Showdown im Tik-Tok-Streit
Von Sebastian EdingerAm Freitag sollen die Betreiber der Kurzvideoplattform Tik Tok vor dem Supreme Court darlegen, warum der im April verabschiedete Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act (PAFACA) aus ihrer Sicht verfassungswidrig ist. Können die Richter nicht überzeugt werden, droht neun Tage später das landesweite Aus in den USA. Dann endet die Frist, die dem in China ansässigen Mutterkonzern Bytedance für einen Verkauf Tik Toks an einen US-amerikanischen Eigentümer gesetzt wurde. Wiederum einen Tag später tritt mit Donald Trump ein erklärter Sympathisant des Dienstes das Amt des US-Präsidenten an. Zuletzt bat Trump die Justiz sogar um einen Aufschub, um von seinem neuen Arbeitsplatz im Weißen Haus aus eine »politische Lösung« für das Problem zu finden.
Doch was ist eigentlich das Problem? Tik Tok hat in den USA 170 Millionen Nutzer – und damit sogar mehr als Instagram, die Kurzvideoplattform von Meta. Mit PAFACA soll laut der derzeitigen US-Regierung von Präsident Joseph Biden die Gefahr gebannt werden, dass die chinesische Regierung den Dienst nutzt, um persönliche Daten von US-Bürgern abzugreifen. Zudem befürchtet man, Beijing könne Einfluss auf die Tik-Tok-Algorithmen nehmen, um die US-amerikanische Wählerschaft mit Falschinformationen zu versorgen und zu manipulieren.
Beweise für Datenabgriffe oder Einflussnahme durch die chinesische Regierung wurden seitens der USA nicht vorgelegt. Tik Tok verweist regelmäßig auf seine unabhängige Firmenstruktur samt Hauptsitz in Los Angeles. Auch Bytedance ist mehrheitlich in westlichem Besitz, die chinesischen Gründer halten nur rund ein Fünftel der Aktien. Allerdings hat sich die Regierung in Beijing 2021 über einen staatlichen Investitionsfonds eine einprozentige Beteiligung an der Haupttochtergesellschaft des Konzerns, Beijing Bytedance Technology, gesichert. Damit gehen besondere Kontrollrechte und ein Sitz im Vorstand einher. Ein unmittelbarer Einfluss auf Tik Tok ergibt sich daraus jedoch nicht.
Greift China Daten ab?
Dennoch ist davon auszugehen, dass die Regierung der Volksrepublik in der Lage ist, im Inland ansässige Konzerne zur Kooperation und im Bedarfsfall auch zur Datenweitergabe zu drängen. In den USA läuft es nicht anders. Die dortigen Geheimdienste sind durch den Foreign Intelligence Surveillance Act sogar offiziell befugt, persönliche Daten ausländischer Bürger abzugreifen, wenn diese auf Servern von US-Unternehmen liegen. Mit Blick auf China gibt es zudem Hinweise früherer Bytedance-Mitarbeiter, laut denen angeblich Mitglieder der Kommunistischen Partei in den heimischen Niederlassungen der Techfirma ein- und ausgehen und dort auf sämtliche Nutzerdaten zugreifen können – einschließlich jener, die auf Servern in den USA liegen.
Gänzlich von der Hand zu weisen sind die Argumente hinter dem PAFACA also nicht. Mit dem Gesetz wurde Bytedance verpflichtet, Tik Tok innerhalb von neun Monaten zu verkaufen – was die Unternehmensführung rigoros ablehnt. Andernfalls werde die App vom Netz genommen. Ob der Ansatz »Verbot oder Abschaltung« geeignet ist, die vorgeblichen Ziele zu erreichen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. So verweist unter anderem die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) auf den in den USA völlig unregulierten Datenhandel. Beijing brauche Tik Tok nicht, um in großem Stil an persönliche Daten von US-Bürgern zu gelangen. Man könne diese einfach bei Datenhändlern kaufen – was Geheimdienste regelmäßig tun.
Auch das Argument, es gehe um den Schutz vor politischer Einflussnahme, überzeugt nicht. Einerseits, weil hierfür nach Expertenmeinung andere Maßnahmen, wie die Einführung strenger Regeln für Inhaltsmoderation und Transparenz, zielführender wären. Andererseits, weil nur Tik Tok angegriffen wird, während politische Einflussnahme und die Verbreitung von Falschinformationen nachweislich auf zahlreichen Plattformen stattfinden – allen voran auf Elon Musks Kurznachrichtendienst X.
