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Aus: Ausgabe vom 21.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Spanien

König mit rechter Agenda

Felipe VI. blieb den Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der spanischen Demokratie fern. Spaniens Monarch scheint immer weiter nach rechts zu driften
Von Carmela Negrete
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Rechts zwo, drei: Spaniens König marschiert (Felipe VI. am 6.1.2025 am Palacio Real in Madrid)

Wo war der König? Am 8. Januar fand in Spanien ein »wichtiger Staatsakt« statt. So nannte das Ereignis jedenfalls der Ministerpräsident, der Sozialdemokrat Pedro Sánchez. In Madrid wurden an diesem Tag mehr als hundert Aktivitäten vorgestellt, die Spanien aus Anlass des 50. Jahrestags der Transición, also des Übergangs von der Franco-Diktatur zu demokratischen Verhältnissen, durchzuführen beabsichtigt. Bei der Veranstaltung waren Minister, Gewerkschaften, bekannte Journalisten und viele weitere Gäste anwesend. Doch das Staatsoberhaupt, König Felipe VI., war nicht erschienen. Die spanische Presse kommentierte, das sei kein Zufall. Der Monarch verfolgt eine eigene Agenda – eine rechte Agenda, die jener der tendenziell progressiven Regierung von Sánchez entgegensteht.

»In diesem Jahr feiern wir, dass sich Spanien 1975 in einem Moment großer politischer Unsicherheit für die Demokratie und für die Freiheit entschieden hat«, erklärte Sánchez in seiner Rede. Die spanische Gesellschaft habe damals beschlossen, »einen langen und immer komplexen und schwierigen Transformationsprozess zu beginnen – politisch, institutionell, sozial und wirtschaftlich«. Diese Transición sei erfolgreich gewesen, und schließlich habe sich Spanien zu dem »fortschrittlichen, einflussreichen, offenen und toleranten Land« entwickelt, das es heute sei.

Die Abwesenheit des Königs muss innerhalb einer ganzen Reihe von symbolischen Gesten verstanden werden, mit denen Felipe VI. gezeigt hat, auf welcher Seite er steht: auf seiten derer, die mit der expliziten Absage an die Franco-Diktatur nichts anfangen können. Bei der traditionellen Zeremonie, zu der jedes Jahr am 6. Januar ranghohe Armeeangehörige im Palacio Real zusammenkommen, änderte Felipe kurzfristig seine Rede, die das Königshaus bereits an die Journalisten geschickt hatte. Wie die Tageszeitung El Diario berichtete, ließ Felipe die Passagen zu Francos Tod (20. November 1975) und zur Transición aus.

Was der König statt dessen sagte, war dies: »In diesem Jahr werden wir den 175. Jahrestag der Gründung zweier Akademien des Heeres feiern: der Infanterieakademie in Toledo und der Kavallerieakademie in Valladolid, das 100jährige Bestehen des Tercio Duque de Alba der Legion sowie das 50jährige Bestehen des Ausbildungszentrums San Gregorio.« Was das Königshaus an dieser Stelle geschrieben und an die Journalisten geschickt hatte, liest sich indes so: »Im Kalender des Jahres 2025 haben wir viele bedeutsame Daten. An erster Stelle jährt sich der Beginn der Ereignisse, die den Transformationsprozess unserer Streitkräfte einleiteten, zum 50. Mal. Bereits in den Anfängen der Demokratie begann ein Übergangsprozess, der von der Diktatur – einem dunklen Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte und einer Zeit der Spaltung der Spanier, die heute glücklicherweise überwunden ist – zu neuen Ufern führte.«

Es gibt weitere Anzeichen für das politische Programm des Königs. Während Ministerpräsident Sánchez der Vereidigung des argentinischen Präsidenten Javier Milei im vergangenen Jahr fernblieb, entschied sich König Felipe, zur Casa Rosada zu reisen, um dem neuen argentinischen Machthaber zu gratulieren. Zwischenzeitlich hat Milei sogar ­Sánchez’ Ehefrau verbal angegriffen und sie als »korrupt« bezeichnet – ein Vorwurf, der bislang nicht belegt werden konnte, aber eine diplomatische Krise zwischen Spanien und Argentinien auslöste. Sánchez’ Außenminister José Manuel Albares forderte eine Entschuldigung des argentinischen Präsidenten – bislang jedoch ohne Erfolg. König Felipe hält dennoch weiterhin Kontakt zu Milei, der inzwischen zu einer der wichtigsten Figuren der internationalen extremen Rechten aufgestiegen ist.

