Kuttersterben an der Küste
Von Oliver RastEr wirkt nachdenklich, beinahe betrübt: »Allein im vergangenen Jahr haben wir zehn Fahrzeuge verloren«, sagte Philipp Oberdörfer am Montag im jW-Gespräch. Sonst liege der Jahresschnitt bei ein, zwei, so der Fischereiberater bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen weiter. Wie viele Fischer können an der niedersächsischen Nordseeküste noch von ihrem Fang leben, haupterwerbsmäßig? »Rund 100, vielleicht 110.« Das Kuttersterben hat Folgen auch an Land, für die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensmittel Fisch, für das regionale verarbeitende Gewerbe von Meerestieren. Und nicht zuletzt für die Identität ganzer Landstriche, etwa der Landkreise Friesland, Wesermarsch und Aurich. Naht das Aus deutscher Küstenfischerei an der Nordsee?
Noch nicht. Aber es müsse einiges passieren, betonte Oberdörfer. Mehr als bisher. Recht rasch. Das wissen ferner Gemeindevertreter betroffener Fischereihäfen, Landräte, Landespolitiker und Interessenverbände aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ein Ergebnis: die »Norddeutsche Fischereikonferenz«. Die Erstauflage war Mitte August. Am späten Montag nachmittag ging nun die Folgekonferenz über die Bühne (nach jW-Redaktionsschluss), im Wrack- und Fischereimuseum Cuxhaven. Das Forderungspapier »Zukunftspakt 2050« hatten die Konferenzteilnehmer bereits im August unterzeichnet. Darin fordern sie ein verbrieftes Fischereirecht im Küstenraum, weniger Handfesseln bei den Fangmethoden, einen Fischereifonds und Fischereirat.
Alles Themen, die auch am Montag auf dem Tisch lagen. Zwei Punkte sind Oberdörfer besonders wichtig: »Wind-auf-See-Gelder« und Flottenmodernisierung. Ursprünglich wollte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fünf Prozent der Versteigerungserlöse für Offshore-Windparks der Fischerei in Nord- und Ostsee zukommen lassen, zirka 670 Millionen Euro. Daraus wird nichts, das Ressort von Minister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) kürzte die Mittel »um rund 80 Prozent«, hatte der agrarpolitische Sprecher der niedersächsischen CDU-Landtagsfraktion, Marco Mohrmann, Anfang des Jahres kritisiert. Bloß, warum überhaupt »Kompensationsgeld«? Oberdörfer erklärt: Dort, wo Windparks auf See entstehen, sei Fischfang verboten. Damit gingen immer mehr Areale verloren. Und: Unterwasserkabelsysteme für die Bauvorhaben »zerschneiden Fangrouten parallel zur Küste« – auch hier: Fischen untersagt.
Ein weiteres Problem: der Zustand der Kutter. Oberdörfer: »Unsere Flotte ist komplett veraltet.« Das Gros der Fahrzeuge sei 45, 50 Jahre in Betrieb. Faktisch unverkäuflich, zumal die EU-Kommission ein Ende der Grundschleppnetzfischerei bis 2030 durchsetzen will. Jedenfalls in Meeresschutzgebieten, was indes auch Schutzzonen für Vögel sein können, bemerkte Oberdörfer kopfschüttelnd. Richtig sei hingegen, die Flotte auf einen CO2-neutralen Stand zu bringen. »Investitionen, die die Familienbetriebe der Krabbenfischer nicht allein aufbringen können.« Unmöglich.
Stimmt. Deshalb unterstütze die niedersächsische »rot-grüne« Landesregierung die Küstenfischerei durch Förderprogramme mit Mitteln des Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF), sagte Franziska Meusel am Montag zu jW. Zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes an Bord und auf See, für moderne Fanggeräte und Unternehmensgründungen junger Fischer, so die Vizesprecherin der »grünen« Landtagsfraktion in Hannover. »Unabhängig davon sinken die Erlöse durch den Fisch- und Krabbenfang, da die Bestände zurückgehen und klimabedingt mit weiteren Einschränkungen zu rechnen ist.« Zudem sei eine Weiterverarbeitung des Fangs in Deutschland häufig nicht rentabel.
Katharina Jensen will gegensteuern. Wie? Selbstversorgerquote bei Fisch erhöhen, Abhängigkeit von Importen verringern, betonte die CDU-Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Friesland am Montag gegenüber jW. Und die fischereipolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Niedersachsen, Karin Logemann, machte gleichentags auf jW-Nachfrage klar: »Die Fischkutter gehören zur Küste.« Sicher doch, aber nicht als folkloristische Kulisse, sagte Fischereiberater Oberdörfer. Nachdenklich.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Helmut P. aus Dortmund (19. November 2024 um 22:58 Uhr)Die Nordsee ist von Überfischung betroffen. Besonders betroffen sind Kabeljau und Hering. Ist eigentlich Geld und das Essen von Fisch wichtiger als die Überfischung? Die hat nämlich erhebliche Auswirkungen auf die Biodiversität und die Ökosysteme der Nordsee. Und das wird mit der Klimakatastrophe bestimmt nicht besser. Ich finde das Kuttersterben gut. Hoffentlich wird keine neue Fangflotte finanziert. Beim großen Zechensterben wurden doch auch die Bergleute subventioniert. Es sollte lieber Geld in die Hand genommen werden, die Fischer und die daran hängenden Jobs und Betriebe finanziell zu unterstützen, damit sie ihren Beruf aufgeben können. Umschulungen finanzieren oder mit Ausgleich früher in den Ruhestand. Hört auf, Fisch zu essen. Nicht nur die Nordsee ist überfischt. Helmut P.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (21. November 2024 um 15:44 Uhr)Die Kutter können nur fischen, was da ist. Die EU und GB werden bald dafür sorgen, dass nichts mehr da ist. Wie? Durch massive Verklappung von Kohlendioxid über Rohrleitungen und Schiffahrtsrouten, die die Laichgebiete stören. Außerdem: »Den Fischen ist das Wasser zu warm. Auch Dirk Sander nennt klimatische Veränderungen wie gestiegene Wassertemperaturen als Grund für die Abwanderung der Fische. «Das ist schon seit 25 Jahren zu beobachten», sagt der Vorsitzende des Landesfischeriverbands Weser-Ems. Das Wasser in der Nordsee sei etwa 1,5 Grad wärmer geworden. Die Gebiete, in die die Fische abwanderten, lägen etwa 120 Kilometer nördlich der ostfriesischen Küste. «Da kommen wir mit unseren kleinen Kuttern gar nicht hin»« (https://www.ga-online.de/artikel/1395343/Gewusst-Diese-Fische-leiden-in-Ostfriesland-unter-dem-Klimawandel, 22.08.2023)
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