Messer im Genick
Von Fabian Lehmann
Turbostaat hört der eingeweihte Musikfreund nicht, weil er sich davon große Überraschungen versprechen würde. Die in Husum gegründete Band steht seit dem Debüt »Flamingo« von 2001 für die konstante Weiterentwicklung ihres Stils. 2010 erschien mit »Das Island Manöver« das einzige schwächere von mittlerweile acht regulären Alben. Für die musikalische Entfaltung aber war das wohl notwendig, weil die Band danach vollends im eigenen Sound aufging: zwei Sologitarren, die in ihrem eigensinnigen, konsequent-repetitiven Spiel nahezu unbegreiflich ineinander greifen. Dazu die undurchdringliche Lyrik von Gitarrist Marten Erbsen, mit ihrer Freude an sperrigen Worten, die sich weniger im Inhalt als im Klanggefühl erschließen.
Wer wissen möchte, wie sich das anhört, ziehe die Singleauskopplung des neuen Albums »Alter Zorn« zu Rate. Das Stück »Jedermannsend« hätte genau so auf jedem anderen Turbostaat-Album erscheinen können – meint man. Bis nach zwei Minuten und 40 Sekunden der Song sein Schema zugunsten einer psychedelischen Kehrtwende aufgibt und sich zu unvorhergesehenen Höhen hinaufschraubt.
Exakt fünf Jahre liegt die Veröffentlichung des vorhergehenden Albums »Uthlande« zurück. Wohl auch deshalb, weil die Band schwierige Zeiten hinter sich hat. 2022 mussten die fünf Musiker aufgrund eines Herzinfarkts Konzerte absagen – wer aus der Band betroffen war, behielten sie für sich, sprachen von einem erkrankten »Wir«. Es stand in Frage, ob die Gruppe überhaupt weiter existieren würde.
Das ist überwunden. Mit »Alter Zorn« melden sich Turbostaat furios zurück. Die neue Platte gehört – neben dem düsteren Konzeptalbum »Abalonia« (2016), dem es gelang, die Stimmung einer von Migrationsbewegungen durchrüttelten Zeit in Musik zu übersetzen – zu den stärksten in 25 Jahren Bandgeschichte. Nicht, weil die übrigen Alben schwach wären, sondern weil hier Text und Musik in einer Weise zusammenfinden, die selten ist.
Produziert hat wieder Moses Schneider, der seit dem dritten Album »Vormann Leiss« (2007) für den Sound verantwortlich zeichnet und nun auch auf dem Albumcover zu sehen ist. Als junger Mensch auf einem vergilbten Foto. Das Material ist live eingespielt, was Atmosphäre schafft und den Klang erdet. Das unterstützt die Rauhheit des Albums, dessen Gesamteindruck bedrohlich genannt werden darf.
Am 16. Januar führten Turbostaat das neue Album in der ausverkauften Hamburger Markthalle auf, spielten alle zwölf Songs live hintereinander weg. Ein Wagnis, weil niemand das Album kannte. Aber schon beim ersten Hören schälen sich intensive Stücke heraus, nicht zuletzt der Titelsong »Alter Zorn«. Musikalisch hoch verdichtet ist er, setzt auf schwer identifizierbare Sounds, während Jan Windmeier im etablierten Turbostaat-Moll skandiert: »Die Angst ist wie Bedauern / Nur ein Messer im Genick.«
Weiterer Höhepunkt, das getragene »Isolationen«, das von einem Großstadtwinter erzählt und nach dem Gefrierpunkt von Heroin fragt. Es ist der hässliche Spiegel einer weitgehend indifferenten Bewohnerschaft: »Macht die Straße endlich breiter / Damit noch mehr verrecken können.« »Den Annern sin Uhl« ist etwas freundlicher, lebt von einem durchdringenden, beschwingten Bass und dem Vortrag Jan Windmeiers, während irgendwo hinten ein geisterhafter Ruf den Takt vorgibt.
Die Alben Turbostaats erscheinen stets im Januar. Wer dafür noch immer eine Erklärung braucht: »Es gab für alles einen Grund / Und auch schon immer 50 Wörter für grau.« Für das Radioprogramm ist die Musik vollständig ungeeignet. »Turbostaat« bleiben sperrig, das ist ihre Qualität. Und »Alter Zorn« ist genau das: eine Anleitung für das seelische Überleben im ewigen Winter.
Turbostaat: »Alter Zorn« (PIAS/Rough Trade)
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