Pariser Machenschaften
Von Jörg KronauerEs war ein echter kleiner Erfolg, den die Regierung des Niger am 11. November präsentieren konnte: Neun Mitglieder des Front patriotique de libération (FPL), eines Zusammenschlusses, der den nigrischen Übergangspräsidenten Abdourahamane Tchiani stürzen und seinen eng mit Frankreich und dem Westen kooperierenden Vorgänger Mohamed Bazoum erneut ins Amt bringen will, trennten sich von der Organisation und übergaben im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie im nordnigrischen Agadez ihre Waffen. Der FPL war international einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, als er im Juni dieses Jahres eine Pipeline gesprengt hatte, die Erdöl aus Ölquellen im Osten des Niger nach Benin und dort weiter zum Golf von Guinea geleitet hat. In diskreten Verhandlungen unter Vermittlung einflussreicher Personen aus Nordniger war es ab Anfang November schließlich gelungen, einige seiner Kämpfer zum Überlaufen zu bewegen, unter ihnen ein Sprecher des FPL. Ein erster Schlag gegen die Aufständischen war damit gelungen.
Minderheiten aufgestachelt
Nigers Übergangsregierung muss sich auch 16 Monate nach dem Putsch, mit dem sie sich am 26. Juli 2023 in Niamey an die Macht brachte, weiter gegen allerlei Aufständische, Dschihadisten und mutmaßliche Umsturzversuche wehren. Der FPL, der vor allem Tubu organisiert – die Bevölkerungsgruppe ist besonders im Norden des Tschads, aber auch in den angrenzenden Gebieten Nordnigers und Südlibyens präsent –, ist dabei lediglich eine von mehreren Organisationen, die in der riesigen nordnigrischen Wüste gegen die Regierung mobilisieren. Eine wichtige Rolle wird etwa Rhissa Ag Boula zugeschrieben, einem 67jährigen Tuareg, der schon bei den nigrischen Tuareg-Revolten der 1990er Jahre in vorderster Reihe stand und kurz nach dem Putsch in Niamey den Conseil de la résistance pour la République (CRR) gründete, eine politische Untergrundorganisation, aus der er im September dieses Jahres die Forces armées libres (FAL) bildete, eine bewaffnet kämpfende Formation. Die FAL haben sich mittlerweile mit dem FPL und weiteren Tuareg-Milizen verbündet.
Für die in Niamey regierenden Militärs, die den Bruch mit Frankreich vollzogen haben und eine echte Souveränität ihres Landes durchsetzen wollen, stellt sich seit jeher die Frage, welche Rolle Paris, ihr Hauptgegner, im Kontext der Gründung aufständischer Organisationen spielt. Was Ag Boula angeht: Dieser hatte den CRR einst von seinem Wohnort im Pariser Exil aus gegründet, wo er bis heute lebt, mittlerweile angeblich im Wechsel mit Aufenthalten in den USA. Zwar streiten sowohl Ag Boula als auch die französische Regierung jegliche Kooperation ab – was sollten sie auch sonst tun? Glauben muss man ihnen das Dementi aber nicht. Um so weniger, als Ag Boula und der FPL – das berichtete im Oktober etwa die in Paris erscheinende Wochenzeitschrift Jeune Afrique – mittlerweile begonnen haben, Kontakte zu aufständischen Tuareg-Milizen im Norden Malis zu knüpfen. Diese kämpfen dort gleichfalls gegen eine Regierung, die schroff mit Paris gebrochen hat.
Es kommt hinzu, dass Nigers Regierung – wie auch die Regierungen Malis und Burkina Fasos – mit gegen sie gerichteten Machenschaften des französischen Auslandsgeheimdienstes Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE) zu kämpfen hat. Diese Auseinandersetzung spitzte sich zu, als am 1. Dezember 2023 in Burkina Faso vier französische Agenten festgenommen wurden, auf deren Handys die burkinischen Behörden Fotos von sensiblen Orten in der Hauptstadt Ouagadougou und eindeutige Belege für dubiose Kontakte in Regionen fanden, in denen Dschihadisten ihr Unwesen treiben. Die Affäre ließ auch in Bamako und in Niamey die Alarmglocken noch lauter schrillen als zuvor. Im September machten in Niger Informationen die Runde, laut denen die DGSE dort in einen vereitelten Umsturzversuch involviert gewesen sei. Am 13. November nahmen die nigrischen Behörden einen frisch eingereisten Franzosen fest, einen ehemaligen Fallschirmjäger der Fremdenlegion, der für private Sicherheitsfirmen in Algerien und im Irak im Einsatz gewesen war. Man sei sich sicher, hieß es in Niamey, dass er ein Agent der DGSE sei.
