Prinzip des Nichtgewinnens: Lotto
Von Marc HieronimusEin gutes Maß für die Bezahlung ungelernter Hilfskräfte wäre, wie viel man Topverdienern bieten müsste, damit sie deren Arbeit übernehmen, z. B. in einem ungeheizten Lagerhaus Kartons mit Billoschmuck von A nach B zu räumen – oder nach C wie Container, in den die unbeschädigten, aber leider auch unverkauften Reste der Letztjahreskollektion entsorgt werden. Beim Pausenbrot schaut einer der hier Gestrandeten ins Boulevardblatt: Vielleicht hatte ein junger Mann, der beruflich einem Ball hinterherrennt, den Arbeitgeber gewechselt, oder ein durch seine Tätigkeit vor der Kamera zwangsläufig prominenter Rundfunkmitarbeiter hatte ein neues Projekt eingereicht. Die Bild hielt den Geldtransfer jedenfalls für schlagzeilenwürdig. Auf mein Erstaunen über die hohe Summe entgegnete der Kurzzeitkamerad, der die Titelseite bereits einige Zeit studierte: »Ach, das ist doch nicht viel.«
In der Tat hatten bei vergleichbaren Ereignissen schon höhere Beträge das Konto gewechselt, aber die Liebe zur Wahrheit gepaart mit einem erheblich-hässlichen Teil Besserwisserei trieb mich, ihn darauf hinzuweisen, dass 2,5 Millionen Euro doch eine stattliche Summe und z. B. deutlich mehr seien, als er oder ich in unserem ganzen Leben erwirtschaften würden. Tatsächlich stutzte er kurz, als wäre er noch nie auf den Gedanken gekommen, die eigene mit der finanziellen Situation der Spektakelmenschen in Verbindung zu bringen, doch dann erhellte sich sein Gesicht: »Warum, ich kann doch im Lotto gewinnen!« Und da hatte er natürlich Recht, auch bei der Wahl des Indikativs: Es besteht die reelle Chance, dass er aus 49 Zahlen die sechs Richtigen plus Zusatzzahl tippt und damit den Jackpot knackt, nämlich 1 zu 140.000.000. Das Prinzip der Lotterie ist das Nichtgewinnen, und da überdies Menschen wie der Fußballer, der Moderator oder die Geschäftsführerin der Schmuckmarke sich nicht daran beteiligen, ist sie eine freiwillig entrichtete Armensteuer. Aber wer will schon weiter für einen Hungerlohn im Lager schuften?
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Mehr aus: Feuilleton
-
Ist das Leben nicht schön?
vom 16.12.2024 -
Das letzte Fünkchen Hoffnung: »Der Mann aus Rom« im Kino
vom 16.12.2024 -
Nachschlag: Perücken
vom 16.12.2024 -
Vorschlag
vom 16.12.2024 -
Veranstaltungen
vom 16.12.2024 -
Neulich in der Wut-Kapelle
vom 16.12.2024