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Aus: Ausgabe vom 30.09.2024, Seite 8 / Ansichten

Besorgter Vater des Tages: Cem Özdemir

Von Nick Brauns
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Schwäbischer Biedermann im Babylon Berlin: Cem Özdemir

Er mache sich Sorgen um seine Tochter, bekennt der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Denn diese und ihre Freundinnen würden in der Stadt häufiger »von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert«. Er spüre, wie enttäuscht seine Tochter sei, »dass nicht offensiver thematisiert wird, was dahintersteckt: die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern«, verschanzt sich der schwäbische Biedermann im Berliner Babylon für solche Auslassungen im AfD-Stil hinter der Teenagerin.

Die Asylpraxis habe sich zu einem »Recht des Stärkeren entwickelt«, beklagt der Grünen-Politiker, denn überwiegend kämen nicht die Schutzbedürftigsten, sondern junge Männer aus den Krisengebieten der Welt. Aufgeschrieben hat der Minister das vergangene Woche in der FAZ, lesbar nur für Käufer oder Abonnenten, so dass Bild am Wochenende seine Überlegungen bierzelttauglich zusammenfasste: »Als Vater will Cem Özdemir das Migrationsproblem nicht ignorieren.«

Rezepte hat der Grüne auch parat: konsequentere Identitätsfeststellungen und härtere Strafen. Doch »wer Ideologien in ihren tödlichen Zuspitzungen wirksam und an der Wurzel bekämpfen will« – hier benennt Özdemir Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus in einer Reihe – »muss den Sozialstaat neu aufstellen«. Das bedeute: »Weniger Transferleistungen. Mehr gezielte Leistungsanreize und starke öffentliche Institutionen« – zu letzteren dürfte die Polizei zählen.

So läuft bei dem Befürworter einer schwarz-grünen Regierungskoalition die Befeuerung des rechten Kulturkampfes gegen muslimische Migration auf Ablenkung vom neoliberalen Klassenkampf von oben heraus. Dem Machismus mancher Talahons wird damit bestimmt nicht der Boden entzogen. Zumindest liefert Özdemir der Grünen Jugend weitere Gründe zum Bruch mit der Mutterpartei.

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