieben. Welche waren besonders einschneidend?
In der jüngeren Geschichte natürlich die Jahre 1989 und 1990 mit weitreichenden und leider nicht erfreulichen Folgen für den Schulsport. Aber Vorurteile und Widerstände haben die »Erfindung« von GutsMuths von Beginn an begleitet. Körperliche Erziehung und Bildung passten nicht so recht in die vergeistigten, auf alte Sprachen ausgerichteten, neuhumanistischen Bildungskonzepte. Dann kam 1820 noch die sogenannte Turnsperre hinzu, im Gebiet des Deutschen Bundes. Turner wurden als Gefährder des Staates stigmatisiert und gerieten – wie man heute sagt – unter »Terrorverdacht«. Es dauerte dann bis 1842, ehe einer neuen Generation von Turnphilologen mit Unterstützung von Militärärzten und Vertretern der Schulhygiene der Durchbruch gelang, um das Turnen in den Schulen als Fach zu etablieren. Eine Schlüsselfigur jener Epoche war der gut vernetzte Turner und Turnphilologe Adolf Spieß aus Hessen.
Ab wann war Turnen Schulfach?
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts – zuerst an Knabenschulen und zeitlich verzögert auch in den Mädchenschulen. Es entstanden Turnlehrerbildungsanstalten, zum Beispiel in Dresden, Berlin, Stuttgart und Heidelberg. Der Turnlehrerberuf wurde professionell und eine neue Generation von Turnphilologen in Schulen und Vereinen aktiv. Letztlich war die Konzeption des Spießschen Turnens mit seinen Licht- und Schattenseiten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs prägend für das deutsche Schulturnen mit seinen Frei-, Ordnungs- und Geräteübungen, mit Ruck-Zuck-Gymnastik, Gliederpuppenturnen, Kommandosprache, Disziplinierung und anderen Formen der Militarisierung. Die Erinnerungskultur ist bis heute beeinflusst davon. Die Länder des Deutschen Bundes und ab 1871 das Deutsche Reich setzten darauf, dass Turnen als Schulfach die Arbeits- und Wehrfähigkeit bei Männern und bei Frauen die Gebärfähigkeit verbessert.
War auch das Ende des Ersten Weltkriegs eine große Zäsur?
In der Weimarer Republik setzte eine Blütezeit ein, es gab viele reformpädagogische Ansätze. Beachtung fanden Konzepte »natürlichen Turnens« als Gegenentwurf zum Modell von Spieß. Auseinandersetzungen zwischen dem sogenannten deutschen Turnen und dem englischen Sport lösten weitere Entwicklungen aus. Erwähnt werden muss die Preußische Hochschule für Leibesübungen, von 1911 bis 1933 in Berlin-Spandau. Noch wichtiger war die 1920 gegründete Deutsche Hochschule für Leibesübungen in Berlin-Charlottenburg, die 1936 in die Reichsakademie für Leibesübungen umgewandelt wurde. Durch ihre Lehrkräfte bekam die körperliche Grundausbildung eine bis dahin nicht mögliche Grundlage. Die Früchte dieser Entwicklungsarbeit wurden während der Nazizeit vereinnahmt, deformiert, instrumentalisiert und rassistisch pervertiert. In diesem Kontext ist auch die formale Einführung der täglichen Sportstunde im Jahre 1937 zu bewerten. Der tiefgreifende und umfassende Zivilisationsbruch jener Epoche belastete den Neubeginn der körperlichen Grundbildung im geteilten Deutschland erheblich. Der verschüttete Kern dieser humanistischen Konzeption musste erst wieder freigelegt werden.
Wie haben Sie die Renaissance des Schulsports im Osten persönlich miterlebt?
In der Anfangsphase der DDR gab es noch keinen Sportunterricht, das Schulfach hieß bis 1955 »Körpererziehung«. Die Lehrkräfte waren Neulehrer oder erste Absolventen des Instituts für Körpererziehung (IfK), des Pädagogischen Instituts, der Hochschulen und Universitäten. Eine eigenständige Sportorganisation gab es noch nicht, der Deutsche Turn- und Sportbund, DTSB, der DDR wurde erstaunlicherweise erst 1957 gegründet. Das außerschulische Sportgeschehen lag in den Händen des Gewerkschaftsbundes FDGB und der Jugendorganisationen. Die Sportverbände und Sportgemeinschaften waren, was schon aus ihren Namen wie »Traktor«, »Chemie«, »Motor« oder »Dynamo« ersichtlich ist, über volkswirtschaftliche Zweige organisiert.