Wirtschaftskrieg im Internet
Vieles spricht dafür, dass das Vorgehen Tik Toks in erster Linie als Teil des US-Wirtschaftskriegs gegen die Volksrepublik zu werten ist: Der Dienst ist der einzige ernstzunehmende Herausforderer für die US-Dominanz in der Digitalwirtschaft. Die Aktienkurse von Meta, Microsoft und Co. machen daher regelmäßig Sprünge, wenn Tik Tok im Widerstand gegen das Verbot gerichtliche Niederlagen erleidet. Zudem ist das rabiate Vorgehen gegen chinesische Techunternehmen nichts Neues: Seit 2019 dürfen in den USA keine Komponenten von Huawei oder ZTE mehr in der kritischen Infrastruktur genutzt werden. US-Firmen, die diese Unternehmen mit eigenen Produkten beliefern wollen, brauchen Sondergenehmigungen.
Seit Jahren verlagert sich der US-Wirtschaftskrieg gegen das aufstrebende China immer stärker auf den Techsektor. Eine Schwächung Tik Toks liegt daher im geopolitischen Interesse der USA. Der App-Betreiber fürchtet erheblichen Schaden: Laut Klageschrift geht man schon im Falle einer vorübergehenden Abschaltung von einem Rückgang der globalen Werbeeinnahmen um 29 Prozent sowie einem dauerhaften Verlust von einem Drittel der Nutzer in den USA aus. Auch zahlreiche Kleinunternehmer, die Tik Tok für ihre Geschäfte nutzen, sind alarmiert.
Vor dem Supreme Court geht es am Freitag jedoch weder um die wirtschaftlichen Folgen eines Tik-Tok-Verbots noch um die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten. Statt dessen sollen die Richter prüfen, ob der PAFACA das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.
Hintergrund: Kampf um Plattformen
Die Dominanz der USA in der globalen Onlineplattformökonomie ist erdrückend: E-Commerce läuft über Amazon; die Social-Media-Kommunikation über Facebook, Instagram und X; Onlinesuchmaschinen kommen von Google oder Microsoft. Bis heute ist es lediglich in China gelungen, einige Onlineplattformen aufzubauen, die es auf internationaler Ebene mit den Platzhirschen aus den Vereinigten Staaten aufnehmen können. Das gilt unter anderem für die Shoppingplattformen Alibaba und Temu, die Amazon weltweit Marktanteile abjagen, sowie für die Social-Media-Anwendungen Tik Tok und Wechat.
Die chinesischen Anbieter profitieren dabei von einer entschlossenen politischen Förderung sowie einem großen und einheitlichen Binnenmarkt, der schnelles Wachstum und Skalierung ermöglicht. Faktoren, die in der Plattformökonomie von besonders großer Bedeutung sind. In anderen großen Staaten wie Russland und Indien ist es in den 1990er und 2000er Jahren zumindest gelungen, eine Reihe von Plattformen aufzubauen, die zwar global kaum eine Rolle spielen, aber den heimischen Markt dominieren. So konnte eine Abhängigkeit von US-Anbietern in diesem zentralen Bereich der digitalen Infrastruktur vermieden werden.
Anders sieht es in der EU aus, weil dort keine einheimischen Plattformen mit nennenswerter Reichweite aufgebaut wurden. Der globale Anteil der EU bei der Marktkapitalisierung der 100 größten Plattformen stagniert seit Jahren zwischen zwei und vier Prozent. In Brüssel hat man sich damit abgefunden, hoffnungslos abgehängt zu sein, und beschränkt sich darauf, zu regulieren. Zu fragmentiert ist der Binnenmarkt, zu widerstrebend die nationalen Interessen. Die Abhängigkeit von US-Anbietern ist daher groß – und wird noch größer, wenn es tatsächlich zu einer von den USA erwirkten Verbotswelle kommt, die sich gegen Wettbewerber aus China richtet. Die aktuellen Maßnahmen gegen Tik Tok legen nahe, dass es dazu kommen könnte. (se)
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