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Aus: Ausgabe vom 07.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
75 Jahre DDR

»Ein Leben, ohne einen Gedanken an Geld verschwenden zu müssen«

Die junge Welt-Festveranstaltung »75 Jahre DDR. Was bleibt?« im Berliner Kino Babylon
Von Hagen Bonn
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Die Kunst zahlt keine Miete: »Linda und die lange Leitung« (Berlin, 5.10.2024)

Das altehrwürdige Kino Babylon, 1928/29 im Stil der »Neuen Sachlichkeit« erbaut, wurde Zeuge von Größe und Elend deutscher Geschichte: Demonstrationen der KPD auf seinem Vorplatz gegen Faschismus, Hunger und Kälte, die Parteizentrale lag nebenan. Aber auch Überfälle der SA und schließlich die Besetzung des Karl-Liebknecht-Hauses 1933 durch die an die Macht geschobenen Faschisten. Da war es angemessen, den 75. Jahrestag der Gründung der DDR genau hier zu feiern, mit Redebeiträgen, einem Podiumsgespräch, Musik und einer Vorstellung des filmischen Denkmals »Die Legende von Paul und Paula« zum Abschluss. Auf Einladung der jungen Welt kamen am Sonnabend 500 Gäste, um einen Staat zu ehren, der nicht mehr existiert, aber auch 34 Jahre nach seiner Zerstörung, vor allem im Osten der Republik, so lebendig ist, dass er bis heute Ziel hasserfüllter Attacken der vermeintlichen Sieger der Geschichte wird. »75 Jahre DDR. Was bleibt?« lautete die Frage, der man sich annähern wollte.

Kein Geringerer als der letzte Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR im Herbst 1989, Egon Krenz, sprach zum Auftakt über die Mission des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. 40 Jahre DDR bedeuteten 40 Jahre praktische Friedensarbeit: »Die DDR hat niemals Krieg geführt, sie war der deutsche Friedensstaat!« so Krenz. Ihre Gründer erhoben den Schwur von Buchenwald zur Leitlinie der Politik. Sogar die Siegerideologen vom »Forschungsverbund SED-Staat« hätten anerkennen müssen, dass »es nicht gelungen (sei), die DDR aus den Herzen der Menschen zu bekommen«. Selbstkritisch äußerte sich Krenz über die Unzulänglichkeiten des sozialistischen Staates: »Wir waren wie Wegbereiter.« Aber: »Die DDR taugt nicht als Aschenputtel deutscher Geschichte.«

Daniel Bratanovic aus der Chefredaktion von junge Welt hatte zuvor bereits die Gäste im großen Kinosaal begrüßt und wie nebenher mit einem Gundermann-Zitat genau den richtigen Umgang mit dem Phänomen DDR gefunden: »Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen.«

Martin Küpper im Wendejahr 1989 geboren, Philosoph, Historiker und Publizist, sprach nach Krenz in seinem Vortrag über die größte Herausforderung der Sozialpolitik der DDR, die Lösung der Wohnungsfrage. Dass das industrielle Bauen in der Architekturkritik bis heute als in »Beton gegossene Langeweile und Tristesse« aufgefasst wird, wollte er so nicht stehen lassen. Die wohnlichen Gesamtstrukturen in den Städten sollten »durch erlebbare Kontraste gekennzeichnet sein, typisierte Bauten individuelle Aneignung und Gestaltung ermöglichen«. Gerade das »vergesellschaftete Wohnen« bot dazu alle Freiheiten – die natürlich in der Wirklichkeit an Grenzen stießen, wenn Mensch und Material am Bau rar war und gleichzeitig der Bedarf an modernem Wohnraum riesig. Nicht nur die Impulse, so Küpper, sondern auch die Ergebnisse dieser neuen Architektur waren in ihrer Vielfalt trotz allem beeindruckend.

Das nachfolgende Podiumsgespräch, das mit einer Kurzlesung der Schauspielerin Jennipher Antoni bereichert wurde, die Texte aus ihrem Programm zu Peter Hacks vortrug, konnte nicht alle Gäste im Saal erreichen. Ein Besucher ereiferte sich unverständlicherweise und provozierte so eine längere Unterbrechung. Dabei gab es viel Bedenkenwertes zu hören: Antoni und die Autorin Dörte Grimm kannten die DDR nur aus ihrer Kindheit, die Lehrerin und Liedermacherin Linda Gundermann wurde erst 1992 geboren. Eine symbolische Besetzung, die die Moderatorin Doreen Kähler hier vorstellte. Die Künstlerinnen stammen aus der Generation, die wohl am besten die Frage beantworten kann: »Was bleibt?«

Vor allem waren das Wünsche. Was bleibt, ist vor allem ein Bewusstsein des Verlorengegangenen. Die ausradierte DDR hat viele Leerstellen hinterlassen. Wo ist das Miteinander, das Füreinander-da-sein? fragte Antoni. Und Grimm fügte hinzu: »Ein Leben, ohne einen Gedanken an Geld verschwenden zu müssen«, sei heute gar nicht mehr vorstellbar. Linda Gundermann drückte das so aus: »Ich muss Miete zahlen – und diese mit Kunst in diesem Land zu verdienen, ist nicht realistisch.« Deshalb sei sie zuerst Gymnasiallehrerin und hernach Künstlerin. Zum Ende herrschte Einigkeit, als die Frauen betonten, dass die gegenwärtigen gesellschaftlichen und vor allem politischen Konflikte nur angegangen werden können, wenn wir miteinander reden und aufeinander zugehen, denn nur im anderen wird jeder sich selbst finden können.