Eine markante Zäsur wurde der sogenannte Turnbeschluss vom 9. Februar 1955 durch den damaligen Volksbildungsminister Fritz Lange, ein Widerstandskämpfer, der glaubte, durch einen Rückgriff auf den patriotischen Geist des Jahnschen Turnens aus der Zeit der Koalitionskriege gegen das napoleonische Frankreich den Unterricht neu ausrichten zu müssen. Mit Folgen: Die neue Fachbezeichnung war »Turnen«. Es gab im Unterricht Bezüge zur Nationalen Volksarmee, NVA, etwa die Kommandosprache und der Einsatz spezieller Wurfgeräte in Form von Handgranaten. Ein personalintensives System mit Kreisturnräten und Bezirksturnräten wurde installiert. Neue Schulsportwettbewerbe entstanden, Schulsportgemeinschaften wurden flächendeckend eingerichtet. Zur Dialektik jener Epoche gehört, dass der Turnunterricht heftiger Kritik ausgesetzt war.
Weshalb?
Vor allem galt die Art des Unterrichts als zu wenig wirksam, man beklagte eine geringe Bewegungs- und Belastungsintensität. Es gab in den Sportstunden zu viele Ausruhzeiten zwischen den Übungen. Der Bericht zur sogenannten Karl-Marx-Städter Konferenz ist ein Schlüsseltext. Die Modernität und Attraktivität des Sportbegriffs wurden erkannt und für die Schule genutzt. Im Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 fand die durchgreifende Sportorientierung ihren Niederschlag. Das Fach hieß von nun an »Sport«. Der Unterricht wurde fester Bestandteil der allseitigen Bildung, er fand in allen Schulstufen, in allen Klassenstufen und Schulformen statt. Sportangebote wurden Teil der ganztägigen Erziehung bis zum Hort und zu den Schulsportgemeinschaften außerhalb des Stundenplans. Und im Zentrum stand der Sportunterricht, der nun als körperlich-sportliche Grundausbildung definiert war.
Zugleich begann in jenen Jahren an verschiedenen Standorten die wohl aufwendigste, arbeitsteilig angelegte, multidisziplinär ausgerichtete und zentral gesteuerte Schulsportforschung, die es in Deutschland je gegeben hat. Anhand von Wettbewerben, allen voran die Kreis- und Bezirksspartakiaden, ließ sich die Qualität des Unterrichts messen. Das fand nach 1990 nicht mal ansatzweise eine Fortsetzung. Von heute ganz zu schweigen. Die Länder sind überfordert, und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft ist per Satzung für den allgemeinen Schulsport nicht zuständig. Es soll nur dem Leistungssport verpflichtet sein.
In Ihrem Buch widmen Sie jeweils ein ganzes Kapitel der »körperlichen Grundausbildung in der sozialistischen Schule der DDR« und dem »1989er Sportlehrplan der DDR«.
Der 89er Sportlehrplan für die Klassenstufen eins bis zehn an den Polytechnischen Oberschulen war ein Produkt der langjährigen Schulsportforschung und intensiven Beratungen mit berufserfahrenen Praktikern. Dieser Entwurf wurde vollumfänglich in der Zeitschrift Körpererziehung veröffentlicht, und er bestach in zweierlei Hinsicht. Zum einen gab es eine ausgeprägte Stimmigkeit zwischen den Zielen, Inhalten, Methoden, Organisationsformen und schulischen Bedingungen. Zweitens ermöglichte der Entwurf, die Lehrpläne so zu gestalten, dass in diesem Fach über zehn Jahre hinweg eine systematische Entwicklung stattfinden konnte. Aber das ging 1989/90 ein, wie auch die organisierte Schulsportforschung damals zerfiel. An der Akademie der pädagogischen Wissenschaften gab es im Herbst 1990 für mich keinen Nachfolger bei der »Arbeitsstelle für Körpererziehung«. Ich erinnere mich, dass wir Ende der 80er Jahre an der Ostsee große Konferenzen zum neuen Sportlehrplan abhielten und dieses Konzept auch von Teilnehmern aus der Bundesrepublik geschätzt wurde. Nach dem Mauerfall war von dieser Sympathie nichts mehr übrig. »Bei uns nicht praktikabel«, hieß es plötzlich. Man ging gründlich auf Distanz.
Also blieb der »Zehnjahresansatz« Theorie.
