Neocons vs. Tech-Bros
Von Stefan HeidenreichImmer wenn eine Wahl derart als Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt wird, sollte man sich fragen, was hinter dem aufgeregten Gezeter steckt. Vermutlich nichts Moralisches. Der marxistische US-Ökonom Richard D. Wolff meint prompt, es ginge wie immer um nichts. Jedenfalls werde sich nichts Wesentliches ändern, wer auch immer ins Amt komme. Das würde eine alte Regel bestätigen: Je nichtiger die Unterschiede, desto größer das Geschrei.
Auf der einen Seite, so die gängige Erzählung, steht die tapfere Retterin der liberalen Demokratie. Bedroht wird sie von einem irrlichternden Wüterich mit Tyrannenambitionen. Versprochen wird ein großes Drama, denn zu allem Unglück laufen die Wähler dem Schurken zu. Ähnlich wie im Fall der AfD lauten die hierzulande gängigen Erklärungsmuster, die Wählerschaft sei verblödet, verblendet, von Ressentiment und Hass getrieben, gar von Russland beeinflusst. Auf keinen Fall darf in Erwägung gezogen werden, dass es womöglich handfeste Gründe für das Abstimmungsverhalten geben könnte.
Alte Krieger
Die eine verliert sich notorisch in Wortsalat. Der andere behauptet mal dies, mal das, Hauptsache das Gejohle ist groß. In den meisten außenpolitischen Fragen lassen sich kaum Unterschiede feststellen. Beide sind zufrieden, die Ukrainer zu opfern, solange keine US-Amerikaner sterben. Der eine meint, es sei bald genug damit. Die andere möchte noch ein Weilchen weitermachen. Beide wollen Israel weiterhin Waffen liefern, um die Bevölkerung der Nachbarstaaten zu terrorisieren. Der eine will einen Zaun an der Grenze, die andere jetzt auch. Beide halten China für sehr gefährlich. Beide brauchen den Dollar als Weltwährung. Und beide sind sich einig, dass diese Wahl den Fortbestand der Demokratie gefährdet. Warum?
Um zu wissen, was zur Wahl steht, hilft ein Blick auf den Zustand der US-amerikanischen Demokratie. Seit im Jahr 1976 die Schranken für Wahlkampffinanzierung aufgehoben worden sind, lässt sich ohne enorme Zuwendungen von Großindustriellen und Milliardären kaum noch eine Wahl gewinnen. Aristoteles hätte das Land vermutlich als eine durch demokratische Rituale verhüllte Oligarchie bezeichnet. In diesem Sinne lässt sich die Wahl am ehesten als Machtkampf verschiedener Interessengruppen und Oligarchencliquen betrachten. Geeint sind sie in dem Willen, die eigene Bereicherung und die Möglichkeit globaler Investitionen zu sichern.
Mit dem Wissen um die Rolle der Oligarchen zeichnen sich tatsächlich Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten ab, vor allem mit Blick auf die Unterstützer. Die Kandidatin der demokratischen Partei hat erstaunliche Förderer mobilisiert. Aufhorchen ließ vor allem der Wahlaufruf von Richard Bruce »Dick« Cheney. Der ehemalige US-Vizepräsident gilt als maßgeblich verantwortlich für die letzten 25 Jahre Krieg im Nahen Osten mit mehr als vier Millionen Toten und an die 40 Millionen Flüchtlinge, so eine Studie der Brown University. Der Wahlaufruf des Kriegsverbrechers verschafft zumindest über die außenpolitische Ausrichtung von Kamala Harris etwas Klarheit. Sie wird nahtlos das hegemoniale Vorhaben fortführen, das die Neocons in den späten 90ern mit dem »Project for a New American Century« angestoßen haben.
Neue Technik
Die Position ihres Konkurrenten Trump ist etwas weniger offensichtlich. Zu seinem Vize hat er den Senator, Autor und Investoren J. D. Vance ernannt. Die beiden wurden offenbar von Peter Thiel zusammengebracht. Der deutschstämmige Investor hat unter anderem Paypal und die boomende Überwachungsfirma Palantir aufgebaut. Bereits unter der ersten Regierung Trump hat Thiel versucht, seine rechtslibertäre Agenda voranzubringen – ohne großen Erfolg. J. D. Vance wurde großzügig von Trump gefördert. Beide teilen eine Vorliebe für den in rechten Kreisen bekannten Blogger Mencius Moldbug, mit bürgerlichem Namen Curtis Yarvin. Grundsätzliche Kritik an demokratischen Regierungsformen haben sie von ihren intellektuellen Vorbildern Nick Land und Hans-Hermann Hoppe übernommen.
