Volkswagen vor Gericht
Von Thomas WalterDie Tochtergesellschaft von VW in Brasilien steht vor Gericht. In den 70er und 80er Jahren soll Volkswagen do Brasil auf einer riesigen Hazienda 300 Arbeiter wie Sklaven gehalten haben. Auf der Cristalino River Vale Farm wollte der Autohersteller auf einer Fläche von der Größe Schleswig-Holsteins in das Fleischgeschäft einsteigen. Die damals regierende Militärdiktatur unterstützte das Vorhaben mit öffentlichen Mitteln und Steuervorteilen. Die Arbeiter seien durch Schuldknechtschaft und bewaffnete Wachen am Verlassen der Hazienda gehindert worden, wo sie unter extremen Arbeitsbedingungen, schlechter Ernährung und ohne ärztliche Versorgung den Urwald rodeten. Das Anwesen gehört der Companhia Vale do Rio Cristalino Agropecuária Comércio e Indústria (CVRC), einer Tochtergesellschaft von Volkswagen. Nachdem VW im März dieses Jahres ein Vergleichsangebot der brasilianischen Staatsanwaltschaft abgelehnt hatte, hat diese jetzt in einem zivilrechtlichen Verfahren eine Klage auf Schadenersatz in Höhe von knapp 26 Millionen Euro erhoben.
Volkswagen do Brasil wurde 1953 vom ehemaligen NSDAP-Mitglied Friedrich Schultz-Wenk gegründet. Der aus importierten Teilen vor Ort montierte VW-Käfer entwickelte sich dank seiner Widerstandsfähigkeit auf den schlechten Straßen Brasiliens schnell zum Verkaufsschlager. Um der brasilianischen Arbeiterschaft die Vorzüge der deutschen Wertarbeit beizubringen, griff Schultz-Wenk auch auf alte Methoden zurück. So ließ er den ehemaligen Kommandanten der Vernichtungslager Treblinka und Sobibor, Franz Stangl, acht Jahre lang eine Überwachungsabteilung aufbauen, um die Belegschaft zu kontrollieren, bevor er 1967 entdeckt und verhaftet wurde. Auch der heutige Präsident Lula da Silva soll unter den von VW Ausspionierten gewesen sein. Der Putsch durch die »Gorilas« 1964, der die zwei Jahrzehnte andauernde Militärdiktatur einleitete, wurde von Schultz-Wenk euphorisch begrüßt: »Es ist klar, dass Volkswagen aus eigenem Willen eine intensive Beziehung zu den Organen der politischen Unterdrückung aufgebaut hat, die weit über die Grenzen des Werks hinausging. Das Unternehmen zeigte seine Bereitschaft, sich an dem repressiven System zu beteiligen, obwohl es wusste, dass es seine Angestellten dem Risiko illegaler Verhaftungen und Folter aussetzte«, heißt es in einem 2021 von der brasilianischen Staatsanwaltschaft veröffentlichten Dokument. Dabei war die Konzernführung in Wolfsburg stets auf dem Laufenden darüber, was in ihrem brasilianischen Tochterunternehmen passierte, auch wenn sie bestritten, von der Nazivergangenheit des Sicherheitschefs in Brasilien gewusst zu haben. Kein Wunder, warf doch die Produktion dort über Jahrzehnte zuverlässig Rendite auch für den Mutterbetrieb ab. Auch heute noch laufen die Geschäfte in Brasilien ganz gut. Während VW in Deutschland in der Krise steckt und mit Massenentlassungen droht, gab der Konzern Anfang Oktober bekannt, dass die Verkäufe im lateinamerikanischen Land um 19,1 Prozent gestiegen sind.
Sklavenarbeit ist auch heute noch weit verbreitet. Laut der Menschenrechtsgruppe Walk Free mit Sitz in Australien gibt es in Brasilien mit seinen 212 Millionen Einwohnern rund eine Million Zwangsarbeiter, womit das Land in Lateinamerika eine mittlere Position einnimmt. Unter der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro hat sich das Phänomen weiter verschärft. Auf der ganzen Welt sollen 2021 insgesamt 28 Millionen Menschen unter sklavereiartigen Bedingungen wie Zwangsprostitution und Lohnknechtschaft festgehalten worden sein. Viele davon sind Kinder.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 07.08.2024
Ermittlungen gegen Machado
- 30.03.2024
Kein zweites Kuba
- 31.03.2023
VW sagt basta
Regio:
Mehr aus: Betrieb & Gewerkschaft
-
Stahlwerk gerettet, Arbeitsplätze noch nicht
vom 12.12.2024