Das Ergebnis sehen wir heute. Schulsport ist nur noch Anhängsel und von internationalen Entwicklungen abgehängt. Das gilt nicht nur quantitativ, wenn drei Stunden pro Woche bloß auf dem Papier stehen und dieser massenhafte Gesetzesverstoß nicht mal geahndet wird. Was übrigens ebenfalls für die gesetzlich verbriefte Pflicht gilt, in den Schulen Schwimmunterricht für Anfänger zu erteilen. Und dann die qualitativen Mängel. Es fehlt an qualifizierten Lehrkräften. Es fehlt auf Hochschulebene an Personal, das Lehramtsstudenten gut ausbildet. Da sind riesige Defizite und fatale Fehlentwicklungen. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg hat man wenigstens ein paar Elemente aus dem Sportlehrplan aufgegriffen. Ganz kurios ist der Umgang mit dem Nachfolgematerial zum 89er Lehrplan. Dort enthaltene Empfehlungen und Tabellen zur Bewertung kursieren unter der Hand noch immer, im Grunde wie ein heimlicher Lehrplan. Hätte man damals nicht abgewickelt, hätten wir ein ausgezeichnetes Instrument in die Hand bekommen.
Warum wurde das Fach Sport in der DDR so aufmerksam gepflegt?
Die DDR strebte nach internationaler Anerkennung, die ihr infolge der Hallstein-Doktrin durch die Bundesrepublik systematisch verwehrt wurde. Im Zuge der Aufstellung gesamtdeutscher Olympiamannschaften für 1956, 1960 und 1964 wurde vermutlich in der DDR-Führung erkannt, dass mit Hilfe relativ geringer volkswirtschaftlicher Aufwendung sportliche Erfolge gegenüber der BRD möglich sind, was sich international auswirken konnte. Und diese Rechnung ging auf. Die Hinwendung zum globalen Kulturphänomen Sport ist eine originäre DDR-Entwicklung, sie fand nicht erst statt, als bekannt wurde, dass die Olympischen Sommerspiele 1972 nach München vergeben werden. Diese Vergabe löste aber auch im Gastgeberland eine durchgreifende Sportorientierung aus. Aus dem Unterrichtsfach Leibeserziehung wurde Sport. Aus der Theorie der Leibeserziehung entstand quasi über Nacht die Sportwissenschaft. Sportunterricht war in der DDR das beliebteste Unterrichtsfach.
Und der Schulsport war Zubringer für den Spitzensport?
Man muss ehrlicherweise sagen, dass nur die Klassenstufen vier bis sechs in den Genuss von wöchentlich drei Sportstunden kamen. In den anderen Stufen waren zwei Wochenstunden Standard. Ergänzt von Angeboten der Schulsportgemeinschaften, die es an jeder Schule gab und die ebenfalls von gut ausgebildeten Sportlehrern geleitet wurden. Es gab sogar Fördergruppen, also eine Art Nachhilfeunterricht, wenn das etwa aus medizinischer Sicht geboten schien. Aber noch mal: Als dieses einheitliche System Mitte der 60er Jahre etabliert wurde, hatte noch niemand eine Ahnung, dass die Olympischen Spiele 1972 in München ausgetragen werden. Die starke Hinwendung zum Sport resultierte aus der Erkenntnis, dass man damit nicht nur in den Fußstapfen von GutsMuths wandelt, sondern sich mit Hilfe des Sports als kleines Land ebenfalls nach außen profilieren könnte.
Der Schulsport hatte aber nicht nur wegen der leistungssportlichen Ambitionen der DDR so viel Gewicht. Diese Sicht wäre zu einfach. Dem standen allein die ständigen Reibungen zwischen Bildungsministerin Margot Honecker und Manfred Ewald als dem wichtigsten Sportfunktionär in der DDR entgegen. Er wollte unbedingt den Unterricht am Samstag abschaffen, um Kindern und Jugendlichen so mehr Raum für sportliche Wettkämpfe zu ermöglichen. Honecker lehnte das konsequent ab. Was an allen Schulen stattfand, waren regelmäßige Talentsichtungen. Da schauten zumeist Sportstudenten ein- oder zweimal im Jahr nach Kindern, die sich in bestimmten Disziplinen durch besondere Leistungen hervortaten. Für sie stand dann der Weg zu den Trainingszentren offen, in denen als Vorstufe zu den Kinder- und Jugendsportschulen rund 70.000 Kinder waren. Bei alldem handelte es sich eher um ein indirektes Beziehungsgeflecht zwischen Schule und Leistungssport. Obwohl es auch vorkam, dass ein Sportlehrer direkt auf einen Verein oder ein Trainingszentrum vor Ort zuging.
