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Aus: Ausgabe vom 22.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Ernte 24

Ernte 24: Das Zuckerrübenelend

Von Thomas Behlert
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Wege der Moderne: Rübenroder, Acker, Zuckerrüben

Wer hinschaut, wird zu dieser Jahreszeit an den Rändern der Landstraßen riesige Mieten entdecken. Züge mit vollen Waggons, deren Spitzen bräunlich sind, ruckeln durch die Landschaft, und Erntemaschinen fahren über nebelige Felder, um die Zuckerrüben einzubringen. Rübenvollernter mit wohlklingenden Namen wie Agritan ZA 215 EH oder Grimme Rexor 620 Radscher FM rumpeln durch die Reihen, schneiden die Blätter der Zuckerrüben (Beta vulgaris var. altissima) ab und lösen aus der Erde die Früchte, die mit Förderbändern auf Lkw- oder Traktorenanhänger geleitet werden.

Wie im Zentralorgan der in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung, der Bauernzeitung, steht, ist in diesem Jahr mit hohen Erträgen zu rechnen. Allerdings ist der Zuckergehalt der Rüben nur durchschnittlich. Verschiedene Krankheiten wie die Bakterielle Blattfleckenkrankheit, Cercospora Blattflecken, Echter Mehltau, Falscher Mehltau, Ramularia & Alternaria oder der Rübenrost fielen über die Pflanzen her und ließen den Zuckergehalt sinken. Das wird den alles beherrschenden Rübenverarbeitern Südzucker und Nordzucker nicht sauer aufstoßen, denn Verträge waren schon gemacht und der Bauer hat nun zu liefern. Bald werden die weißen Kristalle aus den Zuckeranlagen rieseln, in alle Richtungen verteilt werden und die Sucht schüren, denn Zucker ist nicht nur in der Cola, sondern auch Einmachgurken, Smoothies, Fruchtjoghurt, Ketchup und Wasser mit Geschmack reichlich beigemengt.

Wie ich so über die Zuckerrübe nachsinne, sie gehört übrigens zur Familie der Gänsefußgewächse, denke ich unwillkürlich ans Jahr 1969, als Ingenieure im VEB Fortschritt den Rübenköpflader E 740 und den Rübenrodelader E 770 entwickelt hatten und das Zwei-Phasen-Verfahren zur Anwendung kam. Dabei wurden als erstes die Blätter abgeschlegelt, dann die Rübe aus dem Boden gezogen und zunächst abgelegt. Wenig später landete die gesäuberte Rübe im Ladebunker der Erntemaschine. Wenn der Bunker gut gefüllt war, liefen die Rüben über ein Förderband auf verschiedene Hänger und Zugmaschinen oder kamen gleich auf eine Miete am Feldrand. Besonders in der Vorzeige-LPG Rotes Banner Trinwillershagen, in Mecklenburg, die die Fußballmannschaft gleichen Namens in der DDR-Liga förderte, kamen die Gerätschaften für ihre Hackfrüchte früh zum Einsatz.

Doch zunächst drillte man Samen auf die Felder. Im Sommer durften die Genossenschaftsbauern die eng stehenden Jungpflanzen vereinzeln. So fuhren Mann und neue Freundin mit dem Fahrrad, einigen Bierflaschen im Rucksack und die Hacke am Rad fest verzurrt gen Rübenfeld. Im Arbeitsvertrag eines Genossenschaftsmitgliedes war verankert, dass das Hacken der Rüben zum sozialistischen Auftrag gehört. 16 lange Reihen bis zum Horizont. Das bedeutete: Jeder bearbeitet eine Reihe bis zur anderen Seite des Feldes, dann Trinkpause, dann wieder zurück, achtmal. Die Sonne brannte, Wind wirbelte den Staub auf und über uns kreisten krächzende Krähen. Nach viel zu wenig gehackten Reihen wollte das Mädel nur mal in die nicht vorhandenen Büsche und ward nicht mehr gesehen. Jahrelang gestalteten sich so meine Sommerwochenenden einsam und betrunken zwischen umgehackten Rübenpflanzen, Dreck und trockener Erde. Alles für die Erfüllung des Fünfjahresplanes.

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