Veruntreuung ist gängig
Von Ralf WurzbacherDie Ungerechtigkeit schreit zum Himmel: Die zwei reichsten Familien in Deutschland haben so viel Vermögen angehäuft wie die gesamte untere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Trotzdem tönt es aus allen Kanälen, der Sozialstaat sei zu teuer. Unsinn, sagt der Sozialverband VdK. Gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Fiscal Future hat er analysiert, warum die hiesigen Sozialversicherungssysteme finanziell in Schieflage geraten sind. Ergebnis: Der Gesetzgeber bedient sich seit Jahrzehnten schamlos aus den Kassen der Beitragszahler, um daraus Projekte zu bezahlen, die die Gesamtgesellschaft betreffen. Im Strafrecht liefe so etwas unter Veruntreuung, sei in der Bundespolitik aber »gängige Praxis«, erklärte Verbandsvorsitzende Verena Bentele am Dienstag.
Beispiel Rentenversicherung: Die stellt längst nicht nur die Altersbezüge von Senioren sicher, sondern begleicht auch Ausgaben, die für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Mutterschutz und Ausbildungszeiten anfallen. Für solche und weitere Aufgaben gehen mehr als 108 Milliarden Euro drauf, die laut Studie aber nur rund 84 Milliarden Euro aus »Bundeszuschüssen« kompensieren sollen. Bleibt eine Unterdeckung von knapp 24 Milliarden Euro, die die Rentenkasse enorm unter Druck setzt. Rufe nach höheren Beiträgen und Leistungskürzungen sind da förmlich programmiert. So müssten Beschäftigte schon jetzt 1,5 Prozent »mehr als nötig« in die Rentenkasse einzahlen. Und gebe es die Lücke nicht, ließen sich die Mittel für höhere Renten oder bessere Rehaangebote für Versicherte einsetzen, stellt der Bericht fest.
Der VdK stellt besagte »versicherungsfremde Leistungen« an sich nicht in Frage. Die Kosten dafür sollten aber »nicht allein von den Beitragszahlenden der Rentenversicherung, sondern von der gesamten Gesellschaft übernommen werden«, so Bentele. Der Irrwitz des Staus quo zeigt sich aktuell bei der Krankenhausfinanzierung. Für Investitionen sind eigentlich Bundesländer zuständig, die dem aber seit Jahrzehnten nur unzureichend nachkommen. Die Folge: ein riesiger Sanierungsstau. Dem will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit seiner »großen Krankenhausreform« beikommen, die aber ein noch größeres Kliniksterben provozieren wird. Die avisierten 50 Milliarden Euro für einen »Transformationsfonds« sollen nun ausgerechnet und in Gänze die Beitragszahler beisteuern – Bund und Länder bleiben verschont.
Fiscal Future hat die sachfremden Kostentreiber sämtlicher Systeme – Renten-, Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung – aufsummiert und mit den jeweiligen Bundeszuschüssen verrechnet. Dabei ergibt sich eine Unterfinanzierung von insgesamt mindestens 70,8 Milliarden Euro. Dieses viele Geld fehlt den Kassen, um ihre genuinen Aufgaben zu höherer Qualität bei günstigeren Preisen offerieren zu können. Statt dessen wurden zu Jahresbeginn drastische Beitragsaufschläge bei Gesundheit und Pflege fällig. »Für uns ist klar, dass das aufhören muss«, bekräftigte Bentele. Politische Vorhaben, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen, müssten zwingend aus Steuermitteln finanziert werden. Denn während sich die Sozialversicherungen vorrangig auf die Beiträge der gesetzlich Versicherten stützen, speise sich der Bundeshaushalt auch aus den Steuern von Beamten, Politikern, Selbstständigen und Unternehmern. »Wer sich also in den Töpfen der Sozialversicherungen bedient, bedient sich an dem Geld einer Gruppe mit tendentiell geringeren Einkommen«, so die Verbandschefin.
Aber wo nimmt der Staat die Mittel her, die er nicht länger von den Sozialkassen abzweigt? Bis zu zehn Milliarden Euro könnte laut VdK eine sozial gerechte Ausgestaltung der Erbschaftssteuer einbringen, 40 Milliarden Euro brächte eine verfassungsgemäße Form der Vermögenssteuer und weitere 25 Milliarden Euro eine konsequentere Bekämpfung von Steuervermeidung. Setzte die Politik alle Vorschläge des Verbands um, ließen sich sogar bis zu 100 Milliarden Euro mehr einnehmen als bisher. »Davon würde die gesamte Gesellschaft profitieren«, so Bentele. Und nicht bloß zwei Familien.
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