Gundermann spielte im Anschluss mit ihrem Projekt »Linda und die lange Leitung« und verdeutlichte in dem Konzert gefühlvoll, aber wach, was alles im Heute steckt. Eigentlich nichts anderes als früher. Es sind die Menschen mit ihren kleinen Sorgen, es sind die weichen Gefühle, die in uns wie Blumen blühen und nicht zuletzt die Tränen, die bleiben, auch beim anderen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael M. (9. Oktober 2024 um 14:15 Uhr)
    Schade, dass die Veranstaltung »Was bleibt« eher einem Festakt glich. Das zeichnete sich bereits ab, als zu Beginn Herr Daniel Bratanovic von der Chefredaktion der jW mitteilte, Fragen aus dem Publikum aus Zeitgründen nicht zulassen zu können, was einfach unakzeptabel bei einem Podiumsgespräch ist. »Was bleibt« suggeriert eigentlich, über Erfahrungen und Erkenntnisse aus der 40jährigen Geschichte der DDR nachzudenken, zu diskutieren und daraus Schlussfolgerungen für künftige Generationen abzuleiten. Das sind vor allen Dingen die Erfolge der DDR, als auch die Beantwortung der Fragen, warum sie gescheitert ist. Dem wurde die Veranstaltung in keiner Weise gerecht. Sicherlich waren die Beiträge der Herren Krenz und Küpper sowie das Podiumsgespräch mit (viel zu vielen) Texten von Peter Hacks interessant, doch passten sie sehr wenig zum Veranstaltungsthema. So wurde eine große Chance vertan. Den vorliegenden JW-Artikel von Herrn Hagen Bonn hätten wir in der DDR als oberflächlich, unkritisch und Schönfärberei bezeichnet. Natürlich mussten auch wir in der DDR uns Gedanken über Geld machen. Deshalb ist es falsch, diesem Artikel eine solch reißerischen Überschrift zu geben. Auch wenn Dörte Grimm, die zu Ende der DDR gerade mal 11 Jahre war, in Unkenntnis der Dinge »Ein Leben, ohne einen Gedanken an Geld« verschwenden zu müssen« vortrug. Frau Grimm empfehle u. a. dazu die Tagebücher von Brigitte Reimann zu lesen. Auch ich hatte zeitweise Geldprobleme in der DDR kennengelernt. Ende der 70er Jahre studierte ich, war verheiratet und hatte eine Tochter, die 1979 geboren wurde. Trotz Stipendium und Gehalt meiner Frau mussten wir auf jeden Pfennig achten und viele Wünsche und Bedürfnisse zurückstecken. Aber entscheidend war, dass wir keine existenziellen Geldnöte hatten, weil die Sozialpolitik der DDR die Grundbedürfnisse des Menschen durch subventionierte Grundnahrungsmittel und Wohnungsmieten, kostenfreie Kinderbetreuung, zinslose Ehekredite usw. sicherte.
    Von Egon Krenz hätte ich eine tatsächliche Selbstkritik erwartet. Schließlich gehörte er zum politischen Führungskreis der DDR, der den Zusammenbruch der DDR mitzuverantworten hatte. Er kann sich ebenso als letzter Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR nicht von einer Mitschuld des desaströsen Beitritts der DDR zur BRD freisprechen. Wir wissen um die fürchterlichen Folgen für die Bevölkerung der DDR, den Raub des Volkseigentums in Stadt und Land und das Verhindern eines Volksentscheides zum Beschließen einer gesamtdeutschen Verfassung nach dem damals noch gültigen Artikel 146 des bundesdeutschen Grundgesetzes. Auch irrt Herr Hagen Bonn, wenn er den Beitrag von Martin Küpper als »Vortrag über die größte Herausforderung der Sozialpolitik der DDR, die Lösung der Wohnungsfrage« herausstellt. Denn darüber hat Herr Küpper so gut wir gar nicht referiert. Wünschenswert im Rahmen seines Vortrages wäre es gewesen, die Aufgabenstellung, die damit verbundenen Herausforderungen und die erreichten Erfolge bei der Lösung der Wohnungsfrage als soziale Problem aufzuzeigen, zu der ausschließlich ein Staat mit einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fähig ist. Generell war die Auswahl der am Podiumsgespräch Teilnehmenden nicht für einen solchen Anlass von Vorteil, da sie vom Alter kaum oder gar nicht über eigene DDR-Erfahrungen verfügen. Da muss die Frage erlaubt sein, wie Herr Hagen Bonn zu solch fehlgeleitetem Resümee kommen kann »Die Künstlerinnen stammen aus der Generation, die wohl am besten die Frage beantworten kann: «Was bleibt?»«. Nein, es ist unsere Generation, vor allem die bis 1960 in der DDR Geborenen, wir sind gefragt, Antworten zu geben. Mit seinem Artikel hat Herr Hagen Bonn dem Anspruch der JW keinen guten Dienst erwiesen. Sehr gelungen ist dagegen die Beilage »75 Jahre DDR« der JW vom 2. Oktober 2024, die auch dem Thema »Was bleibt« gerecht geworden ist.
