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Aus: Ausgabe vom 18.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Bluesrock

Wissenswertes über japanische Niedertracht

Das neue Album der begnadeten Hochstapler von Sasebo
Von Andreas Schäfler
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Die friedliche Koexistenz von Koalabär und Känguru: Sasebo

Die Machtübernahmen durch Autokraten und Technofeudalisten, das Gefeilsche um künstliche sogenannte Intelligenz, die defekten Debatten über alles und nichts, von den Kriegen und Klimakatastrophen, den Amokläufen und Windkapriolen bei der Vierschanzentournee ganz zu schweigen – ja spinnt der Planet denn nicht schon genug? Die Münchner Band Sasebo packt da mühelos noch einen drauf bzw. setzt der weltumfassenden Schieflage ihren eigenen Absurditätenkosmos entgegen, mit großer Geste und bösem Vergnügen.

Wie schon auf dem Vorgänger »Sasebo Super Spreader« wird archaischer Bluesrock mit Elementen aus japanischer Volksmusik verbrämt und mit einer Prise bayrischem Grant abgeschmeckt. Von ferne grüßen noch immer Captain Beefhearts Magic Band und Tom Waits aus seiner violetten Phase. Die geballte Wucht eines Sasebo-Liveauftritts inklusive Theatralik und exotischer Bühnenpracht war im Studio aber auch diesmal nicht zu erzielen. Umso unbekümmerter, unschuldiger und poppiger wirken auf »Ça c’est bon!« dafür die neuen Songs. Sie entstehen aus absichtslos hingeworfenen Floskeln und steigern sich verlässlich in hübsche kleine Exzesse hinein. Auf der textlichen Ebene wird derweil vielleicht gerade die friedliche Koexistenz von Koalabär und Känguru propagiert – fragen Sie Ihren Simultandolmetscher oder sehen Sie sich die teils untertitelten Sasebo-Videos an!

Was aber wird gespielt und wenn ja, von wem? Toshio Kusaba und Carl Tokujiro Mirwald agieren als irrlichternde Lamentierer, Johler und Brabbler. Als ernstzunehmende Sängerin (ebenfalls auf japanisch) tut sich diesmal vor allem Akkordeonistin Tinka Kuhlmann hervor, an den Gitarren rackern Ivica Vukelic und Yutaka Minegishi, David Bielander flötet Fanfaren, Andreas Koll trötet die Tuba, Dirk Eisel drischt die Drums und Zoro Babel klopft auf Stein und Eisen. Verspielte Soundgirlanden wechseln sich ab mit ambitioniertem Krach. Oberton-Geschwirre und kratzbürstige Marc-Ribot-Gitarren in »Ikigai«, mit »Koala« eine feingesponnene Ballade und bei »Circus« der große Auftritt der singenden Säge als trauriger Clown. Reimt man sich jedenfalls so zusammen. Und »Aki« zum pastoralen Schluss. Alles in allem klingt das, man könnte sagen: sehr libertär. Aber eben im besten linksdrehend-anarchistischen Sinn. Auf dem Albumcover posieren die neun Sasebos, dem Gemälde »Die Lebensmüden« von Ferdinand Hodler nachempfunden, als eine Horde schwer Gezeichneter vor dem finalen Saunagang.

Der große Daseinsüberdruss wird auf »Ça c’est bon!« verlässlich kurz und klein gehäckselt, mit hoher Konzentration sortiert und mit ironischem Grimm entsorgt. Bisweilen erahnt man sogar die radikale Poesie der japanischen Texte. Und kann ansonsten unter jedem Songtitel wenigstens kurz nachlesen, worum es jeweils in etwa geht: nämlich um die Mühen der Eintopfsaison, einmal explizit um Kakerlaken, später auch um das Jodeln im Seniorenheim. Und schließlich um die sogenannten »Hikikomori«, also japanische Menschen, die sich freiwillig in ihrer Wohnung isolieren und den Kontakt zur Außenwelt auf das Allernötigste beschränken. Üben für die nächste Pandemie, wenn die Instantnudeln, die Mutti hoffentlich allabendlich vor der Tür ablegt, die einzige Freude sein werden?

Aber keine Sorge. Überwiegend geht es ziemlich lustig zu in dieser hohen Schule des Galgenhumors. Wenn dermaleinst tatsächlich das letzte Stündlein schlagen sollte, ist mit »Ça c’est bon!« jedenfalls der passende Soundtrack verfügbar. Und angesichts der deutschen Wahlkampfpein, der Kanada-, Panama- und Grönland-Obsessionen des Gröfaz-Darstellers im Weißen Haus sowie der besorgniserregenden österreichischen Machenschaften in der Wiener Hofburg wie auch auf den Skisprungschanzen dieser Welt kommt der Crashkurs in angewandter Japanologie mittels dieses herrlich überspannten Albums schon jetzt wie gerufen.

Sasebo: »Ça c’est bon!« (Rheinschallplatten)

Releasekonzert am 18.1. in der Goldmarie, München

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