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Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Himmlisch

Im Dezernat VII – Welche Krise hätten’s denn gern?

Von Pierre Deason-Tomory
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Hey Bruno, hast Du Zeit?

Ich habe mich neulich nachts im Weimarhallenpark verlaufen nach der Kneipe, und als ich einen Ausgang fand, stand ich in einer Straße, die ich nicht kannte. Sie war düster. War ja auch nachts. Dann fing es an, leicht zu regnen. Hört bestimmt bald auf, sagte ich mir, und es fing an zu schütten. Ich wollte mich irgendwo unterstellen, sah weiter vorne eine graue Villa mit Vordach und flüchtete mich darunter. Drehte mir eine Zigarette, zündete sie an, fragte mich, wo ich wohl bin.

Auf dem Messingschild am Portal stand: »Bürgereingabenstelle des einen Höheren Wesens, das alle Geschicke bestimmt – Dezernate IV bis XII«. Ich legte aus Geigel die Hand auf die Klinke, da sprang die Tür auf und eine Männerstimme aus dem Inneren sagte laut und freundlich: »Ich danke Ihnen dafür, dass Sie die Zigarette draußen in der kleinen Messingurne hinterlassen, Herr Deason-Tomory. Herzlich willkommen. Treten Sie ruhig näher.« Hinter einem großen Schalter aus dunklem Holz stand ein behornbrillter hagerer Mann in Anzug und Krawatte, der unterwürfig lächelte. »Was kann ich für Sie tun?« – »Weiß ich nicht. Sagen Sie mir doch, was Sie für mich tun könnten.« – »Es ist unsere Aufgabe bei der B. E. S., auf Ihre Eingabe hin ein Geschick oder ein Missgeschick, welcher Art auch immer, nach Ihren Wünschen zu bestimmen. Mein Name ist Kratochvil, ich stehe dem Dezernat VII vor. Zuständigkeit: Krisen. Sie haben drei Wünsche frei.«

»Ich kann mir jetzt drei Krisen wünschen?« – »Jawohl.« – »Was für welche?« – »Vielleicht so etwas wie die Volkswagen-Krise oder die Klimakrise. Aber diese beiden sind natürlich bereits okkupiert.« – »Okay. Dann bitte die nächste Krise für die scheiß Bayern.« – »Wie genau?« – »Hoeneß ätzt den Trainer raus und holt Labbadia.« – »Und was darf ich als Ihren zweiten Wunsch aufnehmen, mein Lieber?« – »Sagen Sie, sind Sie vielleicht Österreicher?« – »A geh, das merkt man? Ja, ich bin aus Salzburg.« – »Machen Sie sich nichts daraus. Als zweites bitte eine Merz-Krise. Der soll eine riesige Warze auf die Nase kriegen. Behaart!« – »Erlauben Sie mir die Frage: Warum die Warze nicht für die Weidel?« – »Das könnte mir als Sexismus ausgelegt werden.« – »Krise Nummer drei?« – »Eine Regierungskrise. Die FDP schmeißt hin, und Scholz muss im Schlüppi Koalitionsverhandlungen führen mit Sahra Wagenknecht in Lack und Leder und mit Reitpeitsche.« – »Das könnte Ihnen wiederum als Gewaltverherrlichung ausgelegt werden, aber ganz wie Sie meinen. Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden. Und hier. Und dann noch hier.«

Der Beamte stempelte seinen Zettel ab, klebte eine Briefmarke drauf, machte mit einer Faxmaschine zehn Kopien, alle unleserlich, und legte diese in zehn Postfächer, die nicht beschriftet waren. »Wie Sie sehen, habe ich Ihre Wunschkriseneingaben sachgerecht bearbeitet, Herr Deason-Tomory. Ich bin untröstlich, dass Sie nun also wieder Ihrer Wege gehen müssen.« – »Eine Frage noch. Wann geht’s los mit den Krisen?« – »Niemals.« – »Warum?« – »Im Dezernat VII funktioniert leider nichts. Die Mitarbeiter hier sind alles Österreicher.« – »Und warum hat’s bei VW und der Ampel funktioniert?« – »Diese Krisen waren gar nicht als solche bestellt. Das haben die Kollegen von Dezernat XI vermasselt, und die sind eigentlich dafür zuständig, die Welt zu retten. Aber die können auch nichts.« – »Lassen Sie mich raten, die Kollegen aus dieser Abteilung sind alles …« – »Deutsche, richtig.«

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