Das zuständige Bundesministerium des Innern arbeitet gerade an einem neuen Entwurf für einen nationalen »Entwicklungsplan Sport«, in dem auch einige Passagen zum Schulsport enthalten sein werden. Was müsste da unbedingt drinstehen?
Wichtig wäre vor allem, dass mit dem Ausbau der Ganztagsschule nicht die akuten Mängel im Sportunterricht gegeneinander ausgespielt werden. Ich plädiere für gute Sportangebote beim »Ganztag«. Doch die dürfen keinesfalls ein Sparmodell für den Unterricht sein, kein Ersatz für den gesetzlich verankerten Sportunterricht. Ich würde mir wünschen, dass mit dem Entwicklungsplan eine gründliche Analyse der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität des Kinder- und Jugendsports in Deutschland einhergeht, um Entscheidungen auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse treffen zu können. Es müsste viel Geld in die Hand genommen werden, die Situation der Sportstätten, insbesondere in den alten Bundesländern, zu verbessern und qualifizierte, bildungsrelevante Sportangebote verlässlich in den Ganztag zu bekommen.
Beispielsweise wären in allen Ländern nach dem Vorbild der ostdeutschen Länder schulische Schwimmzentren einzurichten. Groteske Kooperationsstörungen in den Beziehungen zwischen Bund und Ländern sind politisch zu beseitigen, und die Personalstellen in der Sportlehrerausbildung an den Universitäten gilt es erheblich auszubauen. Der DOSB sollte auch seine gesellschaftliche Mitverantwortung für den Schulsport in den Ländern wieder ernst nehmen und mit entsprechenden Kommissionen der Konferenz der Kultus- und Sportminister zusammenarbeiten. Dokumente von der Qualität der früheren »Aktionsprogramme Schulsport« sind dringend erforderlich. Doch ganz ehrlich: Nach meinen langjährigen Erfahrungen wird es einen »Entwicklungsplan Sport« geben, an den sich schon nach wenigen Jahren niemand mehr erinnert. Papier ist geduldig.
Professor Albrecht Hummel war der letzte Leiter der »Arbeitsstelle für Körpererziehung« an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR von 1989 bis zum Herbst 1990 und lehrte an der Technischen Universität Chemnitz von 1993 bis 2013 Sportpädagogik und Sportdidaktik. Gemeinsam mit Arno Zeuner, der von 1967 bis 1993 an der Pädagogischen Hochschule im westsächsischen Zwickau ganze Generationen von Sportlehrern ausbildete, hat Hummel im vergangenen Jahr im Arete-Verlag Hildesheim ein Buch unter dem Titel »Körperliche Grundbildung. Theorie. Geschichte. Prozess« veröffentlicht.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (8. September 2024 um 18:19 Uhr)Ach, der deutsche Schulsport. Einst gefeiert als elementarer Baustein der Volksgesundheit, ist er heute nur noch ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Die Vision von dynamischen, durchtrainierten Schülern, die in der Schule schwitzen und rennen, wirkt heute so fern wie die schwarz-weißen TV-Bilder der Olympischen Spiele von 1972. Was ist nur geschehen? Früher, da gab es klare Ziele. In der DDR etwa diente der Schulsport nicht nur der körperlichen Ertüchtigung, sondern auch der internationalen Profilierung. Mit sportlichen Glanzleistungen wollte man zeigen, dass man – auch als kleines Land – ganz groß herauskommen kann. Der Sportlehrplan war durchdacht und strukturiert. Sport war nicht nur eine Frage der Fitness, sondern auch des nationalen Prestiges. Und heute? Na ja, die drei Sportstunden pro Woche existieren vor allem auf dem Papier. Schwimmunterricht? Wenn er überhaupt stattfindet, dann wohl eher in der Theorie als im Wasser. Der Sportunterricht selbst? Zum Anhängsel des Schultags degradiert – Hauptsache, die Kinder kommen nicht völlig aus der Puste. Anstrengung? Das war einmal. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns als Gesellschaft weiterentwickelt haben. Wozu sich im Sportunterricht abmühen, wenn es auch bequemer geht? Heutzutage ist körperliche Ertüchtigung schließlich eher etwas fürs Fitnessstudio als für den Klassenraum. Der Körper als vernachlässigtes Kapital, nicht als Ertüchtigung – eine Rückentwicklung, die sich still und heimlich eingeschlichen hat.
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