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Aus: Ausgabe vom 30.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Krieg in Syrien

»Wir haben jetzt Kitkat«

Syrien: Nach dem Sturz von Assad wird das Land mit Rückkehrern und Waren geflutet. Der Brotpreis hat sich derweil verachtfacht
Von Karin Leukefeld, Damaskus
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Auf dem Abbassiyeenplatz in Damaskus gibt es Kartoffeln und Benzin zu kaufen (24.12.2024)

Der Grenzübergang Masnaa, über den man aus dem Libanon nach Syrien gelangt, ist belagert. Autos parken kreuz und quer, Menschenmassen strömen in das viel zu kleine Abfertigungsgebäude, in dem die Ausreise per Stempel dokumentiert wird. Für Inhaber eines ausländischen Passes verläuft die Abfertigung zügig, dann geht es zu Fuß über die Grenze, vorbei an den Fahrzeugkontrollen, bis auf der anderen Seite der Fahrer aus Damaskus winkt und schnell das Gepäck an sich nimmt. Weiter geht es zu Fuß durch die Autoschlangen bis zu dem Auto, das der Fahrer hinter einem Laster geparkt hat.

»Mabruk Syria – Herzlichen Glückwunsch Syrien«, strahlt der Fahrer, als er das Gepäck verstaut hat. Zügig fährt er an den langen Autoschlangen vorbei, die sich beidseitig der Straße stauen. Richtung Libanon stehen Lastwagen Stoßstange an Stoßstange und warten auf die Abfertigung. Richtung Syrien stehen Autos mit syrischen und libanesischen Nummernschildern. Hier wechselt Schmuggelware den Besitzer: Kartons mit Kaffee, Milchpulver, Schokolade, Plastikflaschen mit Benzin gefüllt, leere Gasflaschen werden gegen gefüllte Gaszylinder getauscht. Viel Geld wechselt innerhalb kürzester Zeit den Besitzer, dann fahren tiefliegende, voll bepackte Fahrzeuge Richtung Syrien, und die libanesischen Fahrzeuge kehren um in den Libanon. »Alles ist zu haben«, versichert der Fahrer und sagt, das Leben sei schlagartig besser geworden mit dem Abgang von Assad und »seinen Leuten«, die Hals über Kopf geflohen seien. »Alles wird besser.«

Der Mangel in Syrien war seit der Coronasperre (2020/21) und dem Inkrafttreten US-amerikanischer Finanzsanktionen immer größer geworden. Das so genannte »Caesar-Gesetz« des US-Finanzministeriums drohte jedem mit finanziellen Strafen, der mit Syrien Geschäfte machen und in dem Land investieren wollte. Das galt für Einzelpersonen, für Unternehmen und für Staaten. Die Besetzung der syrischen Ölfelder im Osten des Landes durch US-Truppen und die mit ihnen verbündeten Syrischen Demokratischen Kräfte trieb Strom-, Heiz- und Transportkosten in die Höhe, was sich auf den Preis jeder einzelnen Tomate niederschlug.

Die ständig steigenden Steuern, die von den Finanzbehörden mit harter Hand eingetrieben wurden, sorgten für massenhafte Geschäftsschließungen und trieben die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Die Bürger erhielten im Gegenzug nichts für die gezahlten Steuern. Die Assad-Regierung hatte nicht nur Taschen von Profiteuren zu füllen, für militärische Unterstützung und geliefertes Öl waren Schulden an Russland und Iran zurückzuzahlen. Nur die Grenzen zu Jordanien und Libanon, nicht aber zur Türkei und dem Irak konnte die Regierung souverän kontrollieren, die Wirtschaft wurde erstickt.

Nun wird das Land mit Menschen und Waren geflutet. Zehntausende von Syrern nutzen täglich die Chance, ohne jegliche Kontrolle auf syrischer Seite in ihre Heimat zurückzukehren: junge Männer, die dem Militärdienst entkommen waren, Familien, die nach ihren Häusern sehen wollen, junge Leute, die sich nach vielen Jahren auf ein Wiedersehen mit Verwandten und Freunden freuen.

