»Man hätte den Fall lösen können«
Interview: Kristian StemmlerOury Jalloh starb am 7. Januar 2005 in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers. Sie haben im Juni ein Buch über die »verhinderte Aufklärung« seines Todes veröffentlicht. Wie sind Sie dazu gekommen?
Im Jahr 2009, einige Monate nach den Dessauer Freisprüchen für den Dienstgruppenleiter und einen Streifenpolizisten, habe ich meine Recherche begonnen. Oury Jalloh war gefesselt und auf seiner Liege fixiert, und er hatte kein Feuerzeug. Dennoch ging die Kammer davon aus, dass er sich selbst angezündet hatte. Das hat mich nicht überzeugt, im Gegenteil hat es mich neugierig gemacht.
Sie haben den Fall dann intensiv weiterverfolgt, Akten studiert, mit Zeugen, Polizisten, Staatsanwälten, Brandexperten, Rechtsmedizinern und Kriminologen gesprochen.
Ja. Die Ergebnisse meiner Recherche habe ich zwischen 2010 und 2020 in Radiofeatures und einem Podcast präsentiert. Nach dem Podcast bekam ich sehr viel Post von Hörerinnen und Hörern. Viele waren schockiert und stellten mir die Frage, wie so etwas in unserem Rechtsstaat möglich sein konnte. Das hat mir einen Schub gegeben, noch mal tiefer in die Sache einzusteigen. Das Buch geht weit über die Informationen meiner Radioarbeiten hinaus. Wer es liest, kann nachvollziehen, wie es Polizei und Justiz gelang, die juristische Aufklärung des Todes von Oury Jalloh zu vermeiden.
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Man hätte den Fall lösen können. Es gibt Ermittlungslücken, die gefüllt werden können. Die Ermittlungen wurden aber abgebrochen, als ein unerwünschtes Ergebnis drohte. Das wollte man offensichtlich nicht riskieren. Man hatte ja das Magdeburger Urteil, das von versehentlicher Selbstanzündung durch das Opfer ausging, und einen Verurteilten, der nicht pflichtgemäß auf den Mann aufgepasst hatte. Damit war man zufrieden. Denn von da an schrieb die eine Justizbehörde von der anderen ab, neue Erkenntnisse wies man mit nicht nachvollziehbaren Begründungen zurück und erfand sogar eine neue Ursache für den Hitzeschock, an dem Oury Jalloh starb.
Im Zusammenhang mit dem Dessauer Polizeirevier gab es noch zwei andere ungeklärte Todesfälle, Mario B. und Hans-Jürgen R. Wieso passierte das alles ausgerechnet in diesem Revier?
Meine Recherchen führten in eine Gemengelage, wie es sie zum Zeitpunkt der Tat nicht nur in Sachsen-Anhalt gab: brutale Polizeitraditionen gepaart mit Alltagsrassismus und Rechtsradikalismus. In den beiden Todesfällen ermittelte die Dessauer Polizei gegen eigene Kollegen. Auf der Hand liegende Ermittlungsansätze wurden nicht verfolgt. Im Fall R. baute man einen unschuldigen Mann aus Bangladesch zum Hauptverdächtigen auf und ließ den tatsächlich verdächtigen Polizisten buchstäblich aus den Augen.
Alle drei Verstorbenen hatten zu viel Alkohol getrunken und waren offenbar auf dem Revier »diszipliniert« worden. Bei Oury Jalloh kam dazu, dass er Afrikaner war. Da ergeben sich Fragen: War er für sie eine »Person minderer Bedeutung«? Hat man deshalb nicht versucht, herauszufinden, wer schuld an seinem Tod war? Oder lag es daran, dass nur Polizeibeamte die Täter sein konnten? Interessant ist der Spruch der Richterin in Magdeburg: Dass Polizeibeamte Oury Jalloh in der Zelle angezündet haben, sei undenkbar.
Der Fall ist juristisch praktisch abgeschlossen. Die letzte Chance ist eine Beschwerde, die die Familie von Oury Jalloh beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben hat.
Sollte der Europäische Gerichtshof hier aktiv werden, wäre das ein Hoffnungsschimmer. Er würde sich als unabhängige Instanz einbringen und die deutsche Justiz beauftragen, erneut in den Fall einzusteigen. Bisher wurde nur ein untergeordnetes Delikt verhandelt. Nicht wie der Brand entstand, sondern nur, ob die angebliche Selbstanzündung hätte verhindert werden können. Dass endlich die richtige Frage gestellt wird, darauf wartet die Familie seit 20 Jahren.
Margot Overath ist Autorin und veröffentlichte im Juni das Buch »Verbrannt in der Polizeizelle«
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