Zwei Fraktionen
Nick Land wurde in den 90ern als Technophilosoph in England bekannt und hat dort die Bewegung der Akzelerationisten mitbegründet. Mittlerweile verbindet er das Streben nach Fortschritt zusehends mit Phantasien einer autoritären Regierung technisch überlegener Eliten. Das trifft sich mit den Neigungen des anderen großen Trump-Verehrers Elon Musk. Dezidiert politisch äußert sich der zweite geistige Vater von Thiel und Vance, der deutsche Ökonom und Philosoph Hans-Hermann Hoppe. Beeinflusst vom Österreicher Ludwig von Mises bezeichnet er Demokratie als Herrschaft der Gauner und fordert eine nach unternehmerischen Prinzipien organisierte Privatrechtsgesellschaft. Die Furcht vor einem mit Trump aufkommenden Technofaschismus ist daher nicht unbegründet.
Was Trump aus den geistigen Vorbildern macht, steht in den Sternen. In seiner ersten Regierungszeit kamen die libertären Tech-Bros kaum zum Zug. Gleichwohl fürchtet die politische Klasse Trumps Rache. Das erzkonservative Projekt 2025 fordert einen umgreifenden Austausch in der oberen Verwaltungsebene. So könnten tatsächlich die seit 30 Jahren mitregierenden Neokonservativen vertrieben und ihre verheerende und gescheiterte Außenpolitik beendet werden. Das erklärt auch die großen Sorgen in Brüssel, denn ein großer Teil der europäischen politischen Elite treibt im Fahrwasser der Neocons.
Hinter den Kulissen zeichnet sich das Bild eines Machtkampfs zweier großer Oligarchengruppen ab. Auf der einen Seite steht der alte militärisch-industrielle Komplex mit seinen neokonservativen Phantasien einer letztlich durch Gewalt gesicherten Weltherrschaft. Auf der anderen Seite droht eine von Big-Tech-Unternehmen gesponsorte digitale Herrschaftsform, die sich auf die Ausbeutung der Welt durch Daten verlegt hat.
Vergangene Woche hat ein bemerkenswertes Ereignis ein Schlaglicht auf die Auseinandersetzung geworfen. Robert Kagan, Neocon erster Stunde, Ehemann der berüchtigten Victoria »Fuck the EU« Nuland und Kolumnist der Washington Post, hat das Blatt im Streit verlassen. Offenbar auf Druck des Besitzers Jeff Bezos, Gründer von Amazon und zeitweise reichster Mann der Welt, verweigerte die Zeitung den erwarteten Wahlaufruf zugunsten von Kamala Harris.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (4. November 2024 um 10:44 Uhr)Wäre die Demokratie eine US-amerikanische Patientin, so müsste man sie wohl schon längst für hirntot erklärt haben. Jegliche Animationsversuche daher zwecklos! Und auch der physische Exitus wird schon bald folgen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (1. November 2024 um 23:12 Uhr)Eine digitale Herrschaftsform im Weltmaßstab lässt sich letztlich nur militärisch absichern. Man nehme den Dollar als Beispiel: Schneidet man einem Sanktionierten den Zugang ab (»SWIFT«), muss dieser Wirtschaftskrieg militärisch »glaubwürdig« gemacht werden. Andersherum mit der digitalen Herrschaft, die muss im Zweifel mit (para-)militärischen Mitteln die Datenkanäle offen halten und Subversion unterbinden (ähnlich dem Güterverkehr). Kommunikationssatelliten abschießen oder blenden? (Glasfaser-)Kabel und Datenknoten zerstören? Man höre sich das Geschrei um die kritische Infrastruktur an. Kurz gesagt: Die zwei großen amerikanischen Oligarchengruppen sind aufeinander angewiesen und werden sich schon einig. Der »Technofaschismus« wird vielleicht maßgebend von Tesla, Space X, Google, Microsoft, … vorangetrieben, faktisch läuft aber auch hierzulande allerhand in diese Richtung – nicht nur über Vorratsdatenspeicherung und Massenüberwachung, z. B. per Gesichtserkennung. Ob man das Faschismus oder autoritären Kapitalismus nennt, die Richtung ist angepeilt und der breite Widerstand schwach.
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