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Aus: Ausgabe vom 13.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kulturbetrieb

Nicht sauber, sondern rein

Von Felix Bartels

Einer namens Mockridge macht Witze über die Paralympics. Blutdrücke steigen, Podcäste laufen heiß, Hääre stehen zu Berge. Binnen weniger Tage kappt der Kulturbetrieb kollektiv die Verbindungen zum Komiker. Akte geschlossen, Deutschland wieder gut.

Der Fall selbst scheint so wichtig nicht, exemplarisch ist er allemal. Beim boshaften Witz fallen Thema und Adressat auseinander. Ein Witz über Menschen mit Behinderung zum Beispiel geht vorderhand auf Kosten dieser Menschen, das eigentliche Ziel des Spotts aber sind nicht sie, sondern diejenigen, die sich über ihn aufregen werden. Der Possenreißer nimmt das verklemmte, zwanghaft gut sein wollende Bewusstsein aufs Korn. Der Witz wirkt als Akt der Befreiung. Im Lachen wird dieser flüchtige Moment ganz kurz physisch, ehe man sich wieder zusammennimmt. Befreiung natürlich nicht von körperlich beeinträchtigten Menschen, sondern von hypermoralischer Gängelei. Die Sittenwächter stellen sich, als müssten sie die moralischen Standards erst noch durchsetzen. Tatsächlich lassen sich diese Art Witze nur in einem Umfeld machen, in dem diese Standards längst Standard sind.

Der Künstler wiederum muss wissen, was er tut. Provoziert er, darf er übers Echo nicht klagen. Niemand macht diese Art Witze, ohne nicht auch den Skandal zu wollen. Dass zum Skandal mittlerweile auch das Risiko gehört, dass der Sünder aus dem Berufsleben gedrängt wird, musste Mockridge wissen.

Auch der Akt der Sanktion scheint es allerdings in sich zu haben. Da geht es um mehr als lediglich moralische Entrüstung. Auch ihn als Ausdruck von Strafbedürfnis zu deuten reicht wohl nicht hin. Es ist, denke ich, etwas wie Reinigung. Das Gesamtschlamassel, in dem wir miteinander leben, zeugt soziale Kollisionen, die sich in uns als seelische Kollisionen reproduzieren. Menschen wollen gut sein, gesellschaftliche Wirklichkeit hindert sie mitunter daran. So wächst das Bedürfnis, das Schlechte dingfest zu machen, man treibt, wie man so sagt, die Sau durchs Dorf. Wo die Welt als ganze nicht heilbar ist, entsteht für den Moment, wenn der eine da jetzt exkommuniziert wird, das Gefühl, es ist oder werde alles gut. Im Grunde also funktioniert die Erregung über den boshaften Witz ganz ähnlich wie der boshafte Witz. Als flüchtiger Moment, in dem Befreiung erlebt werden kann.