Nachdem die linke Kandidatin Claudia Sheinbaum die Präsidentschaftswahlen in Mexiko gewonnen hatte, lud sie Sánchez zu ihrer Vereidigung ein und erklärte zugleich, warum Spaniens König nicht geladen war. Bereits 2019 hatte Sheinbaums Vorgänger Andrés Manuel López Obrador von Spanien eine öffentliche Entschuldigung wegen der Kolonialzeit gefordert – eine symbolische Geste, die bis heute aussteht. König Felipe hat auf den entsprechenden Brief von López Obrador nie geantwortet, was in Mexiko als diplomatische Beleidigung aufgefasst wurde.

Sheinbaum erinnerte an die Großzügigkeit Mexikos während des Spanischen Bürgerkriegs, als das Land viele republikanische Flüchtlinge aufnahm. Doch anstatt sich mit dem eigenen König und der politischen Rechten in Spanien anzulegen, entschied sich Sánchez, Sheinbaum dafür zu kritisieren und ebenfalls ihrer Vereidigung fernzubleiben.

Felipe VI. hat Sánchez mehr als einmal in Verlegenheit gebracht. So etwa, als er die Einladung zur Wiedereröffnung von Notre-Dame ausschlug und Spanien folglich ohne Repräsentation blieb. Oder als er und Königin Letizia entschieden, eine Reise in die von der Flutkatastrophe betroffenen Gebiete von Valencia zu unternehmen, wo sie auf eine aufgebrachte Bevölkerung trafen. In beiden Fällen nutzte die Rechte die Situation, um die Regierung Sánchez zu kritisieren. Die Sozialdemokraten haben allerdings seit Francos Tod trotz ihrer traditionellen Präferenz für die Republik als Staatsform immer auf die Monarchie gesetzt, um die spanische Rechte zu beruhigen.

Hintergrund: Feier mit Schatten

Für das Jahr 2025 hat die spanische Regierung Hunderte von Aktivitäten geplant und finanziert, um das 50jährige Jubiläum der Einführung demokratischer Verhältnisse nach dem Tod von Francisco Franco zu begehen. Dazu gehören Ausstellungen, Konzerte, Filme, Publikationen, schulische Materialien und Bürgerversammlungen. Auch einige internationale Aktivitäten sind im Rahmen dieser Feierlichkeiten vorgesehen, etwa die Ernennung des Grabes des Schriftstellers Antonio Machado in der französischen Stadt Collioure am 22. Februar zum »Ort der demokratischen Erinnerung«.

Was bei den meisten dieser Aktivitäten vermutlich nicht deutlich gemacht wird: Die Zeit des Übergangs zur Demokratie in Spanien war im Gegensatz zur vorherrschenden Erzählung alles andere als ein vorbildlicher Vorgang. Die Niederschlagung von Demonstrationen und Streiks, Staatsterrorismus und weitgehende Straffreiheit für die Täter prägten diese Epoche.

Im Dunkeln geblieben ist bis heute das Attentat auf ein linkes Anwaltsbüro am 24. Januar 1977, bei dem fünf Personen erschossen und vier verletzt wurden, und das mit den Gladio-Armeen der NATO in Verbindung gebracht wurde. Eine offizielle Untersuchung zu diesem Thema hat nie stattgefunden. Auch der Anschlag auf ein Theater in Barcelona im Jahr 1978, bei dem vier Mitarbeiter starben, ist bis heute nicht aufgeklärt. Für den Anschlag wurde die anarchistische Gewerkschaft CNT verantwortlich gemacht, deren Mitgliederzahl daraufhin rapide sank.

Dass der Übergang zur Demokratie nicht in einem anarchistischen oder sozialistischen Experiment mündete, verdanken die Spanier letztlich auch dem »Pakt von Moncloa« aus dem Jahr 1977, zu dem Gewerkschaften, Sozialdemokraten und die Kommunistische Partei ihre Zustimmung gaben. Heute wird diese Vereinbarung offiziell als ein Schritt der Verständigung zwischen links und rechts dargestellt, doch praktisch bedeutete sie eine allmähliche Liberalisierung der Wirtschaft mit den heute bekannten Konsequenzen. (cn)

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