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Aus: Ausgabe vom 16.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der keusche Gatte

Die Adaption von Arthur Schnitzlers »Traumnovelle« mit Nikolai Kinski im Kino
Von Gisela Sonnenburg
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Eine Katze ist es nicht

Berlin ist nicht Wien. Aber für einen Film, der ein Erotikthriller und zugleich ein Lehrstück der Bürgerlichkeit ist, eignet sich auch die deutsche Hauptstadt. Schon die literarische Vorlage, die »Traumnovelle« von Arthur Schnitzler, verbindet die beiden Städte. Sie spielt nämlich in Wien, erschien aber, und zwar kapitelweise in einer Modezeitschrift, 1925 zunächst in Berlin. Stanley Kubrick verlegte den Plot 1999 für »Eyes Wide Shut« nach New York. Aber Berlin ist allemal eine sehr gute Wahl von Regisseur Florian Frerichs.

Aus den beiden Hauptpersonen, die bei Schnitzler Fridolin und Albertine heißen, wird das Paar Jakob und Amelia. Er ist Arzt, sie Hausfrau, und die Stimme ihres kleinen Kindes verliest die »Traumnovelle«, während man das noble Flair einer Wohnung im heutigen Charlottenburg genießt. Das Eheglück ist jedoch von Langeweile bedroht. Man spürt, dass die Beziehung ins Oberflächliche gleitet. Der Besuch eines Karnevals soll das ändern: Tatsächlich flirten beide Eheleute dort mit anderen. Gegessen wird dann daheim, es kommt – offenbar nach längerer Pause – zum Sex. Brav und ohne Kapriolen wird der Beischlaf ausgeübt, fast zum Abgewöhnen stumpfsinnig.

Das genügt weder Jakob noch Amelia. Der schöne Nikolai Kinski bleibt in der Partie des Jakob allerdings den ganzen Film über angezogen. Im späteren Verlauf bekommen wir noch etliche nackte oder halbnackte Frauen zu sehen. Aber nackte Männer gibt es definitiv zu wenige. Nicht mal der Traumliebhaber (groß, jung, blond) Amelias ist nackig. Er ist ein Urlaubsschwarm, und sie erzählt ihrem brünetten Gatten mit einer Mischung aus Ehrlichkeit und Sadismus von ihren Phantasien.

Jakob wird unverhofft getriggert, als ihn die Tochter eines verstorbenen Patienten bedrängt. Unter Tränen gesteht sie ihm ihre Liebe, obwohl ihr Verlobter, mit dem sie nach Göttingen ziehen wird, vor der Tür steht. Immerhin ist er ein gut aussehender Professor, es könnte also spannend werden. Wäre da nicht der unentschlossene, erzwungen keusch wirkende Jakob.

Er flüchtet in die Nacht und wird beinahe von Jugendlichen zusammengeschlagen. Berlin, ein gefährliches Pflaster. Schließlich findet Jakob, was er sucht: eine Prostituierte nach seinem Geschmack. Die hübsche Blondierte nimmt ihn mit aufs Zimmer. Zu ihrer Enttäuschung will Jakob aber nur reden – und küsst ihr zum Abschied die Hand. Sie ist entsetzt von so viel Respekt. Sein Geld will sie auch nicht nehmen – es ist halt eine »Traumnovelle«.

Atmosphärisch gerät Jakob immer tiefer ins Gestrüpp seiner verdrängten Triebe. Die erwachen und lassen ihm was blühen. In einer Bar trifft er einen ehemaligen Kommilitonen, aus dem ein schmieriger Barpianist mit dubiosen Zusatzdienstleistungen geworden ist. Er erzählt was von heimlichen Bällen, auf denen die Gäste Kutten und Masken tragen – und schon ist der naive Jakob angefixt.

Der Kostümverleiher, den er nächtens aufsucht, ist allerdings jede noch so skurrile Szene wert: Es ist Detlev Buck in einer wie für ihn gemachten Rolle. Mit kitschigem Rosentattoo am Hals steht er mächtig da wie ein Türsteher und bedient Jakob mit schnoddrig-gönnerhafter Geste. Zwei dralle Frauen amüsieren sich in Lack und Leder, die Peitsche schwingend. Das ist der Auftakt für eine heiße Nacht. Verdis Musik vom »Maskenball« tut ein übriges.

Der Ball wurde dann in den ehemaligen Beelitzer Heilstätten gedreht und atmet den Odem des Verbotenen. Ein Ritual steht an – und eine maskierte Schönheit rät Jakob zu verschwinden. Doch seine Neugier hat ihn fest im Griff. Erst, als er als nicht geladener Gast auffliegt, sieht er ein, dass er fehl am Platze ist. Fast ist es für Reue zu spät. Doch seine Beschützerin erklärt theatralisch, sie werde sich für ihn opfern.

Jakob wird rausgeschmissen. Sein schlechtes Gewissen flößt ihm ein, seine Warnerin sei in Gefahr. Doch Recherchen am folgenden Tag bleiben erfolglos. Aus der gedruckten Zeitung (die hier einen Tag zu früh schreibt, was am Vortag los war) schnappt Jakob auf, dass eine Frau mit einer Überdosis Heroin in die Charité eingeliefert wurde. Er will sie als seine Beschützerin identifizieren und befragen. Doch als er im Krankenhaus ankommt, ist sie bereits tot. Chaos herrscht in seiner Seele. Trost bietet da nur das traute Heim. Im Kreis der Kleinfamilie erholt sich Jakob – und seine Ehe findet, schon des Kindes wegen, zu neuer Substanz.

Ein Porno ist das Ganze nicht gerade. Aber die nächtlichen Bilderwelten sind so fesselnd und suggestiv, dass man es sogar mit Gleichmut erträgt, wenn Sharon Brauner darin singt.

»Traumnovelle«, Regie: Florian Frerichs, BRD 2024, 109 Min., Kinostart: heute

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