Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Januar 2025, Nr. 3
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 03.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Nazidiktatur

»Erinnerungspolitisch gibt es noch viel zu tun«

Eine längst überfällige Ausstellung in Berlin widmet sich verleugneten Opfern der Nazidiktatur. Ein Gespräch mit Barbara Stellbrink-Kesy
Von Sabine Lueken
10.jpg
Bilder einer wichtigen Ausstellung: »Die Verleugneten«

Wer waren die »Verleugneten«?

Es waren Menschen, die als »gemeinschaftsfremd« galten, als »minderwertig«, oft randständig, in Armut lebend und deklassiert. Menschen, die anders als die Mehrheit lebten, heute etwa als queer verstanden werden, Frauen, die als sexuell freizügig galten. Wer dreimal gestohlen hatte, und sei es nur ein Butterbrot, konnte als »Berufsverbrecher« abgestempelt werden. Ihnen allen wurde unterstellt, nicht genug zu arbeiten, sie sollten aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossen werden. Ihre Verfolgungsschicksale sind ein blinder Fleck im kollektiven Gedächtnis. Für die Nachkommen, die die überwiegende Zahl der Mitglieder im Verein Vevon darstellen, ist das ein unerträglicher Zustand.

Wie kam es zu der Ausstellung?

Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas hatte bereits 2009 ein Ausstellungskonzept erarbeitet, aber es gab keine finanzielle Unterstützung. Die Anerkennung durch den Bundestagsbeschluss vom 13. Februar 2020 ist daher vor allem der zivilgesellschaftlichen Initiative zu verdanken. Die Stiftung war jetzt wohl selbst überrascht vom Interesse der vielen jungen Teilnehmerinnen an der Eröffnungsveranstaltung, die der vorgesehene Saal gar nicht fassen konnte. Aber das ist nur ein erster Schritt.

Welche Parallelen gibt es zur Gegenwart?

Unter dem Einfluss der Erfolge der AfD sind die großen Parteien den Populisten bereits mit fliegenden Fahnen entgegengeeilt, haben die alten Hebel bedient, als Reaktion auf Ängste in der Bevölkerung Sündenböcke zu schaffen, zu spalten und Hass zu schüren. Arme Menschen für Finanzprobleme der Bundesregierung verantwortlich zu machen, zeigt, wieviel vom Denken der NS-Zeit in den Köpfen weiter existiert. Der Begriff »arbeitsscheu« schwingt in den Reden vom »Fördern und Fordern« immer mit. Das Verhältnis zur Arbeit war eine zentrale Kategorie bei der Ausgrenzung damals.

Weshalb haben Sie Vevon gegründet?

Die Mitglieder wollen »von unten« arbeiten, die eigene Geschichte freilegen, aber auch in die Gesellschaft hinein wirken. In der Bevölkerung denken viele, erinnerungspolitisch sei alles getan. Wer selbst aktiv ist, weiß, dass der Eindruck täuscht. Bis heute ist kein Forschungsetat für die »Verleugneten« aufgestellt. So ist auch der stagnierende Stand der Aufarbeitung von NS-Medizinverbrechen zu erklären. Er nimmt hauptsächlich Bezug auf Menschen mit Behinderungen, stellt die heute angeblich gelungene Inklusion heraus. Das geht einher mit einer unterkomplexen Darstellung von komplexen Zusammenhängen, z. B. auf der Webseite gedenkort-T4.eu. Nicht verwunderlich, wenn man sich die Sponsoren der Seite anschaut, die damit ihr Image pflegen. Aufarbeitung ist ja nicht frei von Interessen. Damalige »Pfleglinge« waren viel »diverser«, Überschneidungsbereiche mit den Gruppen, die in den KZ die grünen und schwarzen Winkel tragen mussten, werden nicht abgebildet. Das Argument, die Darstellung müsse vereinfacht werden, lasse ich nicht gelten. Ich komme von der Kunst, die hat von jeher auf verdrängtes Wissen aufmerksam gemacht und dazu Mittel gefunden. Mit solchen Verzerrungen wird es immer schwieriger, die Kontinuitäten von Haltungen und Einstellungen zu erkennen, besonders dort, wo kaum Wissen in der Gesellschaft angekommen ist.

Wird sich der Verband auch mit dem heutigen Umgang mit Ausgegrenzten beschäftigen?

Für mich ist es selbstverständlich, das Anliegen des Erinnerns mit der Gegenwart zu verbinden. Ob sich das auch im Verein durchsetzen wird, ist noch offen. Vorschnell Parallelen zur Gegenwart zu ziehen, scheint mir problematisch, wenn die Vergangenheit noch gar nicht in der Tiefe erforscht ist, wie es bei den »Verleugneten« der Fall ist. Der Verein fordert zu Recht ein Mahnmal im zentralen Berliner »Erinnerungsparcour«, ebenso einen Forschungsetat nicht nur auf dem Papier. Wie unsere Chancen stehen, als Verband unter den gegenwärtigen Umständen zukünftig den nötigen Druck zu erzeugen, wird sich zeigen. Wir sind eine Gruppe, die aus ausgesprochen beharrlichen Menschen besteht.

Barbara Stellbrink-Kesy ist Kunsttherapeutin und Autorin von »Unerhörte Geschichte: Frei – aber verpönt« (Verlag am Turm, 2020), einer Biographie über ihre Großtante, die Opfer der Medizinverbrechen der Nazis wurde. Stellbrink-Kesy ist Gründungsmitglied des »Verbands für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus« (Vevon)

»Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933–1945–heute«, B. Place, Cora-Berliner-Str. 2, 10117 Berlin, bis 31. Januar 2025

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Die Kommunisten zertreten: Lupenreine Nazipropaganda unter dem D...
    11.12.2024

    Kommunismus als Kakerlake

    Die Universität Tübingen präsentiert eine ukrainische antikommunistische Ausstellung – faschistische Symbolik inklusive
  • 25.11.2024

    Routinierte Empörung

    Nächster Skandal: Die Fotografin Nan Goldin kritisiert in Berlin den Gazakrieg

Regio:

Mehr aus: Feuilleton