Nachbarländer als Basis
Was ist da dran? Selbst Kritiker, die den nigrischen Behörden das Verbreiten von Verschwörungserzählungen in Sachen DGSE vorwerfen, mussten einräumen, dass diese bei ihren Recherchen in ihrem Land auf geheime Identifikationscodes gestoßen waren, die der französische Nachrichtendienst gewöhnlich nutzt. Jeune Afrique zitierte zudem nicht genauer benannte, aber offenkundig Geheimdienstkreisen entstammende Quellen, die offen zugaben: Als nach dem Putsch im vergangenen Jahr in Niamey die Regierungen Nigerias und Benins über einen Einmarsch nach Niger nachdachten, um den gestürzten profranzösischen Präsidenten Bazoum wieder ins Amt einzusetzen, da schickte Paris DGSE-Mitarbeiter in beide Länder. Ihre Aufgabe lag auf der Hand. Dieselben Quellen bestätigten auch, dass im Norden Benins weiterhin französische Agenten präsent sind. In Niger wird regelmäßig berichtet, von Benins Grenzgebiet aus flögen immer wieder Drohnen über die Grenze, kreisten über nigrischem Territorium und kehrten dann wieder zurück. Dass im Norden Benins auch Dschihadisten aktiv sind, reduziert die Fragezeichen mit Blick auf die Tätigkeit der DGSE im Sahel nicht.
Apropos Dschihadisten: Deren Anschläge in Niger nehmen aktuell offenbar zu. Ende Oktober attackierte der mit Al-Qaida verbundene Groupe de soutien à l’Islam et aux musulmans (GSIM) einen Checkpoint nur wenige Kilometer vor Niamey. Einen gleichfalls im Oktober verübten Anschlag in der Region Agadez beanspruchten sowohl Ag Boula als auch der GSIM für sich. Ein doppeltes Bekenntnis gab es auch bei dem Angriff auf malische Militärs und russische Söldner Ende Juli bei Tinzaouatène an der malisch-algerischen Grenze, bei dem viele Malier und Russen zu Tode kamen: von Tuareg-Milizen und der GSIM. Womöglich sind die Unterschiede zwischen Aufständischen in der Sahara und Dschihadisten nicht immer trennscharf. Der Clan von GSIM-Chef Iyad Ag Ghali etwa, einer traditionellen Führungsfigur der malischen Tuareg, stammt aus der Region um Tinzaouatène. Der ukrainische Militärgeheimdienst rühmt sich, Informationen für den Angriff nahe dem Ort bereitgestellt zu haben. Ob die Empfänger der Informationen Tuareg oder Dschihadisten waren oder beides – wer weiß das schon so genau. Und wer weiß, wer den Ukrainern, die man kaum als Wüstenspezialisten kennt, die nötigen Kontakte dorthin vermittelt hat. Die Rolle der DGSE bei der Unterstützung von Aufständischen und Dschihadisten in Mali, Burkina Faso und Niger ist jedenfalls noch nicht ausrecherchiert.
Hintergrund: Brüsseler Arroganz
Steht nach dem Bruch der Beziehungen zwischen Niger und Frankreich nun auch ein Bruch der Beziehungen zwischen Niger und der EU bevor? Auf jeden Fall sind die Spannungen, die zwischen beiden Seiten herrschen, am Wochenende zu einem ernsten Konflikt geworden. Der Auslöser: Brüssel hatte – großzügig und selbstverständlich rein humanitär gesinnt, man kennt sie ja, die ehemaligen Kolonialherren – Hilfsgelder in Höhe von 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Opfer der heftigen Überschwemmungen in Niger zu unterstützen. Der kleine, aber feine Haken an der Sache: »Der Botschafter der EU«, teilte am Freitag stark verärgert die nigrische Regierung mit, habe die Verteilung der Gelder eigenhändig und »unter Missachtung der Grundsätze der Transparenz und der guten Zusammenarbeit mit den zuständigen nigrischen Behörden« vorgenommen; Niamey sei nicht einmal über die Vergabe der 1,3 Millionen Euro informiert worden. Man wolle schon gern in Kenntnis darüber gesetzt werden, so lautete die Botschaft, was andere Staaten auf nigrischem Hoheitsgebiet denn so täten.
Wem, wo und wie geholfen wird, das bestimmt im Alleingang die EU? Niamey kündigte an, das Vorgehen des Staatenkartells einer Überprüfung zu unterziehen. Man werde nicht dulden, dass die Europäer auf dem Kontinent schalteten und walteten wie in finsteren Kolonialzeiten. Brüssel wiederum gibt sich schwer empört, behauptet, Niamey wolle »humanitäre Hilfe für politische Zwecke« instrumentalisieren, und hat am Sonnabend seinen Botschafter aus Niamey zurückgerufen. Man wolle gern »weiterhin die Bevölkerung unterstützen«, heißt es fadenscheinig in einer Mitteilung der EU. Warum das aber um jeden Preis über die Köpfe der Regierung hinweg geschehen muss, erläuterte Brüssel nicht. Mit einem Rückzieher der nigrischen Regierung ist nach Lage der Dinge nicht wirklich zu rechnen. Womöglich bereitet sich da in der Tat das Ende der langjährigen Beziehungen zwischen der EU und Niger vor. (jk)
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