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Aus: Ausgabe vom 16.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Das letzte Fünkchen Hoffnung: »Der Mann aus Rom« im Kino

Von Ronald Kohl
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Pater Filippo (Michele Riondino) wundert sich

Das letzte, was Pater Filippo (Michele Riondino) sieht, bevor er blutend auf dem Gehsteig zusammenbricht, ist eine Frau auf einem Fahrrad. »Der Mann aus Rom« von Regisseur Jaap van Heusden spielt in Holland, in einem Dorf der Provinz Limburg. Der Ort, dessen Name ungenannt bleibt, hat einiges durchgemacht. Vor vier Jahren lief Rutger, ein Schüler am Augustinus-Gymnasium, im Schulgebäude Amok. Danach töte er sich selbst, was die Einheimischen nicht davon abhielt, immer wieder Rutgers Vater zu vermöbeln. Als Pater Filippo eines Abends den vom Schicksal gebeutelten Mann aufsucht, der allein in einem mit Graffitis beschmierten Haus lebt, wird ihm hinterher von zwei Halbstarken aufgelauert. Es hagelt Faustschläge und Fußtritte. Schließlich zischen sie ihm den ehrlich gemeinten Rat ins Ohr, sich zu verpissen.

Filippo war aus Rom angereist, um zu überprüfen, ob es sich bei der Marienstatue, aus deren Auge ab und an eine Träne kullern soll, tatsächlich um ein Wunder handeln könnte. Filippo startet eine äußerst vielschichtige Untersuchung. Und so wie jede Form von »natürlicher«, also nicht institutionalisierter Spiritualität höchst individuell ist, versteht es auch der Film, die unterschiedlichsten Menschen zu berühren, egal ob sie nun religiös sein mögen oder auch nicht und auch egal, ob sie eher emotional veranlagt sind oder rational, was sich schon als kleines Wunder bezeichnen lässt.

Zwei Dinge gefielen mir besonders. Erstens folgt die Abkehr von der Logik, die außer Filippo und seinen zynischen Vorgesetzten in Rom alle übrigen Charaktere auszeichnet, einem höchst logischen Drehbuch. Und der Film bietet für jedes auch noch so winzige Detail eine natürliche Erklärung. Außerdem ist er ein Sahnestück für alle Freunde des schwarzen Humors. Der scheint zudem stets unbeabsichtigt daherzukommen, so als würde sich eine Figur von Loriot in einen Gottesdienst verirren oder in eine schwarze Messe. Nehmen wir die Jugendlichen, die nicht wollen, dass »ihr« Wunder von einem Fremden unter die Lupe genommen und zerstört wird, und die keinen anderen Ausweg sehen, als den Priester halb tot zu schlagen. Zweites Beispiel: »Muss das sein?« fragt der örtliche Priester, als Filippo am Kopf der Marienstatue seine kleine Flex ansetzt wie ein echter Hirnchirurg. Doch Filippo hat keine andere Wahl. Sein Boss in Rom macht Druck. Er will Ergebnisse. Stichhaltige Beweise. Noch ein Wunder, das am Ende dann doch keines ist, kann sich der Vatikan nicht leisten.

In der Ausgabe des Onlineblättchens mit dem schlichten Namen Katholisch.de vom Februar 2018 habe ich folgende Schlagzeile gefunden: »Es ist perfektes Timing: Pünktlich zum 160. Jahrestag der Erscheinung von Lourdes ist die 70. Heilung des Wallfahrtsortes anerkannt worden.« In dem Artikel werden unter anderem auch die Kriterien für ein Wunder aufgeführt. So muss die Heilung zunächst »unerwartet« erfolgen und dann auch ärztlich bestätigt werden. Darüber hinaus muss sie einen »außergewöhnlichen Charakter« aufweisen. Weiter heißt es: »Ein ›Wunder‹ kann danach nur vom zuständigen Ortsbischof festgestellt werden.«

Es ist also kein Wunder, dass sich Filippos Boss am Telefon als erstes danach erkundigt, ob es schon eine Heilung gegeben habe. Wunderbarerweise gibt es gleich drei. Filippo selbst, der erstaunlich schnell wieder auf den Beinen ist, nachdem ihn die Dorfjugend durchgewalkt hat, was Rom mit den Worten kommentierte, er würde aussehen wie ein »Penner vom Tiberufer«, und seine Aufgabe sei es zu ermitteln, und nicht zum Märtyrer zu werden. Dann ist da zweitens der Vater des Amokschützen, der nach einer Berührung der Statue plötzlich keine Rückenschmerzen mehr hat, aber gleichzeitig auch ein neues Medikament erhalten hatte. Und drittens gibt es eine Frau im Rollstuhl. Als Filippo nach einer wirklich sehr ergreifenden Predigt während der anschließenden Prozession für ungefähr eine halbe Minute die Statue selbst trägt, kann die Rollstuhlfahrerin plötzlich wieder laufen. Kaum reicht Filippo die Figur jedoch weiter, stürzt die Frau zu Boden.

Für endgültige Klarheit kann jetzt nur noch die Röhre sorgen. Das Ergebnis der Computertomographie ist ernüchternd. Filippo denkt sofort an die leidgeplagten Menschen im Dorf und fragt sich: »Warum muss ich ihnen das letzte Fünkchen Hoffnung nehmen?«

Muss er das?

»Der Mann aus Rom«, Regie: Jaap van Heusden, Niederlande/BRD 2023, 107 Min., bereits angelaufen

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