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Aus: Ausgabe vom 20.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Glanz in den Falten

Die Realität moderner Frauen in Indien: Payal Kapadias Film »All We Imagine as Light«
Von Manfred Hermes
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Leben in Mumbai: Prabha (Kani Kusruti)

Mumbai, Symponie einer Großstadt der 2020er Jahre: Ansichten, Impressionen, Hektik der Märkte, Gewusel des Massentransports, künstliches Licht, das die Nacht zum Tag macht, dann einige »Stimmen der Großstadt«, wie bei Döblin, als Voiceover. Die ersten Minuten von »All We Imagine as Light« gehen dokumentarisch vor und fokussieren auf die Wohnungsfrage. Eine der Stimmen beklagt eine Stadt, die auch nach Jahrzehnten noch nicht zur Heimat geworden sei, da jederzeit der Rauswurf aus ihr drohe. Es ist also wie überall, aber wir sind hier in Mumbai.

Schnell verengt sich die Panoramik von Payal Kapadias Film dann auf drei Freundinnen, die drei Altersgruppen und ebenso vielen Charaktertypen entsprechen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie im systemrelevanten, wenn auch schlecht bezahlten Heldenberuf der Krankenschwester und in derselben Klinik arbeiten.

Prabha (Kani Kusruti) dominiert diesen Film mit einem gleichförmigen feinen Lächeln, dessen Ausdruckslosigkeit Nachsicht, Trauer oder Bedrängnis darstellen kann. Ihr Ehemann arbeitet seit Jahren in Deutschland, seitdem hat sie kaum von ihm gehört, das könnte eine Erklärung für ihre vernebelte Art sein.

Anu (Divya Prabha), ihre jüngere Kollegin und Mitbewohnerin, macht ihr ebenfalls Sorgen, weil sie es mit der Sittlichkeit nicht so genau nimmt. Anu wiederum zeigt viel Einsatz, um Orte zu finden, wo sie sich mit ihrem Freund in Ruhe küssen kann. Auch in der Metropole sind die Traditionen und alte Wertvorstellungen noch nicht ganz abgeschliffen, Sex vor oder ohne Ehe ist tabu. Außerdem ist ihr Freund muslimisch, ein weiteres Problem.

An Parvaty, der Ältesten (Chhaya Kadam), wird dann das eingangs etablierte Problem des Wohnens durchgespielt. Mumbai ist eine schnell wachsende Stadt und superteuer, inzwischen ist auch Parvatys Bezirk für die Immobilienspekulation interessant geworden. Als ihr die Wohnung tatsächlich gekündigt wird, bleibt ihr Widerstand hilflos. Sie entscheidet sich dafür, den Beruf aufzugeben und an den Ort ihrer Herkunft zurückzuziehen.

All das wird derart beiläufig erzählt, dass die Nachvollziehbarkeit nicht immer leicht fällt. Es wird auch viel hingedreht, um die »verité« des essayistischen Gleitens erzählerisch passend zu machen. Kapadia hat bisher dokumentarisch gearbeitet, das könnte ein Grund sein. Neben dem Registrieren der Zufälligkeiten der Außenwelt fällt eine Vorliebe für das Verspielte und Einfälle von geringer dramaturgischer Relevanz auf (Inserts von Textnachrichten). Nicht selten bleibt man an konstatierenden Sätzen hängen, die tiefschürfender tun, als gut ist für einen Film. Großen Wert legt die Regisseurin auch aufs Visuelle und die Strukturierung des Bildes, komplementäre türkise und orangerote Töne sind ein durchgehender Faktor. Dass es Kapadia mit der Lichtmetaphorik übertreiben könnte, hat schon der gewundene Titel angezeigt und setzt sich in Aussagen fort wie »im Dunklen versucht man, sich das Licht vorzustellen«.

Die Freundinnen helfen Parvaty nun beim Umzug und bleiben dann noch etwas bei ihr im Dorf am Meer. Der Wechsel aus dem harten, nächtlich funkelnden Mumbai ins Weiche und Sonnige kommt mit Implikationen. Aus dem »Stadtfilm« wird unversehens ein »Landfilm«. Man könnte auch einfach finden, dass die Regression ein gleicher ökonomisch erzwungener Gewaltakt ist wie vorher die umgekehrte Bewegung in die Stadt. Die Atmosphäre sagt aber etwas anderes. Es strahlt und schimmert, es gibt jetzt ein Licht, das nicht imaginiert ist, sondern ein angemesseneres Leben bescheint. Das weite Meer, die Höhlen, der freundliche Wald, sensible Männer – hier lebt man näher bei der Natur, der Geschichte, der Herkunft, das fühlt sich alles mehr nach Heimat an. (Wenn es nur nicht so schwer wäre, Geld zu verdienen und gewisse Freiheiten der Großstadt zu bewahren.)

In Cannes gab es im Mai großen Beifall und den Grand Prix für diesen grundsympathischen Film. Was sollte man auch dagegen haben, wenn eine junge Regisseurin versucht, die Realität moderner Frauen in Indien zu zeigen, ihr solidarisches Verhalten untereinander, ihre Traurigkeit, Fröhlichkeit oder die Sehnsucht nach körperlicher Zuwendung?

Aber letztlich ist es hier wie in vielen Spielfilmen: Eigentlicher Glanz findet sich eher in Falten, eine Tanzbewegung hier, ein paar Gesten dort. Und da ragt die flinke flirrende Barschheit von Chhaya Kadam heraus, die so erfrischend ist, dass man große Lust bekommt, andere Filme mit ihr zu sehen.

»All We Imagine as Light«, Regie: Payal Kapadia, Frankreich/Indien/Luxemburg/Niederlande 2024, 123 Min., bereits angelaufen

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