Die Abwesenheit von Grenzen und Zoll ist ein Fest für einen völlig unkontrollierten Markt. Die alte Autorität ist verschwunden, und die neuen Machthaber haben ein neues Ordnungs- und Sicherheitssystem noch nicht etabliert. Der ausgehungerte syrische Markt ist wie ein Schwamm und saugt alles auf, was über die unbewachten Grenzen hineinkommt. »Wir haben jetzt Kitkat«, grinst J., der die Autorin seit Jahren in Syrien begleitet. Bei einem Rundgang durch Bab Touma in der Altstadt von Damaskus bleibt er vor zahlreichen Marktständen stehen, die mit Süßigkeiten überfüllt sind. »Alles, was auf diesen Ständen liegt, kommt aus der Türkei«, sagt er und hebt Kekse und Schokolade in die Höhe. »Wir haben hier in Syrien leckere Kekse, gute Schokolade und Süßigkeiten. Aber selbst wenn unsere Produkte billiger sind, kaufen die Leute jetzt die Sachen aus der Türkei. Kitkat, Hurriya, Freiheit! Jeder kann machen, was er will.«

Der Preis von Brot hat sich verachtfacht. Bisher erhielten Familien je nach Größe täglich mindestens zwei Rapta »Chubus«, wie das Fladenbrot heißt, das in Syrien als Grundnahrungsmittel gilt. Ein Rapta besteht aus sieben Fladenbroten. Weil die Subventionierung wegfällt, sind die bisherigen staatlichen Bäckereien geschlossen oder werden privat betrieben. Private Bäckereien erhalten pro Tag etwas mehr als 3.000 Kilogramm Mehl. Wenn das aufgebraucht ist, wird die Bäckerei für den Rest des Tages geschlossen. Lange Schlangen bilden sich schon früh am Morgen, um Brot zu erhalten, für das nun 4.000 Syrische Pfund pro Rapta bezahlt werden müssen. Bisher kostete ein Rapta 500 Syrische Pfund.

Die neuen Machthaber haben die bisherigen staatlichen Subventionen auch für Benzin, Gas und Heizöl gestoppt. Geschmuggeltes Benzin aus dem Libanon wird von Verkäufern, die vermutlich für Unternehmer arbeiten, in großen Mengen angeboten. Der belebte, zentrale Abassiyeenplatz im Osten der Stadt ist zu einem Umschlagplatz für alle Sorten von Energieträgern geworden. Vollkommen ungeschützt wird aus einem Tankwagen Gas in Gasflaschen umgefüllt, das die Syrer zum Kochen und Heizen brauchen. Daneben steht ein kleinerer Tankwagen, der »Masud«, Heizöl abfüllt, das die Syrer im Winter für Öfen oder zum Betrieb von Generatoren brauchen. Daneben sitzt ein Mann mit seinem Sohn, der Dutzende Plastikflaschen mit Benzin anbietet, und schließlich gibt es einen großen Gemüsestand.

Die Preise für viele Lebensmittel schwanken von Tag zu Tag, ebenso der Umtauschkurs für einen US-Dollar. Jede Währung solle fortan in Syrien akzeptiert werden, heißt es. Aus Aleppo berichtet ein Bekannter, dass die Bevölkerung aufgefordert worden sei, ihre syrischen Pfund in US-Dollar oder in Türkische Lira umzutauschen, weil die syrische Währung bald nicht mehr akzeptiert werde.

Kurz vor Weihnachten tauchen auf den Straßen von Damaskus neue Sicherheitskräfte auf. Vermummte HTS-Kämpfer, die von der »Syrischen Heilsregierung« in Idlib geschickt wurden, einer von HTS eingesetzten Regierung. Es gibt Straßenpolizisten in hellvioletten Hemden und freiwillige Polizisten, die eine gelbe Sicherheitsweste tragen. Doch nichts kann den dichten und chaotischen Verkehr auf den Straßen von Damaskus besser regeln als die Bürger selbst. Sie schaffen das mit Hupen und waghalsigen Fahrmanövern im Zickzack zwischen Fußgängern, Mopeds, Lieferwagen, Taxis und Verkaufsständen, die hin und her geschoben werden. Der sichtbare Alltag der Menschen geht weiter seinen gewohnten, unübersichtlichen Gang.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz P. aus Wien, Lokales Diem25 Kollektiv (29. Dezember 2024 um 21:02 Uhr)
    Es freut mich sehr, von der wirklich erfahrenen Vorbildjournalistin Karin Leukefeld diesen Alltagseindruck und die Marktebeurteilung zu lesen. Gut, dass sie noch schreiben kann, und so können wir als jW-LeserInnen ein ausgewogenes Bild erhalten, was in Syrien vorgeht. Mal sehen, ob die von der Türkei offenbar fern gelenkten Moslembrüder, die nun am Ruder zu sein scheinen, diesmal einen modernen, stabilen Staat errichten können. Natürlich steht er unter dem Stern des aufsteigenden Neo-Osmanischen regionalen Imperiums. Das zeigt sich ja auch klar, welche Währung die Leute glauben als hartes verlässlicheres Tauschmittel in mittlerer Zukunft verwenden zu können. Danke für diese wichtige »mikro-ökonomische« Beobachtung, Frau Karin Leukefeld!

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