Die passenden Töne
Von Norman PhilippenAls sich am Sonnabend morgen die alten Hallen der einstigen Eisengießerei Winkelhoff füllten, wurden die aus der Kälte einströmenden Warmherzigen ab 10.30 Uhr vom Berliner Hannes-Zerbe-Jazz-Orchester aufs Stimmigste empfangen. Verschmolzen die Klänge der durchs Publikum zur Bühne schreitenden Bläser sich doch mit denen des übrigen Ensembles zur Geräuschkulisse einer produzierenden Eisengießerei, da zum Einklang unter großem Beifall das Stück »Sawod« (Fabrik) des russischen Komponisten Alexander Mosorow gespielt wurde. Eine erfolgreiche maschinenmusikalische Evokation der Zeiten, in denen die Industriehallen auf dem Areal der heutigen Wilhelm-Studios noch so neu waren wie der furiose Inhalt des »Futuristischen Manifests«, das die Bigband anschließend zum Besten gab. Inmitten der imposanten historischen Konstruktion aus Backstein und Stahlträgern erscholl ein Klangerlebnis, das von den alten so sehr wie von notwendig zu erringenden neuen Zeiten kündete. Als – »Vorwärts und nicht vergessen …« – die letzten Töne des Orchesters Darbietung von Hanns Eislers famoser, für Slatan Dudows Filmklassiker »Kuhle Wampe« komponierter Filmmusik erklangen, war die passende Tonalität für das letzte Gefecht und die Diskussion der Frage »Wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang« gesetzt und hatten sich die meisten der rund 3.000 Gäste bereits eingefunden, so dass gebührender Applaus toste, bevor Moderatorin Gina Pietsch das weitere Programm ankündigte.
Dessen Kulturteil bot neben einer zweiten Einlage des Hannes-Zerbe-Jazz-Orchesters nach Abschluss des Jugendpodiums mit den zwei Musikern Ezé Wendtoin und Mal Élevé nicht nur dem insgesamt wieder erfreulich jungen Publikum auch ganz andere Töne. Der aus »dem Land der Aufrechten« (Burkina Faso) stammende Ezé brachte mit seiner erfrischend eigentümlichen Fusion von Reggae, Dancehall, Ska, Rap und Punk nämlich nicht nur die jüngeren zu breitem Grinsen, sondern animierte spielend auch die älteren Jahrgänge, zwar nicht zur Luftgitarre zu greifen, aber mit seiner Fahrradfahrhymne doch zum energetischen Luftpedaltreten, wie man das auch nicht alle Tage zu sehen bekommt. So waren denn Jung wie Alt längst in erhebliche Mitklatsch- und -machstimmung versetzt, als der nur seinem Künstlernamen nach schlecht erzogene Mal Élevé (ehemals Sänger der 2017 aufgelösten Heidelberger Band Irie Révoltés) zu Ezé stieß, um gemeinsam – »Faschismus! Warnung! Sie kommen nicht durch!« – die antifaschistische Botschaft in Richtung AfD-Parteitag nach Riesa sowie sowieso contra Rechtsruck, gegen Rassismus und Faschismus zu senden. Um stimmliche Unterstützung aus dem Publikum mussten die beiden da nicht erst bitten.
Allerdings, das soll nicht verschwiegen werden, kam es nach Dietmar Daths aufschlussreichem Vortrag über die Gefahren und Chancen der KI im Kulturprogramm auch zu einem Drama. Wenn auch nur zu einem kleinen, einem Dramolett. Einem höchst erfreulichen zudem, dafür sorgten Anja Panse und Anna Keil vom authentischen, alternativen, angstfreien Theaterkollektiv AAA, das sich darum verdient macht, historische Ereignisse zu aktuellem Geschehen in Beziehung zu setzen. In den Rollen Rosa Luxemburg (Panse) und Clara Zetkin (Keil) boten sie einen Auszug aus dem Stück »Clara Z. – Kämpfen, wo das Leben ist«, ein fiktives Gespräch der Revolutionärinnen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. »Was ist aus der SPD geworden?«, fragten sich die beiden zur Partei, die einst die Kriegskredite befürwortete, die den Ersten Weltkrieg mitfinanzierten. Und setzten so ein historisches mit einem Geschehen in Beziehung, das – Stichwort »Verteidigungskrieg« gegen Russland – dem vom deutschen Untertanengeist weitgehend unerfassten Publikum als aktuell brisantes nicht erst allzu dick aufs Brot geschmiert werden musste, um sich mit den Schauspielerinnen einig zu werden, dass zwischen Kanonen und Butter stets Letzteres zu wählen ist, ohne vom Ersteren zu schweigen.
Dass, wie es Mal Élevé ausdrückte, der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen, wussten Anja und Anna respektive Rosa und Clara so gut wie der israelische Filmemacher, linke Aktivist und Koordinator des Archivs der Linken in Israel, Eran Torbiner, der auf dem Kulturpodium im Gespräch mit Susann Witt-Stahl (Chefredakteurin des Kulturmagazins Melodie & Rhythmus) die Problematiken seiner ambitionierten Arbeit erläuterte und seinen auch filmisch geführten Kampf für Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden in Ausschnitten vorstellte. Solange das Kapital herrscht, werden die Kriege nicht aufhören. Das wussten wohl auch die allermeisten der dem Kulturprogramm Applaudierenden, das diese eindringliche Botschaft sicher auch nächstes Jahr laut und deutlich nicht verhehlen wird. Wenn die Zeiten sich bis dahin nicht zu gründlich wenden, perspektivisch dann in noch größerer Location und noch lauterem Beifall.
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