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (10. Oktober 2024 um 11:46 Uhr)
      Sie schreiben: »Von Egon Krenz hätte ich eine tatsächliche Selbstkritik erwartet. Schließlich gehörte er zum politischen Führungskreis der DDR, der den Zusammenbruch der DDR mitzuverantworten hatte. Er kann sich ebenso als letzter Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR nicht von einer Mitschuld des desaströsen Beitritts der DDR zur BRD freisprechen. Wir wissen um die fürchterlichen Folgen für die Bevölkerung der DDR, den Raub des Volkseigentums in Stadt und Land und das Verhindern eines Volksentscheides zum Beschließen einer gesamtdeutschen Verfassung.« Natürlich könnte Egon Krenz wie schätzungsweise wir alle in unserem Umfeld mehr Selbstkritik üben. Aber egal mit welchen Methoden man die DDR regierte oder anders hätte gestalten können – sie brach nicht deshalb zusammen und hätte auch nicht bei mehr Selbstkritik und anderen Maßnahmen der Führung gerettet werden können. Sie stand und fiel mit dem Schicksal der Sowjetunion. Der RGW war ein in sich geschlossenes System, z. B. auch bei der Energieversorgung, aus dem man nicht einfach so die wichtigste Stützwand herausreißen konnte. Die Führung der UdSSR, aber auch große Teile der Bevölkerung der UdSSR und der DDR hatten einfach die Lust am Sozialismus verloren. Keine wie auch immer anders geartete Politik der DDR-Regierung (zu keinem Zeitpunkt) hätte daran etwas ändern können, dass die DDR und das System RGW und Warschauer Pakt von Moskau fallen gelassen wurde. Eine Verfassung würde man in Deutschland genauso verletzen wie jetzt einige Artikel im Grundgesetz. Der Einigungsvertrag mit dem Ausverkauf der DDR wurde nach den Wahlen am 18. März von der Regierung unterschrieben, welche die DDR-Bevölkerung mehrheitlich gewählt hatte. Das kann man Krenz nicht vorwerfen. Beim Zerfall der UdSSR erhielten alle Bürger Anteilsscheine für die früheren volkseigenen Betriebe und konnten zumindest ihre Wohnung als Wohneigentum behalten. Die DDR-Bevölkerung hat am 18. März 1990 eben falsch gewählt.
  • Leserbrief von FK (8. Oktober 2024 um 11:48 Uhr)
    Ich war am Sonnabend bei der Veranstaltung »75 Jahre DDR: Was bleibt?«. Ich war dort als Privatperson, aber auch als Vertreterin der IF DDR. Über den Titel der Veranstaltung kann man streiten, es klang ein bisschen langweilig und unbestimmt. Vom Programm war nicht ersichtlich, was der Abend bringen würde. Krenz’ Rede war nicht überraschend, Küppers Beitrag war philosophisch angelegt, aber natürlich beantwortete er die Frage »Was bleibt?« für einen spezifischen Bereich.
    Und dann? Es wäre wünschenswert gewesen, eine scharfe politische Diskussion zu führen, wahlweise über das Wesen der DDR selbst oder wenigstens über den Status der DDR-Delegitimierung und der Aufarbeitungsindustrie. Es wäre okay gewesen, den Abend mit Anekdoten und Reflektionen zu füllen, das hätte eine ostalgische Note gehabt, aber mit guten Geschichtenerzählern geht das.
    Das Podium mit »Töchtern« zu besetzen, ist ein guter Witz, schließlich bleiben von der DDR gerade die Kinder, aber das Konzept dieser Runde erschloss sich nicht. Was sollten/wollten die Frauen zur Debatte beitragen? Was wollte die Moderatorin wissen, welche Thesen wollte sie in den Raum stellen? Warum über die DDR reden, beziehungsweise, warum bei dieser Veranstaltung nicht über die DDR reden? Schlimmer noch, warum Tür und Tor öffnen, gängige Mythen über die DDR durch Suggestivfragen zu bedienen, anstatt diese zu entzaubern?
    Der Saal war voll besetzt. Ja, wie zu erwarten war das Publikum älteren Semesters, aber nicht nur. Was für eine verschenkte Gelegenheit!

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