Gegründet 1947 Donnerstag, 30. Januar 2025, Nr. 25
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 29.01.2025, Seite 4 / Inland
Afghanistan-Kommission

Strategisch gescheitert

Abschlussbericht der Enquete-Kommission zu Afghanistan liefert Empfehlungen, um ähnliche Niederlagen künftig zu vermeiden
Von Philip Tassev
4.jpg
Die Bilder vom chaotischen Abzug der NATO aus Afghanistan gingen um die Welt (Kabul, 18.8.2021)

Der Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan und die Machtübergabe an die fundamentalistischen Taliban im August 2021 waren nicht nur eine Niederlage des US-Imperialismus, sondern auch des im Windschatten der USA fahrenden deutschen Imperialismus.

Um »Lehren« aus der 20jährigen Besatzung zu ziehen, hatte der Bundestag 2022 eine Kommission aus Parlamentariern und Wissenschaftlern eingesetzt. Diese sogenannte Enquete-Kommission hat nun am Dienstag ihren Abschlussbericht vorgelegt, der am Freitag im Bundestag beraten werden soll.

Das wenig überraschende Fazit der Kommission: Die BRD, die USA und andere westliche Verbündete sind in Afghanistan »strategisch gescheitert«. Das Ziel, in dem zentralasiatischen Land ein prowestliches, »demokratisches« Regime zu installieren, hat die »Koalition der Willigen« trotz eines enormen Ressourcenaufwands nicht erreicht. Auf rund 2,3 Billionen US-Dollar schätzt eine Studie der Brown University die Gesamtausgaben der US-Regierungen zwischen 2001 und 2022 für den Krieg am Hindukusch. Die in der ZDF-Dokumentation »Der Preis des Krieges« genannten deutschen Kriegskosten von schätzungsweise rund 47 Milliarden Euro nehmen sich daneben eher bescheiden aus. Nicht mit Geld aufzuwiegen sind die Verluste von Menschenleben in Washingtons »Krieg gegen den Terror«: Die oben erwähnte Studie der Brown University errechnet für die Zeit von 2001 bis 2023 eine Gesamtzahl von annähernd fünf Millionen Opfern der US-geführten Kriege im Irak, Afghanistan, Jemen und Pakistan.

Davon ist in dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission keine Rede. Erwähnung finden die Kriegsfolgen einzig mit dem Satz: »Der multinationale Einsatz ging mit einer hohen Zahl an menschlichen Opfern und enormen Kosten einher«. Das Wort »Tote« kommt in dem gesamten 115seitigen Dokument nicht vor. Statt dessen widmet sich der Bericht vor allem der Frage, welche Lehren für zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr aus dem afghanischen Desaster gezogen werden können. Zwar habe der russische Einmarsch in die Ukraine zu einer »fundamentalen Veränderung der Sicherheitslage in Europa« geführt, der Einfluss von Ländern des sogenannten globalen Südens nehme »auf Kosten des Westens« zu, und »aufstrebende Mächte wie China und Indien« würden »selbstbewusst Gestaltungsanspruch auf das internationale System« erheben. Trotz des anbrechenden »multipolaren Zeitalters«, das die »Landes- und Bündnisverteidigung« wieder zur »obersten Priorität« werden lässt, seien dennoch auch künftig Interventionen oder »internationales Krisenmanagement« – besonders in Europas geographischer Nachbarschaft – nötig, ist sich der Vorsitzende der Kommission, Michael Müller (SPD), sicher. Denn: »Engagieren wir uns nicht, werden es andere um so stärker tun, mit allen denkbaren Konsequenzen«, schreibt Müller im Vorwort des Berichts.

Insgesamt 72 Empfehlungen richtet die Kommission an die Bundesregierung, die Bundesländer und den Bundestag. Im Kern geht es bei diesen Vorschlägen darum, »die ressortübergreifende Arbeit zu verbessern, Informationen zu vernetzen und Ziele und Strategien in Zukunft realistischer zu formulieren, aber auch fortlaufend zu überprüfen«.

Für künftige Kriegseinsätze brauche es eine »ausformulierte Strategie«, die »realistische Ziele« benennt und »beabsichtigte Wirkungen« definiert. »Deutsche Interessen« müssten klar benannt werden. Außerdem wird eine »klare Kommunikation« durch die Bundesregierung angemahnt. Um insbesondere auf Social-Media-Plattformen »Desinformationskampagnen« besser begegnen zu können, sei eine Intensivierung der Zusammenarbeit der »Sicherheitsbehörden« sowohl auf Bundes- und Landesebene als auch auf internationaler Ebene nötig. Bei der Kommunikation im »Einsatzland« müsse mehr Rücksicht auf den kulturellen und religiösen Kontext genommen werden. Dafür empfiehlt die Kommission die stärkere Einbindung von Wissenschaftlern in die Arbeit der einzelnen Ressorts. Um unangenehme Überraschungen wie den überstürzten Abzug aus Kabul im Sommer 2021 in Zukunft zu vermeiden, sollte laut Kommission auch der Informationsaustausch zwischen Ministerien und Parlament intensiviert werden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • In Berlin unerwünscht: Hunderte Menschen hoffen auf einen Platz ...
    05.01.2024

    Tödliche Ignoranz

    Bericht: BRD-Apparat reagierte 2021 nicht auf Warnungen vor Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan
  • Alles andere als harmlos: Fallschirmjäger der Bundeswehr bei ein...
    28.04.2023

    »Völkerrecht gilt nur für die anderen«

    Bundestag entschied nachträglich über »robustes Mandat« der Bundeswehr im Sudan. Viele Jastimmen von Die Linke. Ein Gespräch mit Ali Al-Dailami

Regio: